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Mehr Menschenrechte entlang der Lieferkette

EU-Abgeordnete haben am Donnerstag den Entwurf zum EU-Lieferkettengesetz verabschiedet. Damit ist eine weitere Hürde genommen. Doch noch immer gibt es Streitpunkte – etwa beim Finanzsektor

Kleidung hoffentlich bald wirklich clever kaufen: Auch Unternehmen wie Kik können mit dem EU-Gesetz für ihre Arbeitsbedingungen im Ausland zur Rechenschaft gezogen werden Foto: Dirk Krüll/laif

Von Leila van Rinsum

Am Ende war es doch noch eine Zitterpartie für das EU-Lieferkettengesetz. Verhandelsführerin Lara Wolters (S&D) zeigte sich Ende April noch zuversichtlich, als der Rechtsausschuss den Kompromiss annahm, über den das Europäische Parlament am Donnerstag abstimmte. Der Kompromiss wurde auch mit Mitgliedern der konservativen EVP ausgehandelt, der größten Fraktion im Europaparlament. Einen Tag vor der Abstimmung stellten sich Teile der konservativen Fraktion allerdins quer, vor allem der deutschen CDU/CSU-Delegation. Sie stellten 50 neue Änderungsanträge. Bis zuletzt war nicht klar, ob es die EU-Richtlinie für unternehmerische Sorgfaltspflichten am Donnerstag durchs Parlament schaffen würde.

Umso größer war dann die Erleichterung von Wolters und Mit­strei­te­r*in­­nen, als 366 Parlamentarier für die Richtlinie stimmten. 225 stimmten dagegen und 38 enthielten sich. Damit hat das EU-Lieferkettengesetz eine weitere Hürde genommen. Nun geht es in Verhandlungen mit den Mitgliedstaaten im EU-Rat. Die „Achterbahnfahrt“, wie Wolters den Prozess am Donnerstag nannte, ist damit noch nicht zu Ende. Gerade auch Wirtschaftsverbände und Unionsmitglieder aus Deutschland machen weiterhin Druck. Sie befürchten Mehrarbeit durch Bürokratie und warnen, dass europäische Unternehmen sich aus dem Globalen Süden zurückziehen werden.

Dabei hatten sich auch viele Unternehmen für ein Lieferkettengesetz eingesetzt, etwa aus der Textil- und Schokoladen­industrie. Sie haben im Rahmen von Selbstverpflichtungen bereits Sorgfaltsprüfungen etabliert und wollen gleiche Regeln für andere Unternehmen, die sich bislang davor scheuten. Gleichzeitig haben freiwillige Selbstverpflichtungen es nicht geschafft, Menschenrechte entlang der Lieferkette zu wahren. Immer noch schaffen es viele Produkte in europäische Supermärkte oder Verabeitungswerke, die durch Sklavenarbeit produziert worden sind oder die mit Landvertreibungen oder Umweltverschmutzung einhergehen.

Mit Durchsetzung des EU-Lieferkettengesetzes werden Unternehmen verpflichtet, ihre Lieferketten auf die Auswirkungen auf Menschenrechte und Klima zu analysieren. Im nächsten Schritt müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Missstände zu beheben. Das Gesetz geht weiter als das deutsche. Betroffen sind nach Wunsch der Parlamentarier Firmen mit 500 und später mit 250 Beschäftigten. Auch Unternehmen außerhalb der EU mit mehr als 150 Millionen Umsatz, von denen 40 Millionen in der EU erwirtschaftet wurden, sind betroffen. Noch eine Neuerung gegenüber dem deutschen Gesetz ist, dass die EU-Richtlinie neben Zulieferern die gesamte Kette betrifft, also auch Verkauf, Vertrieb und Logistik. Der Rat wollte in seiner Position die betroffenen Unternehmen eingrenzen und will die Kontrolle auf direkte Zulieferer beschränken.

Regulierungen zur Unternehmensführung, um Menschenrechte und Nachhaltigkeit zu stärken, stießen auf großen Widerstand bei den Konservativen. Sie schafften es dann auch, einen weiteren Punkt in der Abstimmung am Donnerstag vom Tisch zu nehmen. Gestrichen wurde die Regel, dass Vorstände über Pläne, Risiken und Maßnahmen im Rahmen der Sorgfaltspflichten unterrichtet werden. Eine Sorgfaltspflicht von Unternehmenschefs ist aber weiterhin im aktuellen Entwurf verankert. Unternehmensleiter sollen zudem weiterhin an das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens gebunden werden. Auch der Finanzsektor soll miteinbezogen werden – allerdings nur noch dessen direkte Beziehungen und ohne Haftung. Dennoch sorgt der Kompromiss weiterhin für Ablehnung beim EU-Rat. Der hatte vorgeschlagen, dass es Mitgliedstaaten freigestellt werden soll, ob Sorgfaltspflichten auch für Investoren gelten.

Heiß umstritten sind auch die Klagerechte, die es in den Kompromiss vom Donnerstag geschafft haben. Sie werden aber voraussichtlich weiterhin für Krach mit dem Rat sorgen. Im Gegen­satz zum deutschen Lieferkettengesetz sieht das europäische Lieferkettengesetz als weitere Kontrollinstanz vor, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten europäischer Unternehmen vor Gerichten in der EU klagen können. Bislang sind viele solcher Prozesse gescheitert, auch weil Gerichte die Zuständigkeit abgewiesen haben. So etwa Prozesse gegen den Textilhändler Kik wegen eines Brands in der Zulieferfabrik in Karatschi, Pakistan, bei dem 260 Menschen starben. Ob Unternehmen die neuen Regelungen wirklich einhalten, sollen die Aufsichtsbehörden in den EU-Mitgliedstaaten kontrollieren. Sie können Geldstrafen von mindestens 5 Prozent des weltweiten Umsatzes erheben.

Nicht durchgesetzt hat sich im Rechtsausschuss die Forderung, dass die Beweislast umgekehrt werden soll, also nicht länger Opfer die Beweise von Verletzungen erbringen müssen, sondern Unternehmen ihre Unschuld beweisen sollen. Das hätte die Schwelle zum Zugang zur Justiz für Betroffene gesenkt. Wirtschaftsverbände und auch Deutschland hatten sich im Rat außerdem dafür eingesetzt, dass eine sogenannte „Safe Harbour“-Klausel eingebaut wird, sie würde Ausnahmen zivilrechtlicher Haftung festlegen, etwa für Unternehmen, die sich an Selbstverpflichtungsinitiativen beteiligen.

Immer noch schaffen es viele Produkte in europäische Supermärkte, die durch Sklavenarbeit produziert wurden

Das EU-Parlament forderte außerdem Vorgaben, die Interessengruppen in die Sorgfaltspflichtsprüfung einzubeziehen. Dieser Punkt wurde vor allem von Gewerkschaften und indegenen Gruppen vorgetragen, die sich in dem Prozess bislang benachteiligt sahen und betonten, nur in Kooperation könnten Risiken akkurat analysiert werden und passende Maßnahmen bei Missständen gefunden werden. Sie wollen nun besseren Zugang zu Informationen aus Unternehmen bekommen und in Konsultationen einbezogen werden.

Nächste Woche sollen die Verhandlungen mit dem EU-Rat beginnen. Dann beginnt die nächste Achterbahnfahrt für Wolters und ihre Mitstreiter*innen. Einfach wird es nicht, aber das EU Lieferkettengesetz ist nur noch schwer aufzuhalten.