„Wir sind Antifaschisten“

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) im Gespräch über die Überprüfung, ob der AfD-Landrat in Sonneberg tauglich ist, gemeinsame Versäumnisse und die Bedeutung sozialer Politik

Georg Maier warnt: Die AfD will die Demokratie von innen heraus aushöhlen   Foto: Michael Reichel/dpa

Interview Sabine am Orde

taz: Herr Maier, das Landesverwaltungsamt in Thüringen prüft derzeit, ob der AfD-Politiker Robert Sesselmann als Landrat geeignet ist, weil die Thüringer AfD als rechtsextremistisch eingestuft ist. Was bedeutet das?

Georg Maier: Im Thüringer Kommunalwahlgäesetz steht, dass der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung einzutreten hat. Jetzt wird von Amts wegen überprüft, ob das bei Herrn Sesselmann der Fall ist und war. Es ist eine Einzelfallprüfung. Die Mitgliedschaft in der AfD ist als alleiniges Kriterium nicht ausreichend.

Hätte das nicht bereits im Vorfeld der Wahl geschehen müssen?

Der Wahlausschuss des Landkreises kann in der knappen Frist im Vorfeld im Wesentlichen nur formal prüfen. Da geht es darum, ob die eingereichten Unterlagen vollständig sind und die Wahlvorschläge den gesetzlichen Anforderungen grundsätzlich entsprechen und somit als gültig zuzulassen sind.

Wie viel Schaden kann ein AfD-Landrat anrichten?

Die Demokratie von innen heraus auszuhöhlen ist die Strategie der AfD. Da haben sie über diesen Landrat jetzt eine neue Plattform. Aber bei Feldern wie Migration und dem Ausbau erneuerbarer Energien ist ein Landrat ausführendes Organ. Aber er kann Sand ins Getriebe streuen, Prozesse verlangsamen, auch innerhalb der kommunalen Familie.

Wie groß ist der Anteil der SPD an diesem Wahlergebnis?

Wir stehen alle in der Verantwortung, da will ich meine Partei nicht ausnehmen. Wir haben in Thüringen diese komplizierten Verhältnisse, Rot-Rot-Grün fehlen vier Stimmen für eine eigene Mehrheit. In dieser Konstellation ist es uns nicht immer gelungen zu zeigen, dass die Demokratie auch in schwierigen Zeiten funktionieren kann, dass man zusammenfindet und die schwierigen Prozesse angeht. Das macht es den Feinden der Demokratie leichter. Nach dem Kemmerich-Desaster …

… der Wahl des FDP-Kurzzeitministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD …

… hat die versprochene Neuwahl nicht stattgefunden, weil erst einzelne CDU-Abgeordnete und dann auch noch welche von der Linken abgesprungen sind und es keine ausreichende Mehrheit mehr für die Auflösung des Landtags gab. So kann man der Demokratie schaden. Die SPD hat immer und immer wieder versucht, Brücken zu bauen, damit wir zeigen, dass nicht parteipolitische Interessen im Vordergrund stehen, sondern die des Landes. Das hätte gelingen müssen. Und dass in Hildburghausen, ganz in der Nähe von Sonneberg, ein Bürgermeister der Linken mit Stimmen von So­zialdemokraten und Rechts­extremisten zu Fall gebracht worden ist, sehe ich natürlich auch sehr kritisch. Wir haben das als Landesvorstand klar missbilligt, das hat am Image der SPD auch Kratzer hinterlassen.

Die SPD hat in Sonneberg in der Stichwahl zur Wahl des CDU-Kandidaten aufgerufen, die anderen demokratischen Parteien mit Ausnahme der FDP auch. Ist die Strategie „Alle gemeinsam gegen die AfD“ gescheitert?

Ich habe es als meine Pflicht angesehen, zur Wahl des CDU-Kandidaten aufzurufen, und das ist mir extrem schwer gefallen. Das ist ja nicht irgendeine CDU in Südthüringen, sondern die, die Hans-Georg Maaßen aufgestellt hat und noch immer zu ihm hält. Die AfD hat das genutzt, um uns alle als Blockparteien dazustellen. Deshalb habe ich mich am Ende eher zurückgehalten. Aber die Wahlempfehlung war richtig und notwendig, auch wenn es nicht erfolgreich war.

Sie haben als SPD-Chef gleich am Sonntagabend die Vorsitzenden der anderen demokratischen Parteien zum Gespräch eingeladen. Was wollen Sie damit erreichen?

Die SPD kann Brücken bauen zwischen Rot-Rot-Grün einerseits und CDU und FDP andererseits, das hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Ich habe mir am Sonntag das Hirn zermartert, was jetzt zu tun ist. Und da kam mir die Idee, mich außerhalb von Regierung und Landtag im kleinen Kreis mit den Landesvorsitzenden der demokratischen Parteien zusammenzusetzen. Mein Ziel ist, dass wir wieder zu einem verlässlichen Mechanismus kommen, mit dem wir zeigen: Die demokratischen Kräfte arbeiten an der Lösung der Probleme der Menschen in Thüringen.

Und: Wer hat bisher zugesagt?

Die Grünen. Ich bin ja gespannt, wie sich CDU und auch die FDP verhalten, da käme ja mit Thomas Kemmerich auch jemand mit einer schwierigen Historie. Aber die FDP nicht einzuladen,wäre das falsche Signal gewesen.

Herr Maier, Sie sind auch Innenminister, Ihr Verfassungsschutz hat den AfD-Landesverband als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Die Wäh­le­r*in­nen in Sonneberg stört das nicht.

Ja, das ist eine bittere Lehre. Dennoch ist es richtig, diese Instrumente zu nutzen und herauszuarbeiten, was die antidemokratischen Ziele der AfD sind. Aber es hat offensichtlich keine große Wirkung bei den Menschen hier erzielt. Es gibt eine gewisse Gleichgültigkeit den Rechtsextremisten gegenüber. Hinzu kommt, dass die Wählerinnen und Wähler mit der Wahl der AfD eine gewisse Wirkmächtigkeit erleben, indem sie es denen da oben mal zeigen können.

Sind Sie der Ansicht, das sind Protestwähler?

Georg Maier

56, ist Innenminister, stellvertretender Ministerpräsident und SPD-Landeschef in Thüringen. Der Diplom-Kaufmann ist in Baden-Württemberg geboren

Nicht alle natürlich. Es gibt die Überzeugten. Aber es gibt eben auch Mitläufer, die unzufrieden sind, sich überfordert fühlen, Angst haben vor dem Veränderungstempo und dann meinen, da bleibe nur, die AfD zu wählen. Das habe ich im Wahlkampf häufiger gehört. Hinzu kommt dann diese Distanzlosigkeit Rechtsextremisten gegenüber. Das wird ausgeblendet. Und es gibt auch neue Netzwerke. In Gera müssen wir feststellen, dass da auch Unternehmer daran beteiligt sind. Das ist ein gesellschaftliches Thema, der Verfassungsschutz alleine kann da wenig ausrichten. Mich wundern auch die Wirtschaftsverbände in Thüringen. Warum sagen die nicht deutlicher, dass das, was die AfD propagiert, für die Wirtschaft Teufelszeug ist. Wir haben hier Fachkräftemangel, die großen Unternehmen hier brauchen den Euro, das Internationale, die Weltoffenheit.

Welche Konsequenzen ziehen Sie?

In Thüringen ist das Stammland der Sozialdemokratie, hier kommen wir her. In Gotha wurde 1875 die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands gegründet, daraus wurde später die SPD. Wir sind Antifaschisten, und da habe ich als Innenminister auch einiges vorzuweisen. Das Rechtsrockland Thüringen existiert so nicht mehr, in meiner Amtszeit sind über 30 Rechtsextremisten hinter Schloss und Riegel gebracht worden. Aber wir müssen auch die Themen in den Vordergrund bringen, die die Menschen mit bewogen haben, AfD zu wählen. Und das sind vielfach soziale Themen. Das Thema soziale Gerechtigkeit muss ganz oben auf die politische Tagesordnung, sonst bekommen wir auch die notwendigen Veränderungsprozesse nicht hin.

Erwarten Sie da auch von der SPD im Bund mehr?

Ja, ganz klar. Und das sage ich auch im Bundesvorstand immer wieder. Ich habe in den letzten Tag ja oft gelesen, in Sonneberg stehe es wirtschaftlich gar nicht schlecht, die Arbeitslosigkeit sei niedrig. Aber 44 Prozent der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beziehen den Mindestlohn, damit kann man sich eine niedrige Arbeitslosenquote auch erkaufen. Wir wollen nicht das Niedriglohnland sein. Die Tarifbindung hier ist unterirdisch schlecht. Das müssen wir stärker zum Thema machen.