Fernab der grünen Hochburgen

In Leipzig wird der Zusammenschluss von Bündnis 90 und Grünen vor 30 Jahren gefeiert. Doch bis heute wird die Partei als westdeutsch wahrgenommen – und steht im Osten vor großen Herausforderungen

Aus Leipzig Sabine am Orde

„Veränderung ist positiv besetzt“, sagt Robert Habeck, „aber in Wahrheit ist sie schwer.“ Er sitzt am Samstagabend mit Marianne Birthler, ehemals Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagenen, und einer Moderatorin auf einer Bühne im Täubchenthal, einer Leipziger Konzerthalle – und es ist nicht ganz klar, worauf sich seine Äußerung bezieht. Meint der grüne Wirtschaftsminister das Engagement von Birthler und Co in der Bürgerbewegung, die die DDR zum Einsturz brachte? Oder die Wärmewende und das Gebäudeenergiegesetz, die derzeit für viel Wirbel sorgen? Oder beides?

Die Grünen oder besser gesagt Bündnis 90/Die Grünen haben an diesem Abend nach Leipzig geladen, um ihre Vereinigung zu feiern. 30 Jahren ist es her, dass aus Bündnis 90 (Ost) und den Grünen (West) eine Partei wurde. „Das ist einzigartig in der deutschen Parteienlandschaft, darauf sind wir stolz“, sagt Bundesgeschäftsführerin Emily Büning zur Begrüßung.

Beide Seiten hätten unterschiedliche Erfahrungen, einen anderen Habitus und auch nicht die gleiche Sprache gehabt. „Das verbindende Moment, das war und ist die Freiheit.“ Man wolle an diesem Abend zurück- und auch nach vorne schauen, sagt Büning – und wolle das auch kritisch tun. Dazu hat die Parteizentrale verschiedene Gesprächsrunden mit Parteiprominenz organisiert. „Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, auf so einer Feier zu sein, die relevant ist und politisch gewollt“, sagt Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Sie stammt aus dem Osten und war in den 2000er Jahren Bundesgeschäftsführerin. Sie habe „zig solcher Feiern“ organisiert, es sei fast immer „ein Krampf“ gewesen. „Das Interesse an der ostdeutschen Geschichte war in den westdeutschen Landesverbänden reduziert.“

„Die Grünen mussten manche Kröte schlucken, wir auch“, betont Marianne Birthler. Sie hat damals den 32-seitigen Assoziationsvertrag zwischen Bündnis 90 und den Grünen mit ausgehandelt. Wie die West-Grünen miteinander gestritten hätten, sei nicht auszuhalten gewesen, sagt Birthler. Die Ostdeutschen seien pragmatischer und weniger ideologisch gewesen, etwa in der Außenpolitik.

„Das verbindende Moment, das war und ist die Freiheit“

Emily Büning, Grünen-­Bundesgeschäftsführerin

30 Jahre später ist die Lage für die Grünen in Ostdeutschland gar nicht gut. Zwar regieren sie in Brandenburg, Sachsen und Thüringen mit. Aber die Landesverbände sind klein. Bei den Landtagswahlen bleiben die Ergebnisse einstellig, in ­Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern stehen die ­Grünen laut Umfragen gefährlich nah an der Fünfprozenthürde.

Noch immer werden die Grünen – das Bündnis 90 rutscht ja meist weg – vor allem als westdeutsche Partei wahrgenommen. Die große Mehrheit in den ostdeutschen Ländern ist laut Umfragen gegen das Aus für fossil betriebene Heizungen und gegen einen vorgezogenen Braunkohleausstieg, wie es die Grünen wollen. Ihre Schwäche im Osten liegt aber auch an der Bevölkerungsstruktur: Stark ist die Partei vor allem in großen Städten und an Unistandorten, die im Osten nicht so zahlreich sind. Viele Krea­ti­ve, Frauen und junge Leute sind weggezogen.

„Mehr Präsenz im Osten zeigen“, das ist eine der Botschaften, die die Basis ihrer Parteispitze mitgibt. „Ich will nicht nur, dass Wahlkampfurlaub hier in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gemacht wird“, sagt Sachsens Justizministerin Katja Meier mit Blick auf die Landtagswahlen im kommenden Jahr. „Ich will insgesamt eine Unterstützung von Bündnis 90/Die Grünen für den ­Osten.“ Die sei auch für die Bundestagswahl 2025 wichtig: „Sicher wird die Bundestagswahl nicht gewonnen im Osten, aber sie kann verloren werden“, so Meier.