Gefahr für Presse in Mexiko: Todesrisiko Journalismus

Journalisten in Mexiko leben gefährlich, wenn sie über Korruption und Kriminalität berichten. Bedrohungen und Morde bleiben ungesühnt.

Eine Person liegt auf dem Boden

Journalisten protestieren in Mexico City gegen die zahlreichen Morde an ihren Arbeitskollegen Foto: Cristian Leyva/imago

BERLIN taz | Es war Mitte April, als in die Wohnung von Yener de los Santos Matías eingebrochen wurde. Der Reporter einer Nachrichtenagentur im südmexikanischen Bundesstaat Guerrero zeigte bei der Polizei den Raub von drei Fotoapparaten, einer Videokamera und eines Computers an. Es war nur seine Arbeitsausrüstung, die die Diebe mitnahmen. Für ihn und seine Kol­le­g*in­nen war damit klar, dass es sich um eine Warnung handelte, eine Drohung, die auf seine journalistische Tätigkeit abzielte.

Ein Jahr vor dem Ende der Amtszeit des Präsidenten Andrés Manuel López Obrador sind die Angriffe auf Medienschaffende um 85 Prozent gegenüber der Amtszeit seines Vorgängers, Enrique Peña, gestiegen. Es ist abzusehen, dass es die Amtszeit mit mehr Journalistenmorden sein wird denn je: Schon jetzt sind es 37 seit dem Amtsantritt des Präsidenten im Jahr 2018, verglichen mit 47 in der gesamten Amtszeit von Felipe Calderón.

Vor allem Lokaljournalismus ist schwierig geworden. Es gibt sogenannte Schweigezonen, wo aus Sicherheitsgründen überhaupt nicht mehr über kriminelle Aktivitäten und die Verbindungen zur politischen Klasse berichtet wird.

Die Journalisten sind nicht nur dem Risiko physischer Angriffe ausgesetzt, etwa in einem Gebiet, in dem verschiedene kriminelle Organisationen um die Vorherrschaft streiten. Die Korruption beherrscht die Politik, und fast 100 Prozent der Verbrechen bleiben unaufgeklärt, einschließlich jener, die sich gegen die Pressefreiheit richten.

Journalist sein: Hohes Risiko für 400 Euro im Monat

In den vergangenen fünf Monaten sind allein in Chilpancingo, der Hauptstadt des Bundesstaates Guerrero, drei Reportern bei dem Einbruch in ihre Wohnung ihre Arbeitsutensilien gestohlen worden – und auch nur diese, obwohl es andere Wertsachen gegeben hätte. Wenige Tage vor dem Einbruch hatte de los Santos über den Wahlprozess an der Autonomen Universität von Guerrero berichtet, die sich mehreren Vorwürfen der Korruption und sexueller Übergriffe durch Lehrkräfte ausgesetzt sieht.

Monate zuvor, am 22. August 2022, wurde der Journalist Fredid Román, Leiter des unabhängigen Mediums La Realidad, in der Nähe seiner Wohnung erschossen. Er berichtete vor allem über lokale Politik. Tage vor dem Mord an ihm war sein Sohn in El Ocotito ermordet worden, in einer ländlichen Zone von Chilpancingo. Die Morde bleiben unaufgeklärt.

In Mexiko Journalist zu sein ist mit hohen Risiken verbunden. Im Jahresbericht von Reporter ohne Grenzen belegt Mexiko zum vierten Mal in Folge den ersten Platz bei der Todesrate von Medienschaffenden. Allein 2022, dem tödlichsten Jahr seit 2000, wurden 17 Morde an Journalisten registriert.

Im Durchschnitt verdient ein Journalist umgerechnet 400 Euro im Monat. Es gibt kein Medienhaus, das sich an Kranken-, Reise- oder Lebensversicherung beteiligen oder auch nur einen festen Arbeitsvertrag unterschreiben würde. Die Verbrechen gegen die Pressefreiheit stehen im direkten Verhältnis zu den prekären Arbeitsverhältnissen.

Wie ein Medium zum Schweigen gebracht wird

Bei seiner allmorgendlichen Pressekonferenz hat Präsident López Obrador, so berichten es verschiedene Presserechtsorganisationen, nicht nur Kollegen kriminalisiert, die versuchen, aus den Regionen zu berichten, er hat auch die politischen Kosten der Angriffe auf die Presse gesenkt. Wer in Mexiko einen Journalisten umbringt, braucht Ermittlungen nicht zu fürchten.

Für Paula Saucedo von dem Programm für den Schutz und die Verteidigung des Artikels 19 – der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert – untersuchen die mexikanischen Behörden diese Verbrechen einfach nicht umfassend. Sie schauen nicht auf den Zusammenhang zwischen den kriminellen Organisationen und der journalistischen Tätigkeit, und das macht Journalisten noch verwundbarer.

Als Beispiel führt sie Tamaulipas an, einen Bundesstaat im Norden, der an die USA angrenzt, wo in den vergangenen zwölf Jahren nicht einmal Menschenrechtsorganisationen über Verbrechen berichten können – geschweige denn über jene gegen die Pressefreiheit.

Sie erwähnt auch den Fall des Nachrichtenportals Monitor Michoacán. Im Jahr 2022 wurden zwei Journalisten des Mediums ermordet: Roberto Toledo am 31. Januar und Armando Lina­res am 15. März in Zitácuaro, einem Bundesstaat im Westen Mexikos, der an Guerrero angrenzt und die größte Konzentration bewaffneter Zivilisten aufweist. Beide Morde sind ungesühnt. „Sie bringen zwei Journalisten dieses Mediums um, und das Medium macht zu. Es ist zum Schweigen gebracht worden, und die Bedrohungen, die den Morden vorausgingen, werden überhaupt nicht registriert“, sagt Saucedo.

Dabei hatte der Vizechef von Monitor, Joel Vera, noch zwei Monate vor der Ermordung Roberto Toldeos gegenüber der Sonderstaatsanwaltschaft für Verbrechen gegen die Pressefreiheit die Todesdrohungen angezeigt, die er wie auch der Chefredakteur Armando Linares vonseiten des ehemaligen Gouverneurs, Silvano Aureoles, erhalten hatten. Niemand half ihnen.

Vania Pigeonutt, Jahrgang 1988, ist mexikanische Journalistin. Nach zahlreichen Bedrohungen lebt sie seit Mai 2022 mit einem Stipendium der taz Panter Stiftung und von Reporter ohne Grenzen in Berlin.

Aus dem Spanischen von Bernd Pickert

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