America’s First Criminal

Zum ersten Mal in der amerikanischen Geschichte wird ein ehemaliger Präsident angeklagt. Donald Trump bestreitet jede Schuld und poltert gegen Staatsanwalt und Richter

Klein und schweigsam wirkt Donald Trump bei der Verlesung der Anklage – eine Strategie? Foto: Andrew Kelly/reuters

Aus New York Dorothea Hahn

In einem Raum, in dem vor ihm Mörder, Mafiosi und Drogendealer angeklagt worden sind, hat Donald Trump am Dienstag um 14.15 Uhr Ostküstenzeit Platz zwischen seinen drei Anwälten genommen. Mit versteinerter Miene hört er zu, während er der „illegalen Verschwörung“ angeklagt wird – mit dem Ziel, „die Rechtmäßigkeit von Wahlen auszuhöhlen“. Trump wirkt kleiner als sonst. Und viel schweigsamer. Ein Reporter des New Yorker zählt, dass Trump während seiner 45 Minuten in dem Raum exakt neun Worte sagt. Darunter „Ja“, „Danke“, „Ich weiß“ und „Nicht schuldig“.

Es ist das erste Mal in der 247-jährigen Geschichte der USA, dass ein ehemaliger Präsident angeklagt wird. Insgesamt werden ihm 34 Straftatbestände vorgeworfen. Sie haben mit Betrug und Fälschung zu tun. Vor den Wahlen von 2016, bei denen er der 45. Präsident der USA wurde, soll er mindestens drei Leuten Geld gegeben haben, um zu verhindern, dass sie Details über Affären enthüllten, die er gehabt haben soll.

Die Schweigegeldzahlungen selbst sind nicht illegal. Was sie in den Augen der New Yorker Justiz zu Straftaten machen, ist die Tatsache, dass Trump anschließend Dokumente gefälscht hat, um die Transaktionen zu verstecken. Damit habe er versucht, die „Rechtmäßigkeit der Wahlen auszuhöhlen“, erklärt Anwalt Christopher Conroy vom Team des Staatsanwalts im Gerichtssaal.

In der Anklage „Das Volk von New York gegen Donald Trump“ ist von mehr Fällen die Rede als nur jenem der Pornodarstellerin Stormy Daniels. Sie will eine Affäre mit Trump gehabt haben (was er bestreitet) und hat dafür 130.000 Dollar Schweigegeld bekommen (was er zugibt). Außer ihr hat die Staatsanwaltschaft auch das Model Karen McDougal in das Verfahren gebracht. Damit auch sie über ihre Affäre mit Trump schwieg, bekam sie 150.000 Dollar. Der dritte im Bunde ist ein ehemaliger Türsteher von Trump. Er wollte über ein außereheliches Kind von Trump auspacken und bekam 30.000 Dollar Schweigegeld.

Beide Männer, die für das Zustandekommen der Anklage gegen den Ex-Präsidenten verantwortlich sind, gehören zu Minderheiten, die Trump immer wieder angefeindet hat. Der New Yorker Staatsanwalt Alvin Bragg, der die oft totgesagten Ermittlungen in New York bis zur Anklage geführt hat, ist Afroamerikaner. Richter Juan Merchan, der das Verfahren gegen Trump führt, ist als junger Mensch aus Kolumbien nach New York gekommen.

Trump hat versucht, die Herkunft der beiden zu nutzen, um sie einzuschüchtern und zu diffamieren. In den Tagen bevor er sich am Dienstag der Justiz in New York stellte, er für die Dauer seiner Anklage förmlich verhaftet wurde und die 13-seitige Auflistung der ihm vorgeworfenen Straftaten bekam, veröffentlichte Trump unter anderem ein Posting auf seinen sozialen Medien, auf dem er mit einem Baseballschläger neben einem Foto von Bragg zu sehen ist. Abgesehen davon hat Trump dem Staatsanwalt vorgeworfen, er betreibe eine „Hexenjagd“. Er habe politische Motive. Und er sei von dem Investor George Soros ferngesteuert. Er hat ihm auch gedroht, seine Verhaftung könne zu „Tod und Zerstörung“ führen.

Richter Merchan schlägt am Dienstag einen versöhnlichen Ton an. Mehrfach fragt er Trump, ob er verstanden habe. Der antwortet mit „Ja“. Der Richter erspart Trump auch die übliche erniedrigende Prozedur von Handschellen und erkennungsdienstlichen Fotos. Und er erteilt ihm weder einen Maulkorb für bestimmte Themen noch ein Reiseverbot. Allerdings mahnt der Richter den Angeklagten, er möge von einer Sprache absehen, die zu Gewalt anstiftet. Merchan formuliert das als Bitte. Aber er macht deutlich, dass er Zuwiderhandlungen ahnden könnte.

Trump hat es jahrzehntelang geschafft, Anklagen zu entgehen. Wann immer ihm eine drohte, sei es wegen diskriminierenden Umgangs mit Mietern oder wegen betrügerischen Umgangs mit Geschäftspartnern, schickte er seine Anwälte los und arbeitete selbst mit Einschüchterung, um Verfahren abzuwenden. Mit diesem Vorgehen ist er im Alter von 76 Jahren in New York zum ersten Mal gescheitert. Jetzt versucht er, die Anklage in seine Kampagne für den Präsidentschaftswahlkampf für 2024 einzubauen. Das Gericht gibt ihm dazu reichlich Zeit und Gelegenheit. Der nächste Gerichtstermin für Trump ist erst Anfang Dezember. Bis dahin wird die Staatsanwaltschaft die Verteidigung mit ihren Unterlagen versorgen.

Sollte Trump für schuldig befunden werden, drohen ihm im für ihn ungünstigsten Fall mehrere Jahre Gefängnis. Aber zu einem Prozess kann es frühestens Anfang nächsten Jahres kommen. Möglicherweise auch erst später, wenn der Präsidentschaftswahlkampf bereits in vollem Gang ist.

Wird Trump als schuldig befunden, drohen ihm im ungünstigsten Fall mehrere Jahre Gefängnis

Vor Gericht hat Trump seine drei Anwälte sprechen lassen und geschwiegen. Aber kaum ist die Anklageverlesung am Dienstag abgeschlossen, fliegt er nach Florida zurück. Am Abend hält er dort vor einem handverlesenen Publikum in seinem Golfclub in Mar-a-Lago eine Rede, die von mehreren Medien live übertragen wird. Sie wird zu einer ersten Machtprobe von Trump mit Richter Merchan, zu einer aggressiven Kostprobe dessen, was Trump in den nächsten Monaten vorhat.

Trump beginnt mit einer Beleidigung gegen die Frau, die er für verantwortlich hält. Er nennt Stormy Daniels ein „Pferdegesicht“. Dann verlangt er Anklagen sowohl gegen Präsident Joe Biden als auch gegen Ex-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton und hetzt gegen sämtliche Juristen, die sonst noch gegen ihn ermitteln.

Den Sonderermittler des US-Justizministeriums, der seine Rolle bei dem gewalttätigen Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 und die Mitnahme von Geheimdokumenten aus dem Weißen Haus nach Mar-a-Lago untersucht, nennt er einen „Verrückten“. Für die Juristen in Atlanta, die seine Versuche untersuchen, das Wahlergebnis von 2020 zu fälschen, findet er unflätige Worte. Auf dem aggressiven Höhepunkt seiner Rede bezeichnet Trump den New Yorker Staatsanwalt Bragg als „Kriminellen“ und beschimpft Richter Merchan als „höchst parteiisch“. Als würde das noch nicht genügen, bezeichnet der Angeklagte auch noch die Gattin des Richters als „Trumphasserin“ und seine Tochter als „Mitarbeiterin von Kamala Harris“.