Pushbacks als alltägliche Regel

Ein UN-Bericht bestätigt systematische Drohungen und Missbrauch des Strafrechts gegen Migrantenhelfer in Griechenland. Seit 2020 setzt Athen auf Pushbacks von Ankommenden in der Ägäis und am Fluss Evros

Von Christian Jakob

Wer sich in Griechenland für die Menschenrechte von Mi­gran­t:in­nen einsetzt, wird von den Behörden bedroht und angegriffen – das ist das Fazit eines neuen Berichts der UN-Sonderberichterstatterin für Menschenrechtsverteidiger, Mary Lawlor, der dem UN-Menschenrechtsrat präsentiert wurde.

„Menschenrechtsanwälte, humanitäre Helfer, Freiwillige und Journalisten, die im Bereich der Migration tätig sind, sind in schockierendem Ausmaß Verleumdungskampagnen, einem sich verändernden rechtlichen Umfeld, Drohungen und Angriffen sowie dem Missbrauch des Strafrechts gegen sie ausgesetzt“, heißt es in dem Bericht. Hintergrund ist, dass die konservative griechische Regierung seit 2020 offen auf massenhafte, illegale Pushbacks von Ankommenden in der Ägäis und am Grenzfluss Evros setzt. Kritik daran versuche die Regierung mit Angriffen auf die Zivilgesellschaft zum Schweigen zu bringen, so Lawlor.

Seit Jahren verzeichnet die Zivilgesellschaft immer neue Anklagen gegen Geflüchtete wegen angeblicher Schlepperei. Zuletzt nahmen auch die Verfahren gegen Hel­fe­r:in­nen zu. Im Januar 2023 gab es einen ersten Prozesstermin gegen 24 humanitäre Hel­fe­r:in­nen um den Deutsch-Iren Sean Binder und die Syrerin Sarah Mardini auf Lesbos. Kurz danach erregte das Verfahren gegen vier Mi­gran­ten­rechts­ak­ti­vis­t:in­nen um den Griechen Panayote Dimitras und den Norweger Tommy Olsen Aufsehen. Sie wurden auf der Insel Kos angeklagt, weil sie eine „kriminelle Organisation“ gegründet hätten,um „die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen auf griechischem Gebiet zu erleichtern“. Tatsächlich hatten sie den Ankommenden beim Asylverfahren geholfen. Die UN-Berichterstatterin kritisierte dies als „missbräuchliche Anwendung des griechischen Rechtsrahmens“. Was die Angeklagten als Menschenrechtsverteidiger getan hätten, sei „ein nach europäischem und internationalem Recht garantiertes Recht“.

In einer Stellungnahme der Organisation Human Rights Watch heißt es, die griechische Regierung sollte „die Empfehlungen des UN-Experten unverzüglich umsetzen und unter anderem ausstehende Strafanzeigen und Ermittlungen ­gegen Rechtsverteidiger einstellen“. Die NGO Civicus, die die Entwicklung bürgerlicher Freiheiten weltweit dokumentiert, stufte die Lage für die Zivilgesellschaft Griechenland in der vergangenen Woche auf „beeinträchtigt“, die dritte von fünf Kategorien, herab.

Die EU-Kommission hatte im Juli 2022 festgestellt, dass der Spielraum für Gruppen, die mit Migranten und Asylbewerbern arbeiten, immer enger wird. In der kommenden Woche veranstaltet die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin ein Symposium mit Vertretern der griechischen Zivilgesellschaft – sie sprechen von einer „Orbanisierung“ Griechenlands.

Lawlors Bericht verweist auch auf die Einschränkung der Medienfreiheit durch die griechischen Behörden. „Nachrichten, die unbequem oder wenig schmeichelhaft für die Regierung sind, einschließlich Berichten über schwere Menschenrechtsverletzungen, werden in vielen Medien nicht ausreichend berücksichtigt“, so der Bericht.