Wagenknechts Abschied war eine Frage der Zeit

Sahra Wagenknecht hat eine erneute Kandidatur für die Linkspartei ausgeschlossen. Damit belebt sie die Spekulationen über eine mögliche Abspaltung

Kaum mehr im Parlament zu sehen: Sahra Wagenknecht auf der Demo „Aufstand für den Frieden“ Foto: Christian Mang/reuters

Von Pascal Beucker

Die Zeit von Sahra Wagenknecht in der Linken neigt sich dem Ende entgegen. Jetzt hat die umstrittene Bundestagsabgeordnete eine erneute Kandidatur für die Partei definitiv ausgeschlossen. Damit befeuert sie weiter die Spekulationen über eine mögliche Abspaltung ihrer Anhängerschaft noch vor der Europawahl 2024. Ihr Verhältnis zur Linkspartei gilt seit Längerem als völlig zerrüttet.

Wagenknecht sitzt seit 2009 für die Linkspartei im Bundestag und war von 2015 bis 2019 Co-Fraktionsvorsitzende. Derzeit lässt sie sich allerdings nur noch äußerst selten im Parlament blicken. Nun verkündete die 53-Jährige in der Rheinpfalz: „Eine erneute Kandidatur für die Linke schließe ich aus.“ Nach Ablauf der Legislaturperiode wolle sie sich entweder aus der Politik zurückziehen – „oder es ergibt sich politisch etwas Neues“. Auf eine mögliche Parteineugründung angesprochen, sagte Wagenknecht: „Darüber wird an vielen Stellen diskutiert.“

Wagenknechts Mitteilung wurde kurz nach der von ihr und Alice Schwarzer organisierten Kundgebung „Aufstand für Frieden“ am vorvergangenen Samstag veröffentlicht, an der zwischen 22.000 und 29.000 Menschen teilgenommen hatten. Das gleichnamige Manifest der beiden hat mittlerweile mehr als 730.000 Un­ter­stüt­ze­r:in­nen gefunden. Nachdem in den Wochen zuvor die Gerüchte über eine bevorstehende Spaltung der Linkspartei wie auch die Angriffe auf die Parteiführung etwas abgeebbt waren, scheint der Erfolg des Manifests und die ebenfalls vom Wagenknecht-Lager als erfolgreich bewertete Kundgebung nun eine neue Dynamik zu entfalten.

„Was gar nicht geht, ist, dass die Proteste von Wagenknecht und anderen genutzt werden, um gegen die Parteiführung Stimmung zu machen und zu versuchen, die Spekulationen um eine Parteineugründung am Köcheln zu halten“, sagte der frühere Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger der taz. „Dem muss eine deutliche Absage erteilt werden“, forderte er. „Das kann keine Partei akzeptieren.“

Damit spielte der Linken-Bundestagsabgeordnete auch auf Äußerungen der Fraktionskollegin und Wagenknecht-Vertrauten Sevim Dağdelen an, die die fehlende Unterstützung des Manifests und der Kundgebung durch den Parteivorstand in einem Interview als „unentschuldbar“ bezeichnet hatte: „So handelt die Spitze einer Sekte, nicht die einer verantwortungsvollen linken Partei“, sagte sie der jungen Welt.

Dağdelen gehört zu dem engeren Umfeld Wagenknechts, das geradezu sehnsüchtig darauf wartet, dass diese ihren Abgang aus der Linkspartei verkündet, um ein neues politisches Projekt zu starten. Doch noch zögert Wagenknecht. Sie sähe zwar „Bedarf für eine neue Partei, die rund 30 Prozent der Menschen endlich einmal wieder eine Stimme gibt“, sagte Wagenknecht Mitte Februar. So etwas bedürfe aber einer soliden Vorbereitung.

Wann Wagenknecht dem Beispiel ihres Ehemanns Oskar Lafontaine folgt und die Linkspartei verlässt, ist aber offen. Als mögliches Szenario gilt, noch die hessische Landtagswahl im Herbst abzuwarten, bei der der Linken der Verlust ihrer letzten Mandate in einem westdeutschen Flächenland droht. In einem gerade veröffentlichten Interview mit Ivan Rodionov, dem ehemaligen Chef von RT Deutsch, zeigte sich der Ex-Lin­ken-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Die­ther Dehm überzeugt, es werde „zu einer neuen Kraft kommen, und die wird es auch vor der Europawahl geben“. Bereits im August 2022 hatte der 72-Jährige öffentlich über eine mögliche Alternativkandidatur gesprochen, was ihm ein Parteiausschlussverfahren eingehandelte.

Der Streit über Wagenknecht zermürbt die Linkspartei seit Jahren. Und solange sie noch dabei ist, gehen andere. So wie an diesem Freitag der stellvertretende Landesvorsitzende der Linken in Brandenburg, Justin König. „Warum lässt sich ausgerechnet eine linke Partei vom Gedankengut um Wagenknecht treiben?“, schreibt König in seiner Austrittserklärung.

„Eine Klärung würde vielleicht manches leichter machen“, sagte die ­Linken-Vizechefin Katina Schubert der Deutschen Presse-Agentur. Wagenknecht mache schon lange keine Politik mehr für die Linke, ihr Geschäftsmodell sei vielmehr, „gegen die Partei zu hetzen“ und „von der Seitenlinie Leute zu diffamieren und schlechtzumachen“. Schubert, die auch Berliner Landesvorsitzende ist, ließ keinen Zweifel daran, dass sie Wagenknecht keine Träne nachweinen würde: „Ich sag’s mal so: Reisende soll man nicht aufhalten.“

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