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: Ein kühner Move ist nötig

Die rot-grün-rote Koalition leidet weniger am Wahlergebnis als an Franziska Giffey. Für die Nachfolge drängt sich ein Kandidat förmlich auf

Das Wahlergebnis in Berlin ist abstrus. Und wird durch die neuesten Nachzählungen, nach denen jetzt sogar ein Losentscheid über Fraktionsgrößen entscheiden könnte, nicht besser. Aber auch ohne solche Abstrusitäten geht hier einiges durcheinander. Da ist zum Beispiel die CDU, die nicht müde wird, den Wahlausgang als Regierungsauftrag für sich zu reklamieren. Dass die Union das so macht – geschenkt. Doch wie viele in der Stadt da mitziehen, irritiert denn schon.

Klar, die CDU hat 10 Prozentpunkte hinzugewonnen. Das liegt aber vor allem daran, dass sie in den letzten 20 Jahren so tief gesackt war, dass es kaum noch weiter runtergehen konnte.

Die Union ist ein Scheinriese. Sie hat nur das Glück, dass sich die Stimmen in Berlin seit 2011 so gleichmäßig auf die Parteien verteilen, dass keine mehr über die einst für „Große“ mindestens üblichen 30 Prozent gekommen ist. Wenn alle am Boden liegen, wirkt der, der ein wenig den Kopf heben kann, plötzlich ganz groß. Mehr aber auch nicht.

Tatsächlich weiterhin groß hingegen wäre eine rot-grün-rote Koalition. Klar, sie hat ein paar Prozent verloren. Aber insgesamt stimmten immer noch 49 Prozent der Ber­li­ne­r:in­nen für das amtierende Regierungsbündnis. Im Abgeordnetenhaus hätte es weiter eine stabile Mehrheit.

Dass sie nicht automatisch als erneute Regierung gesehen wird, sondern als Verliererin, liegt aber nicht nur daran, dass sie 2021 noch stärker war. Es liegt vor allem an dem Bild, das R2G in den letzten anderthalb Jahren von sich abgegeben hat. Und damit wären wir bei Franziska Giffey.

Die SPD-Politikerin wäre die perfekte Regierende Bürgermeisterin – wenn sie denn eine SPD-geführte Große Koalition führen würde. Als Chefin des linken Dreierbündnisses ist sie jedoch eine Fehlbesetzung. Sie steht für vieles, für eins aber bestimmt nicht: für eine progressive Politik, die die Probleme der Stadt mit links erledigt.

Nun könnte der eigentlich als links geltende und somit für Rot-Grün-Rot stehende SPD-Landesverband ja das Wahlergebnis nutzen, um Giffey aus dem Fokus zu nehmen. Doch dafür müsste die SPD als kleine Partnerin der CDU ins Rote Rathaus verhelfen. Und was daran gut sein soll für Berlin, bleibt schleierhaft.

Das wäre ja noch abstruser als eine schwarz-grüne Koalition, die von vielen Rechenkünstlern nun als logische Brücke zwischen Innenstadt und Außenbezirken gepriesen wird. Denn was bitte sollte diese Koalition der Gegensätze den zustande bringen? Ein paar Radwege für die Innenstadt und Autobahnen für den Rest?

Also doch weiter so mit Rot-Grün-Rot? Wäre es gut, ein Bündnis fortsetzen, dass offensichtlich so nicht harmonisiert? Dann kann man die Idee R2G spätestens bei der nächsten Wahl im Jahr 2026 endgültig in die Tonne treten.

Und das betrifft dann keineswegs nur Berlin. Denn als R2G 2016 erstmals gemeinsam das Rote Rathaus übernahm, da galt diese Konstellation zu Recht auch als politische Alternative für Deutschland. Als Hoffnung aller irgendwie links denkenden Menschen, dass es in diesem Land mal tatsächlich zu einer durchgreifenden politischen Wende kommen kann, wenn die drei irgendwie linken Parteien sich mal zusammenraufen, statt immer nur zusammen zu raufen.

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Gereon Asmuth

leitet das Ressort taz-Regie, das sich um die zentrale Themenplanung Online und Print kümmert. Von 2005 bis 2011 war er Leiter der taz-Berlin-Redaktion.

Wenn es jedoch mehr als berechtigte Kritik an der Performance von Rot-Grün-Rot gibt, aber auch die sich rechnerisch anbietenden Alternativen alles andere als Besserung versprechen, was dann?

Dann bleibt immer noch der Versuch, Rot-Grün-Rot mal als inspirierenden Pakt ernst zu nehmen. Mit einer Regierungschef:in, die nicht wie Giffey sichtlich mit dem Projekt fremdelt, sondern mit einer Person, die den Esprit eines solchen Trios ausstrahlen würde, weil Haltung und Projekt im Einklang sind. Der man abnimmt, dass sie rote Socken als Auszeichnung sieht.

Der Witz daran ist: So jemand wäre gar nicht so schwer zu finden. Es gibt ihn sogar in der Berliner SPD. Er heißt: Kevin Kühnert.

Einziges Problem: Der aktuelle SPD-Generalsekretär dürfte sich nicht mehr demonstrativ hinter Giffey stellen, sich nicht mehr hinter ihrem Rücken verstecken. Er müsste mit der Chuzpe, die er einst als Juso-Chef an den Tag legte, die Chance beim Schopfe ergreifen und sich vor Giffey ­drängen.

Kühnert hätte, anders als Giffey, keinen Amtsmalus. Er hätte auch nicht den Makel eines Wahlverlierers. Er könnte ein Bündnis führen, in dem die Linke Garant für eine einigermaßen menschliche Flüchtlingspolitik bleibt und kein Rückfall in das inhumane Chaos droht, das 2015 ein CDU-Senator zu verantworten hatte.

In dem die Grünen die aus klimapolitischen Gründen überfällige Verkehrswende durchziehen, statt sich nur mit dem Koalitionspartner zu streiten.

Und in dem die SPD endlich begreift, dass Mietenpolitik so heißt, weil es um die Mie­te­r:in­nen geht – und nicht um die Spekulationsinteressen der Immobilienbranche.

Es gibt die richtige Person für den Posten der Re­gie­rungs­che­f:in sogar in der Berliner SPD. Sie heißt: Kevin Kühnert

Selbstverständlich wäre der Kühnert-Move ein Wagnis. Nicht weil der Kevin zu unerfahren oder zu jung wäre. In anderen Staaten führen Menschen seines Alters längst Landesregierungen. Aber ein Rot-Grün-Rot unter Kühnert könnte scheitern, weil es tatsächlich etwas Neues wäre in Deutschland. Eine linke Regierung, die von einem Linken geführt wird, um linke Politik zu machen.

Das könnte sogar Strahlkraft entwickeln, deutlich über Berlin hinaus. Denn es würde zeigen, dass ein Dreierbündnis, das sich Fortschrittskoalition nennt, tatsächlich auch fortschrittlich sein kann, wenn nicht dauernd diese FDP den Karren in die falsche Richtung zerren würde.

Zeit dafür wäre es. Und vielleicht sogar die letzte Chance. Denn wenn die Koalition einfach unter Giffey weitermachen würde, inklusive des bekannten Gezerres, dann würde die Idee R2G endgültig vor die Wand gefahren.