: Hier muss schnell ganz viel raus
Anton Slepakov und Andrii Sokolov aus Kiew stellten im „Hotel Continental“ ihr Album zum Ukrainekrieg vor
Von Andreas Hartmann
Die Beats und abstrakten Elektronikklänge klackern permanent. Schier atemlos werden dazu Geschichten erzählt. Geschichten aus der Heimat, der Ukraine, einem Land, das der Aggressor aus der Nachbarschaft verschlingen möchte. Es ist im weitesten Sinne HipHop, was Anton Slepakov und Andrii Sokolov aus Kiew hier im „Hotel Continental“ aufführen, dem „Kunstort im Exil“, der in Alt-Treptow in einer ehemaligen Pianofabrik eingerichtet wurde, um Kunstschaffenden aus der Ukraine eine Plattform zu geben.
Aber wirklich rappen tut Anton Slepakov nicht zum Sound, den sein Kollege Andrii Sokolov aus dem Laptop und ein paar weiteren Gerätschaften holt. Er erzählt einfach, ohne Reime und Refrains. Wahrscheinlich gibt es einfach zu viel zu berichten über den Krieg und den unfassbaren Grausamkeiten, um die Gedankenströme von unnötigen Wortwiederholungen aufhalten zu lassen. Hier muss einfach ganz schnell ganz viel raus. „Warnyakannya“, das Album, das die beiden Musiker schon kurz nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine veröffentlicht haben, ist Selbsttherapie und Aufklärungsmedium in einem und wird nun auf einer kleinen Europatour, die noch bis Mitte März läuft, präsentiert.
Das Konzert richtet sich vor allem an die ukrainische Community in Berlin. Neben mir sitzt eine junge Frau mit einem Deutsch-Lehrbuch auf dem Schoß. Auf ihrem Handy prangt ein Aufkleber, auf dem steht: „Nettigkeit kann die Welt verändern“.
Seine Texte trägt Slepakov auf Ukrainisch vor, während auf der Leinwand hinter ihm Visuals gezeigt werden – etwa Aufnahmen von Überwachungskameras, die plündernde russische Soldaten zeigen – und die englischen Übersetzungen der Texte mitlaufen. Es geht darin um Ausgangssperren, die von 23 Uhr bis 5 Uhr morgens gelten. Um Zerstörungen, „die nicht mehr repariert werden können“. Aber auch um Ameisen, die ganz offensichtlich als Metapher für die Ukrainer herhalten dürfen. Um Ameisen, die sich organisieren und zusammenhalten, um so besser gegen einen Feind von außen bestehen zu können. Zahlenmäßig groß ist das Publikum nicht, rund 30 Leute sind in dem kleinen Raum anwesend. Aber dafür wird nach jedem Stück um so ausgiebiger geklatscht. Man spürt irgendwie Dankbarkeit, dass sich die beiden Musiker aus der Ukraine aufgemacht haben, um in Berlin im Rahmen eines Konzerts ein Gemeinschaftsgefühl entstehen zu lassen.
Gräueltaten in der Heimat
Dabei ist es wirklich anstrengend, dieses durchzustehen. Die beiden Musiker da vorne sehen ihre Aufgabe offensichtlich nicht darin, zwei Stunden lang Ablenkung von den Gräueln in der Heimat zu ermöglichen, sondern ganz im Gegenteil. Nach dem Auftritt hat man noch die Möglichkeit, ein paar Worte mit Beatbastler Andrii Sokolov zu wechseln. Der spricht dann auch nicht von einer Tour, auf der man sich gerade befinde, sondern von einer „Mission“ zur Rettung der Ukraine. Spenden werden erbeten für die Organisation „Musicians Defend Ukraine“. Und das Konzert endet mit Anton Slepakovs Worten in gebrochenem Deutsch: „Danke an alle, die der Ukraine helfen und den Sieg bringen.“ Später sitzt man dann vor dem Fernseher und sieht Sahra Wagenknecht mal wieder bei Markus Lanz rumhocken und wie sie einmal mehr ihr Programm von der bösen Nato bis hin zu ihrem Geschwätz vom Frieden abspult, der sofort und auf der Stelle eintreten möge. Wie sie relativiert und die Ukraine schlechtredet! Vielleicht sollte sie sich mal mit Ukrainern wie diesen hier unterhalten. Die wollen nämlich nicht von Putin geknechtet werden, sondern ihr Land befreit sehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen