Und jetzt noch mal von vorne, Berlin!

Am Sonntag steigt die erste Wiederholungswahl der Republik. Verstehe einer diese Stadt! Schon diese eine Straße ist kaum zu fassen. Sie ist längst ein Politikum

Von Anna Klöpper

Schaut man von ferne auf diese Stadt, auf dieses Berlin, dann kann man schon mal denken: Was machen die da eigentlich in der Hauptstadt? Wenn Neukölln nach den Coronajahren mal wieder Silvester feiert, hat gleich die ganze Republik eine Debatte über Jugendgewalt inklusive Friedrich Merz am Hals. Und eine Wahl kriegen sie irgendwie auch nicht unfallfrei hin, diese Berliner*innen. Die Wiederholungswahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am Sonntag findet deshalb statt, weil das Chaos in den Wahllokalen im Herbst 2021 so groß war, dass hinterher niemand mehr durchblickte: Sitzen da jetzt tatsächlich die richtigen Leute im Parlament? Noch mal von vorne, zurück auf Los, sagte deshalb das Landesverfassungsgericht im Herbst 2022.

Wer über dieses Berlin schon immer milde erstaunt den Kopf geschüttelt hat – am liebsten tun das übrigens die Ber­li­ne­r*in­nen selbst –, braucht also bloß bis Silvester zurück- und bis zum Sonntag vorauszublicken. Oder unseren Au­to­r*in­nen auf die Sonnenallee zu folgen. Auf kaum einer anderen Straße in Berlin kommt so viel Wunderbares und Schreckliches zusammen wie hier in Neukölln: Silvesterrandale, schlechte Radwege, guter Döner. Ein überdimensioniertes Warenhaus, das bald noch viel überdimensionierter aussehen soll. Eine schmerzlich vermisste Mietpreisbremse. Die Sonnenallee beschäftigt diese Stadt eigentlich immer. Manchen bleibt sie für immer fern, wie dieses Berlin überhaupt, anderen wird sie Heimat.

Wer genau hinschaut, entdeckt natürlich all die Grautöne hinter der plakativen Schwarz-Weiß-Malerei, die bei der Sonnenallee immer naheliegt. Franziska Giffey, die Regierende Bürgermeisterin und SPD-Spitzenkandidatin für die Wahl am Sonntag, weiß das. Sie war hier erst Schulstadträtin, dann Bezirksbürgermeisterin, bevor sie Bundesfamilienministerin wurde. Als die Debatte über die Silvesterrandale hochkochte, als der CDU-Bundesvorsitzende Merz über „kleine Paschas“ schwadronierte, denen man mal die Meinung geigen müsste – da versenkte sie diese überhitzte, teils unerträglich rassistisch geführte Diskussion schnell in einen Arbeitskreis zum Thema Jugendgewalt.

Dass das nicht nur Wahlkampftaktik war – Giffey, die Durch-Regierende, die Macherin – wurde klar, als auch viele Akteure aus der Jugendhilfe sagten: Guter Ansatz, macht Sinn, müssen wir eh mal drüber sprechen (und am besten nicht nur zu Silvester).

Erstaunlich für viele Beobachter*innen: Franziska Giffey konnte ihr souveränes Agieren nicht in gute Umfragewerte vor der Wahl ummünzen

Erstaunlich war für viele politische Beobachter*innen: Giffey konnte ihr souveränes Agieren nicht in gute Umfragewerte vor der Wahl ummünzen. Im Gegenteil, die CDU liegt inzwischen mit je nach Umfrageinstitut 24 bis 26 Prozent deutlich vor SPD und Grünen, die gleichauf jeweils zwischen 17 und 21 Prozent Zustimmung bekommen.

Platt rassistisch hatte die Berliner CDU-Fraktion nach Silvester die Vornamen der vermeintlichen Täter von der Innenverwaltung erfragen wollen. Offensichtlich denkt die Berliner CDU über einen Mehmet anders als über einen Markus. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner distanzierte sich nicht klar von dieser Vornamenabfrage. Der potenzielle Wahlsieger am Sonntag, er ist vermutlich auch so einer, der die Sonnenallee nie verstehen wird. Leider verstehen wiederum erstaunlich viele Ber­li­ne­r*in­nen Kai Wegners CDU.

Ob dieses Mal nach der Wahl dann die „richtigen“ Leute im Abgeordnetenhaus sitzen? Schön ist: die Sonnenallee wird bleiben, wo sie ist. Der Döner wird gut bleiben. Mehr Fahrradwege wären toll.