Park Chan-wooks „Die Frau im Nebel“: „Rache spielt eine wichtige Rolle“

Ein Kriminalbeamter, der freundlich auftritt: Im Interview erklärt der südkoreanische Regisseur Park Chan-wook, was ihn beim Filmemachen inspiriert.

Links eine Frau, rechts ein Mann in einem Büro. Beide halten Zahnbürsten in der Hand

Tang Wei und Park Hae-il spielen die Hauptrollen in diesem Krimi Foto: Plaion Pictures

Spätestens seit sein Militärthriller „Joint Security Area“ in der Heimat mehr als sechs Millionen Be­su­che­r*in­nen anlockte und im Wettbewerb der Berlinale zu sehen war, gilt Park Chan-wook als einer der ganz Großen im südkoreanischen Kino. Für seinen neuen Film, „Die Frau im Nebel“, in dem sich ein Kommissar in eine geheimnisvolle und womöglich verdächtige Witwe verliebt, wurde der 59-Jährige im vergangenen Mai in Cannes mit dem Regiepreis ausgezeichnet.

taz: Herr Park, zuletzt widmeten Sie sich mit dem Film „Die Taschendiebin“ oder der Serie „Die Libelle“ bevorzugt Roman­adaptionen. Was diente als Inspiration für Ihren neuen Film „Die Frau im Nebel“?

Park Chan-wook: Eine erste Inspiration war auch dieses Mal literarischer Art. Schon als Schüler hatte ich zum ersten Mal begeistert einen Roman der schwedischen Reihe „Roman über ein Verbrechen“ gelesen, über den Polizeiermittler Martin Beck. Vor einigen Jahren wurde endlich auch der Rest der Bücher ins Koreanische übersetzt und ich habe sie alle verschlungen. Sie weckten in mir das Interesse, einen Film zu drehen mit einem Kriminalbeamten als Protagonisten, der sanft und freundlich auftritt und selbst Verdächtigen gegenüber rücksichtsvoll ist. Das ist ja im Kino eher eine Seltenheit. Doch die Idee für den Film speiste sich am Ende auch noch aus einer zweiten, musikalischen Quelle.

Nämlich welcher?

„Die Frau im Nebel“. Regie: Park Chan-wook. Mit Tang Wei, Park Hae-il u. a. Südkorea 2022, 138 Min.

Das war ein Zufallsfund, als ich mal wieder eines meiner absoluten Lieblingslieder überhaupt hörte, einen Song, dessen Titel übersetzt „Nebel“ heißt. Es wurde ursprünglich von Jung Hoon Hee gesungen, einer der berühmtesten koreanischen Sängerinnen überhaupt, und ich hörte es schon in meiner Kindheit. Ich suchte es auf Youtube und war aufs Neue hingerissen. Aber danach schlug mir der Algorithmus eine Coverversion des gleichen Liedes vor, die ich noch nicht kannte. Dabei wurde die von Song Chang-sik gesungen, einem meiner liebsten Sänger. Der Text und die Stimmung des Liedes ließen mich sofort an einen Liebesfilm denken, und sofort entstanden Bilder vor meinem geistigen Auge, von einer Stadt im Nebel, großen Gefühlen und dem Zusammenspiel dieser beiden verschiedenen Versionen des Songs, weiblich und männlich. Aus all diesen Ideen wurde am Ende „Die Frau im Nebel“. Am Ende nahmen dann Jung Hoon Hee und Song Chang-sik eine gemeinsame Version des besagten Songs auf, extra für den Film. Dafür allein hat es sich gelohnt, ihn zu drehen.

Berühmt wurden Sie nicht zuletzt mit „Sympathy for Mr. Vengeance“, „Oldboy“ und „Lady Vengeance“, Ihrer Rache-Trilogie. Interessiert Sie inzwischen die Liebe mehr als die Rache?

Nicht generell. Rache spielt immer noch eine wichtige Rolle in vielen meiner Geschichten, wenn ich so überlege, welche Stoffe alle schon in meiner Schublade liegen. Aber dass „Die Frau im Nebel“ nun eine ganz andere Art Film ist, war natürlich genau die Art Herausforderung, die mich interessierte. Sich einfach darauf zu verlassen, was man gut kann und was sich bewährt hat, ist mir auf Dauer zu simpel. Für „Die Frau im Nebel“ wollte ich zu den fundamentalen Bestandteilen des Kinos zurückkehren, auf Action und alles Ablenkende verzichten und das Publikum mit ganz schlichten Mitteln von meiner Geschichte überzeugen.

Hatten Sie auch das Gefühl, das Publikum nach den schwierigen Jahren der Pandemie vielleicht in Sachen Brutalität ein wenig verschonen zu wollen?

Das nun überhaupt nicht. Ich finde nicht, dass es die Aufgabe der Kunst ist, die Menschen zu schonen, egal wie hart die Zeiten da draußen gerade sind. Die Zartheit und Zurückhaltung, mit der ich bei diesem Film vorging, verdankte sich eher der Tatsache, dass ich von meinem Publikum die volle Aufmerksamkeit bekommen wollte. Mir geht es darum, die feinsten, subtilsten Gefühlsveränderungen sichtbar zu machen – und dafür waren Feingefühl und Reduzierung das A und O.

Sind Sie einverstanden, wenn man „Die Frau im Nebel“ in die Nähe des Film Noir rückt?

Sagen wir es so: Ich sträube mich nicht dagegen. Und liebe gerade die Neo-Noirs der goldenen Ära Hollywoods. Daran gedacht habe ich beim Schreiben des Drehbuchs allerdings nicht bewusst. Ich hatte eher große Liebesdramen im Sinn und empfahl meiner Ko-Autorin Jeong Seo-kyeong zum Beispiel David Leans Film „Begegnung“ zur Inspiration.

Würden Sie eigentlich sagen, dass Sie mit Ihrer Arbeit auch immer etwas über Korea erzählen wollen?

Nicht per se. Ich würde sagen, dass ich viele Filme gedreht habe, die dezidiert auch etwas über die koreanische Gesellschaft oder ihre Geschichte vermitteln wollten. „Joint Security Area“ zum Beispiel, aber auch „Sympathy for Mr. Vengeance“, „Lady Vengeance“ oder „Die Taschendiebin“, wo es um die Zeit der japanischen Besetzung geht. Aber in anderen Filmen – von „Oldboy“ über „Durst“ bis nun zu „Die Frau im Nebel“ – interessieren mich eher fundamentale, universelle menschliche Emotionen und Bedürfnisse, die sich sicherlich nicht auf Korea beschränken.

Das Interesse an koreanischen Geschichten ist dank „Parasite“ oder „Squid Games“ größer denn je. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich weiß gar nicht, ob es eine gibt. Aber sicherlich kommen da zwei Dinge zusammen zu einer glücklichen Fügung. Einerseits ist die kreative Vielfalt in Korea über die Jahre immer weiter gewachsen; es werden sehr unterschiedliche Geschichten erzählt, die sich an verschiedene Gruppen von Zuschauerinnen und Zuschauern richten. Andererseits scheint gleichzeitig im Rest der Welt die Bereitschaft zu wachsen, sich anderen Kulturen gegenüber zu öffnen und nicht nur Geschichten aus dem englischen Sprachraum zu konsumieren. Selbst in den USA!

Die Presse schreibt spätestens seit „Parasite“ eine Art Konkurrenzkampf zwischen Ihnen und Bong Joon-ho herbei.

Da muss ich immer lachen, denn wenn das wirklich ein Wettbewerb wäre, hätte ich doch längst verloren. Von direkter Konkurrenz kann man da längst nicht mehr sprechen. Aber sowieso ist das natürlich Quatsch, denn unsere Familien kennen sich gut und wir haben viele gemeinsame Freunde. Rivalität gibt es also keine. Im Gegenteil freue ich mich enorm, zu sehen, wie dieser fantastische Regisseur, der aus der selben Stadt kommt wie ich, parallel zu meiner Karriere ebenfalls Erfolge feiert. Tolle Filme von großartigen Kollegen zu sehen, stimuliert meine Kreativität, sonst nichts.

Sie selbst inszenieren jetzt seit 30 Jahren Filme. Hat sich Ihre Herangehensweise an den Beruf über die Zeit verändert?

Im Großen und Ganzen nicht, würde ich sagen. Ich bin mit der gleichen Leidenschaft Regisseur, mit der ich es früher war, und auch bei der Wahl meiner Stoffe beschäftigen mich die gleichen Leitfäden. Inhaltlich sind meine Interessen breit gestreut, aber ich stelle mir bei jeder Idee die beiden gleichen Fragen. Zunächst muss ich mir sicher sein, dass ich mir die Prämisse – ganz gleich, ob sie einem Roman entstammt oder ich sie mir ausgedacht habe – wirklich als Film vorstellen kann und auch ansehen würde. Und dann ist natürlich auch entscheidend, ob ich mit dieser Geschichte wirklich die zweieinhalb Jahre meines Lebens verbringen möchte, die es in der Regel dauert, einen Film vorzubereiten und zu drehen.

Aber ist der Park Chan-wook, der „Oldboy“ gedreht hat, noch der gleiche, der nun für „Die Frau im Nebel“ verantwortlich zeichnet?

Wenn Sie mich fragen: absolut. Ich bin älter geworden und habe neue Erfahrungen gesammelt. Aber ich bin kein anderer als früher. Gleichzeitig halte ich aber auch nicht viel davon, sich den Kopf zu zerbrechen über die Psyche eines Künstlers. Natürlich kann man anhand ihrer Werke versuchen, Kafka oder Hitchcock als Personen zu analysieren. Doch warum sollte man das tun? Das raubt doch nur die Aufmerksamkeit, die man viel besser auf ihre großartigen Arbeiten richten könnte. Im Zweifel zerbrechen Sie sich also lieber den Kopf über meine Figuren als über mich.

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