Putschversuch in Brasilien: Aufklärung nach dem Schock
In ganz Brasilien gehen Menschen auf die Straßen und fordern harte Strafen für die Putschisten. Präsident Lula besichtigt den zerstörten Plenarsaal.
Costa steht auf dem Cinelândia-Platz im Zentrum Rio de Janeiros. Einige tausend Demonstrant*innen haben sich zwischen dem hell angestrahlten Gebäude des Stadtrates und dem altehrwürdigen Stadttheater eingefunden. Immer wieder schallte es über den Platz: „Keine Amnestie, keine Amnestie!“ Viele sind wütend. Denn am Sonntag erlebte Brasilien eine der dunkelsten Stunden seit der Rückkehr zur Demokratie im Jahr 1985.
Tausende Anhänger*innen des rechtsextremen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro hatten das Regierungsviertel gestürmt. Einige hundert drangen in das Kongressgebäude, den Obersten Gerichtshof und den Präsidentenpalast ein. Sie legten Feuer, zerstörten Kunstwerke, urinierten in Büros und prügelten auf Journalist*innen ein. Es entstand ein erheblicher Sachschaden an, wie Videos und Fotos in den sozialen Medien zeigen.
Am 30. Oktober hatte Bolsonaro die Stichwahl gegen den Sozialdemokraten Luiz Inácio Lula da Silva verloren. Seit der Niederlage demonstrieren die Anhänger*innen Bolsonaros gegen die Wahlergebnisse. Viele glauben, die Wahl sei gestohlen worden – obwohl es dafür keinerlei Anhaltspunkte gibt. Am Neujahrstag war Lula feierlich in Brasília vereidigt worden, Hunderttausende bejubelten den Regierungswechsel.
1.200 Bolsonaro-Fans festgenommen
Besonders in der Kritik stehen Teile der Sicherheitskräfte. Einige Polizist*innen paktierten mit den rechtsextremen Demonstrierenden, ließen sie in das Regierungsviertel vordringen und posierten sogar gut gelaunt mit rechten Fanatiker*innen. Dennoch gelang es noch am Sonntagabend, die Lage unter Kontrolle bringen. Am Montagabend erklärte Justizminister Flávio Dino: „Wir glauben, dass das Schlimmste vorbei ist.“
Fast alle politischen Kräfte Brasiliens verurteilten die Angriffe scharf. In den brasilianischen Medien werden die Angreifer*innen als „Terroristen“ bezeichnet. Regierungsvertreter*innen versprachen eine lückenlose Aufklärung und fordern eine harte Bestrafung für die Eindringlinge.
Am Montagmorgen ordnete Verfassungsrichter Alexandre de Moraes an, Protestcamps von Bolsonaro-Anhänger*innen räumen zu lassen. Rund 1.200 Bolsonaro-Fans wurden in Brasília festgenommen und in ein Gebäude der Bundespolizei gebracht. Die Beschuldigten könnten unter anderem wegen terroristischer Aktivitäten und Bildung einer krimineller Vereinigung angeklagt werden.
Justizminister Dino erklärte, man werde die Hintermänner der Putsch-Proteste finden. Laut Dino sollen bereits in zehn Bundesstaaten Auftraggeber*innen ermittelt worden sein, die die Gewaltakte finanziert haben sollen. „Die entschiedene Reaktion unseres Justizministers war in dieser angespannten Situation extrem wichtig“, sagte Elika Takimoto, Landtagsabgeordnete der Arbeiterpartei PT, der taz.
US-Abgeordnete wollen Bolsnoaro ausweisen
Auch Internetnutzer*innen wollen bei der Aufklärung helfen. In den sozialen Medien erschufen sie Profile, wo sie Fotos von Eindringlingen posteten, um so Täter*innen ausfindig zu machen. Brasiliens Präsident Lula traf sich am Montagabend mit den 27 Gouverneur*innen der Bundesstaaten und erklärte: „Sie wollen einen Putsch, aber es wird keinen Putsch geben.“ Nach dem Treffen liefen Lula und die Gouverneur*innen händehaltend zum Obersten Gerichtshof und besichtigten den zerstörten Plenarsaal.
Ex-Präsident Bolsonaro hatte sich bereits am 30. Dezember in die USA abgesetzt, offenbar aus Angst vor einer Strafverfolgung wegen seiner Coronapolitik. Mehrere US-amerikanische Abgeordnete wollen nun versuchen, ihn aus den USA auszuweisen. Ende Januar dürfte sein Visum auslaufen.
Am Sonntag kritisierte Bolsonaro bei Twitter zwar die Angriffe seiner Unterstützer*innen, allerdings machen ihn viele für die Gewalt mitverantwortlich. So auch Luciane Costa, die Demonstrantin aus Rio de Janeiro. „Er hat die volle Verantwortung und muss bestraft werden.“
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