: Wie die Ampel Berlin ärgert
Zwei der drei Parteien, die in Berlin koalieren, regieren auch im Bund mit. Dennoch verhindert die Ampel immer wieder Vorhaben von Rot-Grün-Rot. Nicht nur die FDP fällt dabei negativ auf, sondern auch die SPD. Drei Beispiele
Von Gareth Joswig, Bert Schulz und Manuela Heim
Für die Immobilienlobby
Vor Wahlkämpfen auch im Bund wird regelmäßig von der Wohnungsfrage als der wichtigsten sozialen Frage gesprochen. Große Versprechungen haben vor der Bundestagswahl SPD und Grüne gemacht, doch nach den Koalitionsverhandlungen mit der FDP warfen sie das Mietenmoratorium oder den Mietendeckel kurzerhand über Bord. Lediglich eine Senkung der Kappungsgrenzen wurde vereinbart sowie eine Verlängerung der Mietpreisbremse, die ohnehin seit Jahren nicht zieht.
In den Rettungspaketen im Zuge der Energiekrise war dann immerhin noch eine Ausweitung des Wohngelds drin, die allerdings letztlich auch nichts anderes ist als eine Umverteilung von unten nach oben. Soll heißen: Wirklich wirksame Regelungen zur Mietpreisbegrenzung gibt es auch weiter nicht, das hat sich mit der Ampel nicht geändert. Dabei wäre es so schwer nicht: Man könnte mietrechtliche Regelungen für Länderrecht öffnen und so lokal ermöglichen, wirksame Maßnahmen wie Mietendeckel oder Ähnliches zu verabschieden.
Besonders krass sind die wohnungspolitischen Versäumnisse der Ampel im Bereich Vorkaufsrecht: Die FDP blockiert seit Monaten eine einfache Wiederherstellung der seit einem Urteil schlichtweg ausgesetzten Notlösung von Kommunen, sich gegen einen spekulativen Ausverkauf zu wehren. Seitdem sind der Spekulation auch in besonders angespannten Wohnungsmärkten Tür und Tor geöffnet. Sogar sozialgerechte Abwendungsvereinbarungen werden nun von Vermieter*innen angegriffen. Kurzum: Nicht mal das aufwändige und teure kommunale Vorkaufsrecht kann von Bezirken noch gezogen werden.
Letztlich bleibt Berlin damit nur die Vergesellschaftung großer privater Wohnungsbestände. Denn die könnte laut der Linken-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung tatsächlich eine dämpfende Wirkung auf die Rekordmieten haben. Und Vergesellschaftung auf Basis des Grundgesetzparagrafen ist eben noch nicht auf Bundesebene geregelt (anders als Mietpreisregelungen, weswegen der Mietendeckel scheiterte). Berlin dürfte deswegen die Kompetenz haben, erstmals ein Enteignungsgesetz zu verabschieden. Das müsste bloß endlich die SPD verstehen.
Bau von Autobahnen
Mit dem Bau von Autobahnen lassen sich Wähler*innen gewinnen, das ist in Deutschland bestens bekannt seit den dunklen 1930ern. Vielleicht liegt es daran, dass ausgerechnet in der vergangenen Woche, mitten in der heißen Phase des Berliner Wahlkampfs, bekannt wurde, dass Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) ein Ingenieurbüro mit den Planungen für den umstrittenen 17. Bauabschnitt der Stadtautobahn 100 beauftragt hat. 2035 soll dieses letzte Stück der A100, das teils unterirdisch quer durch die dicht bebauten Altbauquartiere Friedrichhains führt, fertig sein.
Das ist ein doppelter Affront: Im Koalitionsvertrag der Ampel wird ein solcher Weiterbau eigentlich ausgeschlossen. Zudem hat sich der rot-grün-rote Berliner Senat Ende Dezember geschlossen gegen diesen Milliarden Euro teuren Bauabschnitt ausgesprochen: Nachdem die SPD-Basis auf einem Parteitag im Juli einen entsprechenden Antrag mit deutlicher Mehrheit angenommen hatte, blieb der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD), die sich lange nicht festlegen wollte bei diesem Thema, nichts anderes übrig.
Doch Wissing will die A 100 offenbar sogar gegen die erklärte Ablehnung des Landes durchdrücken. Dummerweise ist der Bau von Autobahnen Angelegenheit des Bundes, wird von diesem finanziert und etwa im Verkehrswegeplan und Bundesfernstraßengesetz festgelegt – Berlin müsste also in die Trickkiste greifen und etwa die Flächennutzungspläne für die derzeit frei gehaltenen Flächen entsprechend ändern.
Noch versucht Rot-Grün-Rot mit Appellen, Wissing aufzuhalten. „Diese Verkehrspolitik ist rückwärtsgewandt“, erklärte Verkehrssenatorin Bettina Jarasch am Donnerstag im Abgeordnetenhaus. Wenn der Bund auch im Bereich Verkehr die selbst gesteckten Klimaziele einhalten wolle, müsse er statt in den Bau von Straßen in die Schiene investieren. Jarasch warf Wissing die Verschwendung von Steuergeldern vor, da die Autobahn „nie kommen wird“.
Doch nicht nur der Verkehrsminister ist Autobahnfan. Auch die SPD-Fraktion im Bundestag will die entsprechenden Gesetze nicht ändern. Es reiche also nicht, in der Ampelkoalition den Druck auf Wissing zu erhöhen, sagt der grüne Berliner Bundestagsabgeordnete und Verkehrsexperte Stefan Gelbhaar. „Die SPD im Bundestag muss sich entscheiden, ob sie den eigenen Landesverband weiter düpieren will.“
Doch in den Knast
Es ist eins von Lena Krecks zentralen politischen Anliegen: Das System der Ersatzfreiheitsstrafen müsse überarbeitet werden. Dass Menschen, die eine Geldstrafe nicht bezahlen können, dafür im Gefängnis landen können, gilt nicht nur der linken Berliner Justizsenatorin als unzeitgemäß. Eine entsprechende Bundesratsinitiative unterstützt Berlin bereits seit 2019.
Auch die Ampelkoalition im Bund hat sich per Koalitionsvertrag zu einer grundlegenden Überarbeitung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafen verpflichtet. Justizminister Marco Buschmann (FDP) legte im Sommer einen Referentenentwurf vor, der eine Halbierung der Haftstrafen vorsieht: für zwei Tagessätze nicht bezahlte Geldstrafe wird dann nur noch ein Tag Haft fällig. Dieser erste Vorstoß sollte ursprünglich bereits im November im Bundestag beschlossen werden.
Doch dann rumorte es in der Ampelkoalition: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) befürchtete, dass auch Gewalttäter gegen Frauen von der Haftreduzierung profitieren könnten und die Zahlungsbereitschaft bei Geldstrafen nachlassen würde.
Aus der Praxis betrachtet eine krude Vorstellung: Es sind hauptsächlich alleinstehende Menschen am äußersten Rand der Gesellschaft – oft obdachlos, suchtgeschädigt oder psychisch erkrankt – die Ersatzfreiheitsstrafen verbüßen. Sie sind selbst zu Alternativen wie „Arbeit statt Strafe“ nicht in der Lage. Die wesentlichen Delikte: Beförderungserschleichung, also Fahren ohne Ticket und kleinere Diebstähle.
Im Dezember haben sich Faeser und Buschmann dann doch auf das „2 zu 1“-Modell geeinigt. Für die nächsten Wochen wird ein Beschluss im Bundestag erwartet.
Die versprochene grundlegende Überarbeitung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafen ist das aber noch lange nicht. Schon Krecks Vorgänger Dirk Behrendt (Grüne) strebte eine Entkriminalisierung wenigstens der Beförderungserschleichung an. Niemand sollte mehr wegen Fahrens ohne Ticket ins Gefängnis müssen. Neben Berlin stehen auch andere Bundesländer – wie etwa Bremen – hinter der Entkriminalisierung der Beförderungserschleichung. Zuletzt hatten sich auch unionsgeführte Länder aufgeschlossen gezeigt. Auch Bundesjustizminister Buschmann hatte eine grundsätzliche Überarbeitung des Systems der Ersatzfreiheitsstrafen für Anfang 2023 in Aussicht gestellt. Dass nun schon die Halbierung der Haftstrafen einige Überzeugungsarbeit innerhalb der Koalition gekostet hat, macht das Vorhaben nicht eben wahrscheinlicher. Eine Terminierung vonseiten des Ministeriums gibt es jedenfalls bislang nicht.
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