Horrorklassiker von T.E.D. Klein: Böses Erwachen

T.E.D. Klein verpasste dem Horror einen christlichen Hintergrund. Sein Klassiker „The Ceremonies“ erscheint jetzt neu auf Deutsch.

Ein brauner Umhang hängt an einem Haken, durch das Fenster ist der Giebel eines hellen Holzhauses zu sehen

Misogynes Um­feld:­ Klei­dung der Sekte der Shaker an der Ostküste der USA Foto: John Ewing/Portland Press Herald/Getty Images

Aberglaube und religiöser Irrationalismus, so erklärt in T.E.D. Kleins Roman „The Ceremonies“ ein Literaturwissenschaftler seinen Studierenden, sind bis heute quicklebendig. Und zwar keine Autostunde von New York entfernt. Als ein Student diese Behauptung für einen Scherz hält – der Roman spielt Anfang der 1980er Jahre, als man über das Treiben evangelikaler Sekten in den USA noch schmunzeln konnte –, stellt ihn Jeremy Freirs, Kleins Hauptfigur, auf die Probe.

Der Dozent bietet dem jungen Mann einen Dollar an. „Alles, was ich dafür haben will, fuhr er fort, ist eine schlichte Erklärung, unterschrieben und mit Datum versehen, dass Sie mir für einen Dollar Ihre unsterbliche Seele verkaufen.“

Unnötig zu sagen, dass aller gefühlten intellektuellen Überlegenheit zum Trotz der Student zu einer solchen Unterschrift nicht bereit ist. Das ist vielleicht die größte Überraschung bei der Lektüre der überarbeiteten Neuausgabe von T.E.D. Kleins „The Ceremonies“: wie sehr in diesem 1984 erschienenen Klassiker der Phantastischen Literatur (die deutsche Erstausgabe erschien zwei Jahre später unter dem Titel „Morgengrauen“) mit all seinem ruralen Horror die gesellschaftliche Spaltung der USA bereits antizipiert wird.

Gilead heißt der 50 Meilen von New York entfernte fiktive Ort im Hinterland New Jerseys, an dem Freirs die Ruhe finden will, um endlich seine Dissertation über den Schauerroman des 19. Jahrhunderts zu schreiben. Wer bei diesem Ortsnamen gleich an Margaret Atwoods Roman „The Handmaid’s Tale“ (1985) denkt, liegt nicht ganz falsch. Denn in Kleins Gilead leben die „Brethren of the Redeemer“, ein Häuflein wackerer christlicher Fundamentalisten, für die die berühmten Amish People nur eine bloße Touristenattraktion darstellen.

T.E.D. Klein: „The Ceremonies“. Aus dem Englischen von Dagmar Hartmann. Piper Verlag, München 2022, 528 Seiten, 24 Euro

Beklemmender Hintergrund

Das streng patriarchale, xenophobe und natürlich auch misogyne Umfeld („Keine Sorge“, verkündet einer der Brüder, beschämt vom vorlauten Mundwerk seiner Frau, „ich werde sie das Weinen lehren“) bildet über weite Strecken des Romans den beklemmenden atmosphärischen Hintergrund für die Ereignisse auf der Poroth-Farm. Dort, bei Sarr und Deborah Poroth, einem jungen frommen Ehepaar mit Geldproblemen, hat sich Kleins ungläubiger Protagonist für die Sommermonate eingemietet.

Ohne zu ahnen, was für eine Rolle ihm zugedacht wurde bei der von allerlei seltsamen Riten begleiteten Wiederauferstehung einer in den Wäldern Neuenglands schlummernden uralten Macht. Schon der Horrorexperte S. T. Joshi hat auf diese Besonderheit von Kleins Roman hingewiesen: „The Ceremonies“ verbindet auf brillante Weise den modernen psychologischen Realismus eines Stephen King oder Peter Straub mit dem kosmischen Horror eines H. P. Lovecraft oder Arthur Machen.

Für heutige Le­se­r:in­nen vielleicht spannender ist aber ein anderes Merkmal des Romans, nämlich die Inszenierung der unheimlichen Macht von Manipulation. Dabei ist das Erzähltempo zunächst durchaus gemächlich. Bis die Handlung an Fahrt gewinnt, sind die ersten hundert, zweihundert Seiten auch schon vorbei; hat sich aber das von langer Hand geplante Räderwerk erst einmal in Gang gesetzt, lässt sich der 500-Seiten-Roman nur noch schwer aus der Hand legen.

Ausbund an Menschenhass

Der Drahtzieher hinter den Kulissen, für den Jeremy Freirs nur ein „feistes, unwissendes Werkzeug“ ist, ist ein Ausbund an Menschenhass und hat viele Namen: Absolom Troet hieß er als Junge, als er vor über hundert Jahren seine Familie auslöschte, Aloysius Rosebottom nennt er sich als kauziger Spezialist für die folkloristischen Hintergründe der Gruselgeschichten des Walisers Arthur Machen (1863–1947).

Und von Carol Conklin, einer entlaufenen Nonne und jungen Bibliothekarin, seinem zweiten „Werkzeug“, lässt er sich „Rosie“ nennen und spielt ihr gegenüber den leicht trotteligen, scheinbar rührend um die junge Frau besorgten Alten.

Wie sehr er im Hintergrund alles arrangiert und dabei skrupellos ein Hindernis nach dem anderen aus dem Weg räumt, weiß nur die Leserschaft: Es war Rosie, der dem Dozenten zu Beginn den Aushang über die zu vermietende Ferienwohnung der Poroths zugeschanzt hat, und er ist es auch, der Jeremy mit Carol verkuppelt und dann darüber wacht, dass diese ihre Jungfräulichkeit nicht vorzeitig verliert, allen unbeholfenen Verführungsversuchen Jeremys zum Trotz.

Aufgestaute Sexualität

In der mitunter doch etwas Fremdscham verursachenden Beziehung zwischen dem dauerfrustrierten Dozenten und der erschütternd arglosen Bibliothekarin macht sich noch am ehesten das Alter des Romans bemerkbar. Zugleich aber durchzieht das Thema der unterdrückten, aufgestauten Sexualität konsequent diesen Roman, in dem Frauen nur zur Pflanzzeit das Haar offen tragen dürfen, vor und nach dem ehelichen Beischlaf brav gebetet wird und der prompt in einer Art orgiastisch-dämonischen Doppelpenetration gipfelt.

„The Ceremonies“ blieb bis heute der einzige Roman des 1947 geborenen New Yorkers T.E.D. Klein, der angeblich seither an einem „Writer’s block“ leidet. Vielleicht erinnert man sich beim Piper Verlag ja nun auch an Kleins legendären Novellenband „Dark Gods“ (1979).

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