Ein Königreich für die AfD

Die AfD verharmlost die Reichsbürger-Gruppe „Patriotische Union“ als „Rentner-Kombo“ und tut sich gleichzeitig mit Distanzierung schwer. Kein Wunder: Das Reichsbürger-Milieu ist Resonanzraum für die Partei. Besonders deutlich zeigt sich das im Stammland des Rechtsextremisten Björn Höcke

Razzia im Frankfurter Westend: Festnahme von „Prinz“ Heinrich von Reuß am 7. Dezember. Mindestens das Tweedsakko dürfte dem Ehrenvorsitzenden der AfD, Alexander Gauland, gefallen Foto: Boris Roessler/dpa

Von Gareth Joswig
und Sebastian Erb

Der Dachdecker Frank Haußner steht auf dem Marktplatz in Zeulenroda hinter einem Redepult, an dem eine Fahne mit dem Familienwappen des Adelsgeschlechts Reuß befestigt ist. Der Mann mit etwas schütterem grauem Haar heißt im thüringischen Dialekt mehrere Dutzend Demonstrierende mit Deutschland-, Russland- und Thüringenfahnen in der Kleinstadt willkommen. Oder wie er es nennt: „Zeulenroda in Ostthüringen, Fürstentum Reuß, ältere Linie.“

Haußner ruft: „Nein, die am vergangenen Mittwoch Festgenommenen waren keine verwirrten Kreise. […] Sie agierten in Sorge um die Zukunft unseres Volkes. Sie waren Akteure im Widerstand gegen ein Unrechtssystem, Teil der Wahrheitsbewegung, Teil der Freiheitsbewegung. Und sie sind es immer noch trotz Inhaftierung!“ Im Anschluss ziehen rund 150 Personen mit Fackeln, Trommeln und Trillerpfeifen durch Zeulenroda.

Haußner, offenkundig Anhänger des wegen Terrorverdachts festgenommenen „Prinzen“ Heinrich Reuß, bleibt diesem auch nach dessen Verhaftung treu. Er findet es offenbar nicht lustig, wenn man die Reichsbürgergruppe als „Verwirrte“ oder „Spinner“ darstellt. Sein 71-jähriger „Fürst“ ist zusammen mit 24 weiteren Personen in der Vorwoche als mutmaßliches Mitglied einer terroristischen Vereinigung namens „Patriotische Union“ inhaftiert worden. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt bislang gegen 52 Verdächtige unter anderem wegen eines geplanten gewaltsamen Umsturzes der Bundesregierung.

Neben ehemaligen und aktiven Soldaten und Po­li­zis­ten sind auch drei ehemalige und aktuelle AfD-Mitglieder unter den Verhafteten. Deswegen wird nicht nur die Verschärfung des Disziplinar- und Waffenrechts diskutiert, sondern auch ein AfD-Verbot – etwa von dem thüringischen SPD-Innenminister Georg Maier, der die Vorbereitung eines solchen Verfahrens in der taz forderte.

Eines der mutmaßlichen Gruppenmitglieder, die ehemalige AfD-Abgeordnete und Berliner Richterin Birgit Malsack-Winkemann, besaß bis zuletzt noch einen Hausausweis für den Bundestag. Die Gruppe hatte offenbar geplant, mit zwei Dutzend Bewaffneten das Parlament zu stürmen und Abgeordnete in Handschellen zu legen. Die Ortskenntnis der 58-Jährigen wäre von Vorteil gewesen. Sie soll als Sportschützin selbst legal zwei Waffen besitzen.

Der Bundestag will nun nach taz-Informationen seine Sicherheitsmaßnahmen verschärfen. Geplant ist vor allem eine Änderung der Hausordnung, wie der zuständige Unterabteilungsleiter der Bundestagsverwaltung in einem Parlamentsgremium erklärte. Unter anderem sollen künftig Mitarbeitende von Abgeordneten und Verwaltung alle zwei Jahre einer Zuverlässigkeitsüberprüfung unterzogen werden. Auch soll überprüft werden, was über ehemalige Abgeordnete in Polizeidatenbanken zu finden ist; sie bekamen bislang leichter Zutritt.

Malsack-Winkemann hat nun offiziell ein Betretungs- und Hausverbot durch die Bundestagspräsidentin erteilt bekommen, das ihr schriftlich in der Haft zugestellt wurde. Bei einer Sache konnten die Sicherheitsverantwortlichen die Par­la­men­ta­rie­r*in­nen beruhigen: Es arbeiten keine ehemaligen Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Malsack-Winkemann mehr im Bundestag.

Auch weil die AfD in den geplanten Putschversuch involviert ist, verharmlosten führende AfD-Politiker die „Patriotische Union“ mit ihren teils älteren Mitgliedern als „Rentnerkombo“, spielten die Gefährlichkeit der Gruppe hinunter oder bezeichneten die umfangreichen Razzien mit 3.000 Po­li­zis­t*in­nen gleich als „Inszenierung“. Warnungen vor der Gruppe und vor Reichsbürgerideologie zogen sie ins Lächerliche – trotz gefundener Feindeslisten und Waffen.

„Die Reichsbürger gehören zum erweiterten Vorfeld der AfD. Sie spielen auf einer ähnlichen Klaviatur“

Johannes Hillje, Politikberater

In Ostthüringen wird besonders deutlich, dass Verbindungen zwischen Reichsbürgern und AfD alles andere als überraschend sind. Vielmehr gehören sie vielerorts zum Vorfeld der AfD. So auch in Zeulenroda: Haußner hatte bereits im Oktober 2021 einen Auftritt Reuß’bei einer Veranstaltung der „Patrioten Ostthüringen“ gelobt. Als nachgewiesene Deutsche müsse man der Staatssimulation BRD den Rücken kehren, sagte er und bedankte sich auch bei einigen AfD-Mitgliedern im Publikum, wie aus einem Video auf dem Telegram-Kanal von „Freies Thüringen“ hervorgeht. Darauf machte wie auch auf Haußners Rede vom Montag ein lokaler Recherche-Account aufmerksam, der ausdauernd auf die Verbindungen zwischen AfD, Reichsbürgern, Freien Sachsen und Thüringern sowie militanten Neonazis im Kontext der Razzien hinweist.

Haußner ist einer der Köpfe der Gruppe „Freies Thüringen“ und der „Patrioten Ostthüringen“, die rechtsextreme Montagsspaziergänge und Aktionen organisieren, an denen sich auch immer wieder die AfD beteiligt. An einem „Heldengedenken“ der Gruppe im November 2021 nahm der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Lauerwald zusammen mit Reichsbürgern teil. Eine Sprecherin aus der AfD Gera bezeichnet sich gleich als Mitglied der „Patrioten Ostthüringen“ und beim Stadtfest in Bad Lobenstein stand der AfD-Landtagsabgeordnete Uwe Thrum wohl nicht zufällig mit dem „Prinzen“ und Bier am Stehtisch herum.

Die Connections finden sich nicht nur in Landes- und Kommunalpolitik, sondern reichen bis zum mächtigsten Mann in der AfD: Björn Höcke. Am 3. Oktober dieses Jahres in Gera etwa hielt der Rechtsextremist und Landeschef auf der von Haußner organisierten Bühne von „Freies Thüringen“ eine Grundsatzrede vor rund 8.000 Menschen, in der er für einen Schulterschluss mit Russland warb und rief: „Wir sind die ersten von morgen“ – eine Losung, die auch auf einer Todesanzeige für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß stand.

Haußner gilt Beobachtern als gut vernetzt mit Höcke, sie traten schon häufiger gemeinsam auf. Bereits 2017 besuchte Haußner den Fraktionschef im Thüringer Landtag; Stephan Brandner, jetzt Bundestagsabgeordneter aus Gera und stellvertretender AfD-Bundesvorsitzender, war damals auch dabei.

Verbinden dürften sie dabei auch ideologische Elemente, die letztlich auf einen autoritären Umsturz hinauslaufen. So macht Höcke in seinem Buch vielsagende Andeutungen. Er hoffe, die „Festung der Etablierten“ von drei Seiten in die Zange zu nehmen: von einer „protestierenden Bürgerbasis“, der AfD als parlamentarischer Speerspitze und von einer Front aus dem Staats- und Sicherheitsapparat heraus – worauf auch die Ver­schwö­re­r*in­nen der „Patriotischen Union“ gesetzt haben sollen.

Dennoch nannte Höcke die „Patriotische Union“ kurz nach dem Auffliegen einen „Rollatorputsch“ und machte Witze über die angebliche Ungefährlichkeit von Reichsbürgern. Gleichzeitig strickte er am nächsten Verschwörungsmythos, indem er von einer „Inszenierung“ sprach.

Ähnlich war es bei dem AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron, der 2018 auch schon mal auf Steuerzahlerkosten zum Schießtraining mit Rassisten nach Südafrika gereist war. Der schrieb erst vom „Staatsstreich mit 50 Rentnern“, fühlte sich aber offenbar dennoch bedroht: „Diese Razzia ist der größte Machtmissbrauch in der Geschichte der Bundesrepublik und eine massive Einschüchterung der gesamten Opposition.“

Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla üben sich in Verharmlosung Foto: dpa

Die AfD-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla, die sich einige Stunden nach Bekanntwerden der Razzien mit einem schmalen Statement zunächst distanzierten und vom „vollsten Vertrauen in die Behörden“ sprachen, sind mittlerweile auf die Rechtsaußenlinie eingeschwenkt.

Der Politikberater Johannes Hillje, der kürzlich ein Buch über die Kommunikationsstrategie und Identität der AfD veröffentlicht hat, ist von den AfD-Verbindungen nicht überrascht. Er sagte der taz: „Die Reichsbürger gehören zum erweiterten Vorfeld der AfD. Nicht als institutionalisierter Partner wie die Jugendorganisation Junge Alternative oder die Erasmus-Stiftung, aber sie sind in jedem Fall ein Resonanzraum.“ Begriffe wie der „Great Reset“ einer „korrupten Elite“ seien allgegenwärtig auf Demos, an denen sich auch die AfD beteiligt: „Sie spielen auf einer ähnlichen Klaviatur von verschwörungsideologischen Begriffen“, sagt Hillje. Die AfD habe eine Scharnier- und Verstärkerfunktion für Reichsbürger.

David Begrich, Rechtsextremismusforscher aus Sachsen-Anhalt, sieht auch in der Reichsnostalgie Schnittmengen zur Reichsbürgerszene, wenn Hindenburg-Porträts in Abgeordnetenbüros hingen oder AfD-Politiker den chauvinistischen Sedantag begingen. Tatsächlich feiert nicht nur die Junge Alternative offen die 150-jährige Proklamation des Kaiserreichs oder bezieht sich auf kaiserliche Feiertage, sondern auch die AfD-nahe Erasmus-Stiftung, die zum selben Jahrestag ein Magazin mit verklärendem Geschichtsbild herausbrachte.

Auch Frank Haußner von den „Patrioten Ostthüringen“ trommelt weiter fürs Reich: Erneut ruft er dazu auf, sich kurz vor Weihnachten an einer „unpolitischen“ Charity-Aktion in Gera zu beteiligen. Im letzten Jahr verkleidete sich dort Neonazi Christian Klar, der Bezüge ins NSU-Umfeld hat, als Weihnachtsmann und verteilte Geschenke an Kinder. Als Überraschungsgast kam Björn Höcke vorbei – mit einer Weihnachtsmannmütze auf dem Kopf.