Welthandballer Niklas Landin: „Ich möchte nie Cheftrainer sein“

THW Kiel-Torhüter Niklas Landin hält die Handball-Bundesliga für zu groß. Er plädiert für weniger Vereine und sieht Vorteile im Playoff-System.

Ein Mann lehnt sich an den Pfosten eines Handballtors

Verlässt den THW Kiel in der kommenden Saison: Torwart Niklas Landin Foto: Ebner/Imago

taz: Herr Landin Jacobsen, wann haben Sie zuletzt einen Handball ins Gesicht bekommen?

Niklas Landin Jacobsen: Dass ich einen Kopftreffer bekommen habe, ist noch nicht lange her.

Das muss sich anfühlen wie ein Faustschlag, oder?

Das kommt darauf an, wo genau man getroffen wird. Wenn es eher oben an der Stirn ist, tut es oft nicht so richtig weh. Aber wenn der Ball direkt auf die Nase oder die Augen trifft, ist es schlimmer.

Waren Sie davon im Spiel schon mal kurz benommen?

Manchmal. Zum Glück geht das schnell weg. Ich kenne aber Handball-Torhüter aus Dänemark, die mit Gehirnerschütterungen ausgefallen sind und sogar ganz mit dem Handball aufhören mussten, weil sie immer neue gesundheitliche Probleme bekamen. Einer kann fast nur noch im dunklen Raum sitzen.

34, ist zweifacher Welthandballer und Torwart des THW Kiel. Er spielt dort gemeinsam mit seinem Bruder Magnus Landin Jacobsen, wechselt aber in der kommenden Saison nach elf Jahren Bundesliga in seine dänische Heimat zu Aalborg Håndbold.

Im Männerhandball sind die Würfe bis zu 130 km/h schnell. Wie kommt man überhaupt auf die Idee, sich ins Tor zu stellen und dort zu bleiben?

Dass ich geblieben bin, war meine Entscheidung, mich dort hinzustellen, die Entscheidung meines Jugendtrainers. Er meinte, dass ich das Spiel gut gelesen habe und oft richtig stand, wenn der Ball kam.

Kreisläufer wie Ihre Eltern wollten Sie nicht werden?

Nein, bis heute finde ich, dass Kreisläufer den beschissensten Job haben. Das ist so hart, dass sie immer voll in die gegnerische Abwehr reingehen müssen. Und die Schiedsrichter können nicht alles sehen, was da am Kreis passiert.

Wann war klar, dass Sie viel Talent haben?

Ich selbst habe es gemerkt, als ich 15 war und ins Sportinternat von GOG Håndbold in Oure gewechselt bin. Dann hat auch das Talenttraining vor der Jugendnationalmannschaft angefangen und erst da habe ich überlegt, okay, vielleicht bin ich ein bisschen besser als der durchschnittliche Handballspieler.

Und dann kam der Gedanke, dass daraus auch eine Profikarriere werden könnte?

Ja, nach diesem Jahr Schule hat mir GOG auch einen kleinen Vertrag angeboten, damit ich mich langsam daran gewöhnen könnte, Profi zu werden. Aber ich wollte lieber nach Hause zu Mama. Bei meiner alten Mannschaft fehlte auch noch ein Torhüter. Ich habe damals mit dem Jahrgang über mir gespielt. Meine Teamkameraden waren alle viel größer und stärker als ich und sie haben auch schon gesagt: „Wenn du nicht nach Hause kommst, dann kommen wir und hauen dir richtig auf die Fresse.“

Von Deutschland aus scheint es, als würde in Dänemark bessere Jugendarbeit gemacht. Obwohl das Land klein ist, steht es im Handball an der Spitze.

In der Bundesliga haben die Kieler kürzlich eine Niederlage gegen den Rivalen Flensburg kassiert. Sie verbringen Winterpause und Weltmeisterschaft auf Platz 2 hinter den Füchsen Berlin.

In der Champions League hat Kiel Mitte Dezember den ersten Auswärtssieg in Aalborg geholt – beim zukünftigen Verein von Torhüter Landin. Der THW steht in seiner Tabelle auf Platz vier und wäre damit eine Runde weiter. Vier Spiele sind in der Gruppenphase jedoch noch zu absolvieren.

Im DHB-Pokal spielen die Kieler im Viertelfinale Anfang Februar gegen den amtierenden Deutschen Meister aus Magdeburg.

Nach der Saison wird nicht nur Landin Kiel verlassen, auch der norwegische Superstar Sander Sagosen und der slowenische Nationalspieler Miha Zarabec gehen. Mindestens für Torwart Landin gibt's Ersatz: Im Sommer kommt der französische Nationalspieler und Olympiasieger Vincent Gérard.

Es gibt viele kleine Vereine, die das unglaublich gut machen. Sie machen die eigentliche Arbeit. Das wird zu oft vergessen und der Fokus nur auf die Internate gelegt. Aber dorthin kommen die Spieler erst mit 16 oder 17 Jahren.

Was ist das dänische Rezept in der Nachwuchsarbeit?

Ich glaube, dass Dänemark so gut dasteht, liegt am Hype. Früher waren vor allem die Frauen in der Nationalmannschaft unglaublich gut. Jetzt sind wir Männer auch oft im Finale internationaler Turniere und die Jugendlichen sitzen vor dem Fernseher und träumen vielleicht davon, dazustehen. In Deutschland gibt es ja nur einen Sport, der so richtig groß ist und das ist Fußball.

Ist Handball in Dänemark beliebter als Fußball?

Wenn man auf die Zuschauerzahlen im Fernsehen schaut, ja. Bei den großen Spielen haben wir zwei bis drei Millionen Zuschauer und wir sind 5,5 Millionen Einwohner in Dänemark.

Werden Sie dort eher auf der Straße erkannt als in Deutschland?

Kiel ist eine Handballstadt. Aber in meiner Zeit bei den Rhein-Neckar Löwen in Heidelberg war das anders. Bis auf ein paar Fans hatten die da keine Ahnung von Handball. Das ist eine Studentenstadt mit vielen Ausländern. Da wurde ich nie erkannt. Das war anders, als wenn man in Dänemark unterwegs ist.

Und was gefällt Ihnen besser?

Wenn ich alleine bin, habe ich überhaupt kein Problem damit, ein Foto zu machen. Aber wenn ich die Kids dabei habe, finde ich es manchmal schwierig, wenn sie ständig herumstehen und auf mich warten müssen.

Sie sind später doch noch Profi bei GOG geworden, zunächst in der Dritten Liga. War das eine große Umstellung?

Ja. Wir hatten selbst eine junge Mannschaft und haben gegen Herren mit dicken Bäuchen und grauen Haaren gespielt. Wir haben fast alle Spiele verloren. Alles kann man mit Schnelligkeit nicht wettmachen. Und ich selbst musste mich darauf einstellen, dass die Männer deutlich härter werfen.

Und dann kam als Nächstes die Champions League.

Das war unglaublich für mich. Ich habe öfter mal gehört, dass ich mich sehr zurückgehalten und fast nichts gesagt habe. Sportlich habe ich mir aber gesagt, ich probiere es einfach und wenn es nicht klappt, komme ich eben wieder raus. Und dann hat es unglaublich gut funktioniert, obwohl ich im Kopf eigentlich noch nicht weit genug für die Champions League war.

Was hat gefehlt?

Vorbereitung vor dem Spiel. Am Anfang habe ich fast nie Video geguckt. Ich wusste nicht wirklich, gegen wen ich gespielt habe.

Und jetzt schauen Sie sich vorher die Würfe der Gegner genau an?

Ja. Ich schaue selbst Videos zu den Wurfmustern der Gegner und gemeinsam mit dem Team, wenn es um unsere Abwehr und die Abstimmung geht. Aber ich habe einen guten Deal mit unserem Trainer Filip Jicha. Wenn es um den THW-Angriff geht, kann ich rausgehen. Von unserer Taktik habe ich überhaupt keine Ahnung.

Und es interessiert Sie auch nicht?

Nein, ich kann nur die Namen sagen, aber ich weiß nicht, was da passiert.

Ist es als junger Torwart schwieriger, Spielzeiten zu bekommen, als auf anderen Positionen?

Als Feldspieler kriegst du öfter mal die Möglichkeit hin und her zu wechseln als als Torhüter. Aber andersherum, wenn der erste Torhüter nicht gut hält, dann musst du rein. Du kannst dich nicht verstecken.

Das muss ein ganz schöner Druck sein.

Ich spüre das immer noch. Wenn du eine schlechte Torhüterleistung hast, gewinnt das Team wahrscheinlich keine zwei Punkte. Für mich sind Druck und Erwartungen aber gut. Wenn ich das nicht spüre, bin ich auch nicht zu 100 Prozent da.

Warum spielen Sie beim THW Kiel?

Es ist der größte Verein in Deutschland – und die Heimspiele sind einfach geil.

Aber ist die Stimmung beim Erzrivalen Flensburg nicht viel besser? Da gibt es einen Stehblock, der an Ultras beim Fußball erinnert.

In Flensburg ist auch nicht bei jedem Spiel so viel los. Beim THW sind die Fans konstanter da. Die Halle war – vor den Beschränkungen in der Pandemie – immer ausverkauft. Es ist ein geiles Gefühl, vor 10.000 Menschen in die Halle einzulaufen. Da ist immer Gänsehaut. Diese großen Arenen werde ich vermissen, wenn ich wechsele.

Worauf freuen Sie sich in der kommenden Saison in Aalborg?

Keine langen Busfahrten mehr. Wir brauchen manchmal zweieinhalb Tage für ein Auswärtsspiel, wenn wir von Kiel aus losfahren. Das hast du sehr selten in Dänemark.

Insbesondere skandinavische Spieler kritisieren an der Bundesliga, die Dichte an Spielen sei zu hoch. Fänden Sie ein Playoff-System wie in Dänemark sinnvoll für Deutschland?

Die Playoffs haben Vor- und Nachteile. Viele Zuschauer schauen in der ersten Runde noch nicht zu, sondern erst, wenn es richtig spannend wird. Da hat die Struktur in Deutschland natürlich etwas, wenn es in jedem Spiel um alles geht. Für die Entwicklung von jungen Spielern ist aber das dänische System besser. Die Vereine können es sich eher erlauben, ihnen Spielzeit zu geben. Ich würde auch deutschen Nachwuchstalenten empfehlen, mal ins Ausland zu gehen, dort ein Star zu werden und dann zurückzukommen.

Braucht es weniger Spiele in Deutschland?

Ja. Ich würde mir auch wünschen, dass die Bundesliga kleiner wäre.

Was glauben Sie, wie lange Sie noch spielen können?

Das weiß ich nicht. Früher habe ich gesagt, dass ich nicht viel länger als bis 35 spielen will, aber das ist jetzt schon bald. Es fühlt sich nicht so lange her an, dass ich ein junges Talent war.

Haben Sie schon einen Plan im Kopf, was nach dem Handball kommt?

Nee. Ich weiß nur, dass ich nie Cheftrainer sein möchte – dann müsste ich doch noch alle Taktiken lernen.

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