Flugzeugwrack

Das Wrack von MH17 Foto: Piroschka van de Wouw/reuters

Prozess um MH17-Abschuss:Mord über den Wolken

Wer ist für den Tod von 298 Menschen verantwortlich? Seit Jahren geht ein Amsterdamer Gericht dieser Frage nach. Am Donnerstag soll das Urteil fallen.

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16.11.2022, 16:01  Uhr

Es ist kurz vor Mittag am 49. Sitzungstag, als Manon Ridderbeks das Wort ergreift. In knapp zwei Stunden fassen die Staatsanwältin und ihr Kollege Thijs Berger an diesem 22. Dezember 2021 zusammen, wie sie die Handlungen der vier Angeklagten bewerten.

Sie haben die Schwere der ihnen zur Last gelegten Verbrechen eruiert und die Bedeutung des Schutzes der zivilen Luftfahrt beschworen, den Kontext des Kriegs im Donbass zur Tatzeit im Juli 2014 untersucht. Ihr Fazit: nicht strafmilndernd, da die Angeklagten keine regulären Kombattanten waren. Besonders ausführlich widmeten sie sich den Folgen für die Opfer, „denen abrupt und plötzlich das Leben genommen wurde“, und ihren Angehörigen.

Manon Ridderbeks, Staatsanwältin

„Wir fordern, die Verdächtigen jeweils zu einer lebenslangen Haftstrafe zu verurteilen“

Nun blickt Manon Ridderbeks vom Mikrofon auf. Sie schaut nach links und sucht Blickkontakt mit ihrem Kollegen, so wie sie und Berger das an wichtigen Punkten des Plädoyers immer wieder getan haben. „Alles abwägend, kommen wir zum Folgenden“, hebt sie an. „Wir fordern, die Verdächtigen Girkin, Dubinsky, Pulatow und Kharchenko für das gemeinschaftliche Herbeiführen eines Flugzeugabsturzes mit Todesfolge und des gemeinschaftlichen Mordes an 298 Insassen jeweils zu einer lebenslangen Haftstrafe zu verurteilen.“

Am Donnerstag dieser Woche wird von dem Amsterdamer Gericht das Urteil erwartet – nach einem quälend langen Verfahren, das auf Indizien beruht, die schwer wiegen, ohne die Anwesenheit der Angeklagten und mit einer nur minimalen Hoffnung, dass diese ihre Strafe jemals antreten werden, sollten sie denn verurteilt werden. Aber doch ein Urteil – immerhin.

Es geht um den Abschuss eines Passagierflugs mit der Kennung MH17 über von prorussischen Separatisten kontrolliertem Gebiet im Osten der Ukraine. Jahrelang war es nicht sicher, ob es überhaupt je zu einem Prozess kommen werde.

Manon Ridderbeks macht im Dezember 2021 in ihrem Pladoyer eine Pause, dann betont sie noch einmal, was ohnehin alle im Gerichtssaal wissen: Die Angeklagten werden auch bei einer Verurteilung weiter in Freiheit bleiben. Das Verfahren findet ohne sie statt. Russland, wo sich mindestens drei von ihnen aufhalten, liefert keine eigenen Staatsangehörigen aus. Der Aufenthaltsort des vierten und einzigen ukrainischen Verdächtigen, Kharchenko, ist unbekannt. „Aber das heißt nicht, dass sie für immer davonkommen werden.“

Die Bedeutung dieses Verfahrens, gerade in den Niederlanden, wo viele Menschen die verstorbenen MH17-Passagiere gekannt haben, lastet seit Beginn des Prozesses am 9. März 2020 über dem Gerichtssaal. An diesem diesigen und kalter Spätwintertag waren Hunderte Jour­na­lis­t*in­nen aus aller Welt zum Justizkomplex am Flughafen Amsterdam-Schiphol gekommen. Die Öffentlichkeit war aufgewühlt.

„Viele haben lange auf diesen Tag gewartet“, sagte Hendrik Steenhuis, Vorsitzender der sieben Richter*innen, zu Beginn. Dedy Woei- A-Tsoi, Vorgängerin Manon Ridderbeks’ im Team der Staatsanwaltschaft, las wenig später die Namen aller 298 Opfer vor. Die Viertelstunde, die sie dazu benötigte, definiert eine alles umfassende Stille neu.

Die abwesenden Angeklagten

Die vier Angeklagten waren wie erwartet nicht anwesend und sie sind bis heute nicht aufgetaucht: Igor Girkin, in ostukrainischen Separatistenkreisen unter dem Namen „Strelkow“ („Schütze“) bekannt, ein ehemaliger Geheimdienst-Oberst, der sich in der selbsternannten Volksrepublik Donezk als Verteidigungsminister bezeichnete. Sein Stellvertreter Sergej Dubinsky, ein Angehöriger des russischen militärischen Geheimdiensts GRU, und Oleg Pulatow, Mitglied einer GRU-Spezialeinheit und stellvertretender Geheimdienstchef in Donezk. Der einzige ukrainische Staatsbürger, Leonid Kharchenko, befehligte zum Zeitpunkt des Abschusses im Gebiet von Donezk eine paramilitärische Einheit. Oleg Pulatow ist der Einzige von ihnen, der sich vor Gericht von zwei An­wäl­t*in­nen vertreten lässt. Das rückt ihn in den Blickpunkt.

Wer das tödliche Geschoss, eine Mittelstrecken-Boden-Luft-Rakete vom russischen System Buk M1, abgeschossen hat, die am 17. Juli 2014 zwischen 16.20 Uhr und 16.25 Uhr ukrainischer Ortszeit in gut 10.000 Meter Höhe die Boeing 777-200ER mit dem Kennzeichen 9M-MRD durchsiebte, vermag die Anklage nicht zu sagen. Als erwiesen sieht sie aber an, dass, wie das Joint-Investigation-Team ermittelte, die vier Verdächtigen federführend bei der Operation beteiligt waren, mit dem aus Russland herbeigebrachten mobilen Buk-System die Luftabwehr der Rebellen zu verstärken. Abgehörten Gesprächen zufolge soll Pulatow sich kurz nach dem Abschuss nahe bei der Installation aufgehalten haben.

Gerichtsverhandlung

Viermal lebenslang: Der Beginn der Pladoyers in Amsterdam Foto: Sem van der Wal/epa

Sabine ten Doesschate, seine Anwältin, sagt, sie sei geschockt über das „unermessliche Leid“ der Hinterbliebenen. Ihr Mandant aber habe „auf keinerlei Weise mit dem Abschuss von MH17 zu tun“, weshalb er sich verteidigen wolle. Boudewijn van Eijck, ihr Kollege, weist auf Stellen im 36.000 Seiten zählenden Dossier des Verfahrens hin, die eine nähere Untersuchung nahelegten. Warum etwa war der ukrainische Luftraum zur Zeit des Abschusses nur unterhalb von 9.800 Metern gesperrt, darüber aber freigegeben? Dies sei ein Versäumnis der Ukraine gewesen, das sich auf die Frage auswirke, ob die Verdächtigen in den Niederlanden verfolgt werden können.

Im ersten Jahr des Prozesses kreisen die Sitzungen im Gerichtssaal vor allem um technische Aspekte. Anklage und Verteidigung berichten über den Fortgang ihrer Untersuchungen für das Hauptverfahren. Es geht da um die Frage der Authentizität von Bildmaterial, etwa vom Transport der Buk-Raketenanlage, oder der von der Ukraine bereitgestellten abgehörten Telefongespräche, welche die Verdächtigen belasten, aber auch um die Sicherheit von Zeugen, von denen mehrere aus Vorsicht nur anonym ihre Aussage machen. Das lenkt einmal mehr die Aufmerksamkeit auf die Rolle Russlands.

Der Kampf um die Wahrheit

„Der Kampf um die Wahrheit rund um MH17 beginnt sofort“, so formuliert es die niederländische Tageszeitung Volkskrant im Jahr 2020. Schon am Tag nach dem Abschuss hatte die Ukraine abgehörte Gespräche vermeintlicher russischer Separatisten über ein niedergeschossenes Flugzeug veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt sind allerdings auch schon Tausende von russischen Nachrichten im Umlauf, welche die Ukraine beschuldigen, für den Abschuss Verantwortung zu tragen. Moskau weist von Beginn an jede Verantwortung zurück, unabhängig davon, wie viel belastendes Material die Ermittler des Joint-Investigation-Teams zusammentragen, das sich oft mit den Analysen der Recherche-Plattform Bellingcat deckt.

Der Abschuss: Der Malaysian-Airlines-Flug MH17 am 17. Juli 2014 von Amsterdam nach Kuala Lumpur hob kurz nach Mittag vom Flughafen Schiphol ab. An Bord waren 283 Passagiere, darunter 80 Kinder, und 15 Crew-Mitglieder. Rund drei Stunden nach dem Start verschwand die Boeing 777 östlich von Donezk vom Radar und stürzte, getroffen von einer aus dem Rebellengebiet abgefeuerten Rakete, ab. Alle Insassen wurden getötet.

Die Ermittlungen: Im August 2014 nahm das Joint-Investigation-Team, bestehend aus niederländischen, malaysischen, australischen, belgischen und ukrainischen Ermittler*innen die Arbeit auf. Im September 2016 machte es bekannt, MH17 sei durch eine Buk-Rakete abgeschossen worden, dessen System aus der Russischen Föderation ins Konfliktgebiet gebracht und danach wieder zurücktransportiert worden. Im Mai 2018 folgte die Mitteilung, die mobile Einheit gehörte zur 53. russischen Luftabwehrbrigade aus Kursk. Im Juni 2019 kündigte das Joint-Investigation-Team die strafrechtliche Verfolgung der vier Hauptverdächtigen an.

Das Verfahren: Ein UN-Tribunal scheiterte im Juli 2015 am Veto Russlands im Sicherheitsrat. Zwei Jahre später beschlossen die Mitglieder des Joint-Investigation-Teams, ein Verfahren in den Niederlanden durchzuführen, woher mit 196 die weitaus meisten Opfer stammten. Im Oktober 2019 wurden die vier Angeklagten vorgeladen, die dem Verfahren allesamt fernblieben. Die Verantwortung für den Abschuss von MH17 wurde bis heute nie übernommen. Russland bestreitet jede Schuld und sieht sich als Opfer westlicher Propaganda. (tm)

Die macht schon 2015 bekannt, dass die Satellitenbilder, die Russland ein Jahr zuvor den Ermittlern zur Verfügung gestellt hatte, manipuliert worden seien, um die Ukraine zu belasten. Die Buk-Rakete soll demnach von Regierungstruppen abgefeuert worden sein. Auch mit den russischen Primärradar-Aufnahmen, die niederländische Ermittler im Herbst 2014 anfragen, gibt es Probleme: Sie werden erst zwei Jahre später übergeben, zwischenzeitlich sind sie unauffindbar.

Bereits kurz nach dem Abschuss tauchen zwei Mitglieder der GRU-Eliteeinheit 29155 in den Niederlanden auf. Die Geheimdienste sind alarmiert und finden heraus, dass die beiden Kontakt mit malaysischen Ermittlern suchen. 2019 wird der malaysische Premierminister Mahathir Mohamad die MH17-Untersuchungen „politisch motiviert“ nennen, Beweise gegen Russland lägen nicht vor. Aus Moskau vernimmt man diese Interpretation des Verfahrens seit Beginn der Ermittlungen.

Das Wrack

Kurz vor Beginn des Hauptverfahrens Ende Mai 2021 begibt sich das Gericht auf den Militärflugplatz Gilze-Rijen im Süden der Niederlande. Auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft sollen sich die Beteiligten selbst ein Bild vom Schaden des Flugzeugs machen, um die Einschätzungen von Sachverständigen besser verstehen zu können. Der Rumpf, der aus Teilen des Wracks rekonstruiert worden ist, ist in einem Hangar aufgebaut. Die Nase ist abgebrochen, aber die charakteristischen rot-blauen Seitenstreifen der Malaysia Airlines sind deutlich sichtbar. Einige lose Teile liegen am Boden.

Mann mit Stofftier

18. Juli 2014: Ein Separatist wühlt im Gepäck der getöteten Passagiere. Darunter waren auch 80 Kinder Foto: Maxim Zmeyev/reuters

Die Be­su­che­r*in­nen gehen mehrmals um das Wrack, untersuchen einzelne Stellen, messen sie aus, fotografieren aus der Nähe. Eine Hebebühne bringt sie nach oben, um das Cockpit aus der Nähe betrachten zu können. Von draußen dringt Vögelzwitschern in den Hangar. Anstelle der nicht auffindbaren Teile klaffen große Lücken. Das Cockpit, neben dem die Buk-Rakete explodiert sein muss, ist von Einschlägen durchsiebt.

In seiner abschließenden Ansprache in einem zum Sitzungssaal improvisierten Zelt sagt Richter Steenhuis, der Besuch habe auf alle großen Eindruck gemacht.

Knapp zwei Wochen später beginnt im Schipholer Justizkomplex die inhaltliche Verhandlung. Und damit rücken die zentralen Elemente der Ermittlungen, die das international besetzte Joint-Investigation-Team unter niederländischer Leitung fünf Jahre lang betrieb, in den Blickpunkt. Die Fragen, die es zu beantworten gilt, sind: Wurde MH17 mit einer Buk-Rakete abgeschossen? Wurde diese aus einem Feld in der Nähe von Perwomajskyj abgefeuert? Haben schließlich die vier Verdächtigen dabei eine Rolle gespielt?

Gutachter, Dokumente, Zeugenaussagen

Bei der Frage nach der Waffe geht es zurück zum Beginn der Ermittlungen: dem Ausschluss eines Unglücks und einer Explosion als Folge einer Attacke aus dem Inneren des Flugzeugs. Die Anklage stützt sich auf die Aufnahmen des Cockpit-Recorders, die kurz vor dem Ende anschwellenden, von außen kommenden Lärm in hoher Frequenz beinhalten.

Sie zieht Gutachten über die Schäden heran und Dokumente, unter anderem vom Hersteller Almaz Antey, über Funktion und Wirkung einer Buk-Rakete und ihres Sprengkopfs. Sie verwirft die russische Version, wonach der Flug MH17 durch ein ukrainisches Kampfflugzeug abgeschossen worden sei, denn die Quellen für die Behauptung seien undeutlich und fehlerhaft.

Ein Abgleich mit anderen Raketensystemen aus russischen oder ukrainischen Beständen schließt zwei Systeme aus, da die Fragmente, die an der Absturzstelle gefunden wurden, nicht von diesen stammen könnten.

Eine Besichtigung des Tatorts, von dem aus die Rakete abgefeuert wurde, durch das Gericht ist nicht möglich. Die Staatsanwaltschaft nähert sich dem landwirtschaftlich geprägten Gebiet nahe dem Städtchen Perwomajskyj zunächst über Zeugenaussagen, die typische Wahrnehmungen nach dem Abfeuern einer Buk-Rakete beschreiben. Auch Berechnungen aufgrund der beschädigten Wrackteile niederländischer und belgischer militärischer Luftfahrtexperten sowie des Herstellers weisen in diese Richtung. Ein Video zeigt eine Buk-Installation, die kurz vor der Tatzeit in Richtung Perwomajskyj unterwegs ist.

Und schließlich sind da ein Chat sowie abgehörte Telefongespräche. Ein Chatteilnehmer gibt an, dabeigewesen zu sein, als das Flugzeug abgeschossen wurde. Daten von Telefonmasten lokalisieren ihn zu diesem Zeitpunkt nahe des Felds bei Perwomajskyj.

„Eine Buk organisieren“

Die Rolle der Verdächtigen analysiert die Anklage im Kontext des Kriegsverlaufs: Demnach waren die Rebellen durch ukrainische Luftangriffe schwer in Bedrängnis geraten. Hoffnung bot eine Luftabwehr-Unterstützung aus Russland. Der Angeklagte Pulatow soll seinem Vorgesetzten Dubinsky vom Ernst der Lage berichtet haben. Dieser habe in einem abgehörten Telefongespräch in Erwartung von Luftangriffen am nächsten Tag gesagt: „Es wäre schön, wenn ich morgens eine Buk organisieren und dorthin schicken könnte. Wenn nicht, wäre das Scheiße!“

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft bestand zwischen den Verdächtigen eine Befehlsstruktur, wonach Dubinsky Girkin unterstellt war, Pulatow diesen beiden und der Ukrainer Kharchenko Pulatow. Dem internationalen Ermittlerteam zufolge ist der Transport der Buk mit Bildmaterial, abgehörten Telefonaten, Zeugenaussagen, Daten von Telefonmasten und Social-Media-Berichten belegt.

Der Ortung der Telefonmasten zufolge soll Kharchenko beim Transport der Buk bis an das besagte Feld dabeigewesen sein. Die Beteiligung der Verdächtigen beim Rücktransport der Buk auf russisches Territorium will die Anklage ebenfalls mit abgehörten Telefongesprächen belegen.

Die Argumente der Verteidigung

Als die Verteidigung Anfang März 2022 ihr Plädoyer beginnt, ist die Welt eine andere: Der russische Großangriff auf die Ukraine hat begonnen. Die An­wäl­t*in­nen von Oleg Pulatows verurteilen die Gewalt. An ihrer Einschätzung über die Unschuld des abwesenden Angeklagten ändert das freilich nichts. Ihr Klient werde bereits durch das internationale Ermittlerteam, die Staatsanwaltschaft und die Medien als Schuldiger betrachtet, sodass von einem fairen Prozess keine Rede sein könne. Eine Verfolgung durch das Gericht sei demnach unzulässig.

Weiterhin habe das Gericht alternativen Szenarien unzureichend Beachtung geschenkt, ­während für das Hauptszenario – der Abschuss einer Buk-Rakete von russisch-separatistischen Kreisen – kein ausreichender Beweis vorliege. Schon daraus ergebe sich, dass Pulatow freizusprechen sei.

Den Fokus auf ihren Klienten verengend, argumentiert die Verteidigung, der genaue Hergang des Abfeuerns sei unklar, zumal den Verdächtigen nicht vorgeworfen werde, die Rakete selbst lanciert oder dies direkt befohlen zu haben. Pulatow sei zudem mit der Handhabung eines solchen Raketensystems nicht vertraut, und seine vermeintliche Beziehung zur – unbekannten – Bemannung der Buk sei unbewiesen. Pulatows Funktion sei rein geheimdienstlich gewesen, seine Beteiligung an den abgehörten Telefongesprächen nicht sicher, ebenso wenig seien die Daten von Telefonmasten in der Umgebung verlässlich. Auch die vermeintliche enge Zusammenarbeit mit den anderen Verdächtigen sei nicht nachweisbar.

Deutlich wird an den Pladoyers von Verteidigung und Anklage, warum es so lange dauerte, bis dieser Prozess überhaupt beginnen konnte. Angesichts der schwierigen Umstände, in denen etwa forensische Untersuchungen an der Absturzstelle so gut wie unmöglich waren und es von russischer Seite statt zu einer Kooperation zu Sabotage- und Manipulationsversuchen kam, stützt sich die Beweisführung auf Material, das selbst empfindlich für Beeinflussung und Fälschung ist.

Hans de Borst, der seine Tochter verlor

„Schmerz und Unglaube sind noch genauso wie damals. Ich habe ein Stück meiner selbst verloren“

Im September 2021 machen mehr als 90 Hinterbliebene Gebrauch von ihrem Recht, vor Gericht zu sprechen. Einer von ihnen ist Hans de Borst. Seine Tochter Elsemiek war 17, als sie zu­sammen mit seiner Ex-Frau, deren neuem Partner und ­ihrem Bruder mit Flug MH17 zu einem Malaysia-­Urlaub aufbrach. Der Vater hat ein Porträt seiner Tochter mitgebracht, das ein Gerichts­mitarbeiter präsentiert, während der Zeuge spricht. Hans de Borst berichtet von ihrem Wesen, den ge­meinsamen Gesprächen, der Bank, auf dem sie im Ski-Urlaub immer gesessen hätten. Dem Abitur, das Elsemiek im Sommer darauf machen wollte, ­ihren Plänen, in Delft ein Studium aufzunehmen.

Er selbst hat nach dem Tod seines einzigen Kindes lange alles hinter einem Schleier wahrgenommen, sagt Hans de Borst. Ob bei der Trauerzeremonie für die Angehörigen oder bei ihrem Begräbnis – „ich war da, und irgendwie doch nicht.“ Hans de Borst nimmt einen Schluck Wasser. Erzählt, dass seine Tochter schon nach wenigen Wochen identifiziert werden konnte. Und dass er noch Glück gehabt hätte, weil der Körper „intakt“ gewesen sei. „Ich war gebrochen. Der Schmerz und Unglaube sind noch genauso wie damals. Ich habe ein Stück meiner selbst verloren“, sagt er.

Zum Schluss berichtet er von seiner 87 Jahre alten Mutter, die jede Sitzung des Verfahrens an ihrem Laptop verfolgt habe. Dass sich ein ­Gericht mit dem Verbrechen beschäftigt, dass ihr die ­Enkelin nahm, sei für sie der Beweis, dass es noch ein wenig Anstand gebe auf der Welt. „Kaum ­etwas wünscht sie sich so sehnlichst wie ein Urteil!“

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