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Proteste gegen EuroPride in BelgradMit Kruzifix und Putin-Postern

In Serbiens Hauptstadt beginnt die europäische LGBTQ-Parade. Eine Mischung aus Christen, Rechtsextremen und Putin-Anhängern protestiert dagegen.

Mit Heiligenbildern und Putin gegen die EuroPride Parade in Belgrad Foto: Darko Vojinovic/ap

Belgrad taz | Am Montag begann offiziell die EuroPride 2022 in Belgrad, die erste europäische LGBTQ-Veranstaltung im Südosten Europas. In der Pride-Woche sind vom 12. bis 18. September etliche Konzerte, Ausstellungen, Theaterstücke, Podiumsdiskussionen und Partys geplant. Wie in der westlichen Hemisphäre üblich, sollte auch im slawisch-orthodoxen Serbien sieben Tage lang in einer fröhlichen Karnevalsstimmung nicht nur die Gleichberechtigung zelebriert werden, sondern Freiheit, Liebe und Menschenrechte an sich. „Es ist Zeit“ lautet die Parole der Belgrad-EuroPride, immerhin ist Serbien längst EU-Beitrittskandidat.

Doch die Stimmung in Belgrad ist alles andere als heiter, über der Pride ziehen finsterste homophobe Wolken. Und über der als Höhepunkt der LGBTQ-Sichtbarkeit gedachten Parade am 17. September steht immer noch ein dickes politisches Fragezeichen: Erst 96 Stunden davor wird das Innenministerium eine Entscheidung treffen, ob einige Tausend Menschen durch die Straßen der serbischen Hauptstadt spazieren dürfen oder nicht. Die Staatsspitze spricht von Sicherheitsgründen, ohne Erklärung, wer da eigentlich Recht und Ordnung im Land bedrohe. Bei einem Verbot hätten dann die Organisatoren der Pride Zeit, rechtlich vorzugehen.

Am Vorabend der Pride-Woche krochen aus den Tiefen des serbisch-orthodoxen Wesens Tausende Menschen, um sich der „Prozession für die Erlösung Serbiens“ anzuschließen, der dritten und massivsten in den vergangenen Wochen. Sie forderten von den serbischen Entscheidungsträgern, den „Kranken“ zu verbieten, in der Öffentlichkeit „Unmoral zu schüren“, denn das verletze ihre christlichen Gefühle und Familienwerte.

Wie schon vorher zogen sie bedachtsam durch das Belgrader Zentrum, trugen unendlich viele große Kruzifixe und Kreuze, Poster mit serbisch-orthodoxen Heiligen, aber auch russische Fahnen, Banner mit dem Buchstaben „Z“, mit Putin-Fotos oder mit Durchhalteparolen für das Kosovo, das die Wiege des Serbentums sei. Über gewaltige Lautsprecher dröhnte kirchliche und patriotische Musik. Sonst Totenstille, wie bei einem Massengebet. Menschen, die mit erkennbarer Hingabe einem heiligen Ziel nachgehen.

„Putins Biker“ bei der Prozession

Die Prozessionen organisieren einige von Russland finanzierte rechtsextremistische Parteien, behaupten manche Organisatoren der EuroPride. Nachgewiesen ist das nicht, aber einen kreuzritterhaften Beigeschmack gibt die Bikergruppe Nachtwölfe, auch „Putins Biker“ genannt, die jede dieser Prozessionen begleitet.

Sie alle pilgerten zur Kathedrale des Heiligen Sava, die, auf einem Hügel überdimensional gebaut, über dem Zentrum Belgrads thront. Dort betete der Patriarch der serbisch-orthodoxen Kirche Pofirije für den Erhalt der Familie, natürlich im Sinne der Verkoppelung zwischen Mann und Frau. Vor einigen Tagen sprach sich das Oberhaupt der serbischen Kirche für das Verbot der EuroPride aus. Er sei aber als Christ gegen Gewalt, denn das „Böse könne man nicht mit Gewalt heilen und besiegen“. So setzte er einen kirchlichen Stempel „des Bösen“ auf die LGBTQ-Menschen.

Am Sonntag sprach der Patriarch: Neue Wertsysteme haben das Ziel, „aggressiv und gewaltsam“ das Identitätsfundament zu zerstören, und der Epilog dieser „Ideologie der posthumanistischen Gesellschaft“ führe dazu, dass man keine Vorstellung mehr habe, was männlich und was weiblich sei. In der Folge könne man nicht mehr sagen, was ein Mensch sei. All das sei nicht im Einklang mit Gottes Ordnung.

Entscheidend für das Schicksal der Parade werden aber, wie immer in Serbien, Meinungsumfragen sein. Das Regime ist sehr wohl in der Lage, gewaltsame Rechtsextremisten zu zügeln, es hält sie sowieso an der Leine. Falls ein Verbot ausgesprochen wird, wird das aus politischen, und nicht aus Sicherheitsgründen sein.

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