Spiel mit dem Putschgedanken

Wenige Wochen vor der Wahl liegt Brasiliens rechter Präsident Bolsonaro in allen Umfragen hinten. Jetzt rief er seine radikalen An­hän­ge­r*in­nen auf die Straße

Wie hier in São Paulo gingen am Mittwoch in Brasilien Tausende in den Nationalfarben auf die Straße – für BolsonaroAmanda Perobelli/reuters Foto: Foto:

Von Niklas Franzen

Viele Städte Brasiliens glichen am Mittwoch einem Meer aus Gelb und Grün. Zehntausende Brasilianer*innen, zumeist in den Landesfarben gekleidet, waren am Nationalfeiertag bei rechtsradikalen Demonstrationen auf die Straße gegangen Es war eine bunte Mischung aus Evangelikalen, Farmer*innen, Aktivist*innen, Last­wa­gen­fahrer*innen. Was alle verband: die Unterstützung für Präsident Jair Bolsonaro.

Darüber hinaus fanden an diesem 7. September, an dem die Unabhängigkeit von Portugal vor 200 Jahren gefeiert wurde, wie jedes Jahr Militärparaden statt. Bolsonaro, selbst Hauptmann der Reserve, ließ sich dort frenetisch feiern und machte die Zelebrationen zu einer großen Wahlkampfshow.

Bereits im vergangenen Jahr gingen An­hän­ge­r*in­nen Bolsonaros am 7. September auf die Straße. Einige forderten damals ganz unverhohlen eine Militärintervention, andere die Schließung des Parlaments. In diesem Jahr hatten die Proteste eine noch größere Brisanz – denn am 2. Oktober wird gewählt.

Bolsonaro liegt in allen Umfragen derzeit klar hinter seinem sozialdemokratischen Herausforderer Luiz Inácio da Silva, besser bekannt als Lula. Und so sät Bolsonaro seit Monaten Zweifel am elektronischen Wahlsystem. Mehrfach hatte er erklärt, nur Gott könne ihn von der Präsidentschaft entfernen. Viele befürchten, Bolsonaro werden sich im Fall einer Wahlniederlage mit allen Mitteln an der Macht zu halten versuchen.

Auch am Mittwoch machte Bolsonaro klar, wo er steht. In seiner ersten Rede des Tages zählte der rechtsradikale Präsident in der Hauptstadt Brasília die Daten wichtiger Ereignisse auf, unter anderem des Militärputsches von 1964, und erklärte: „Die Geschichte kann sich wiederholen.“

Am Nachmittag sprach Bolsonaro am weltbekannten Copacabana-Strand in Rio de Janeiro. Dort attackierte er den Obersten Gerichtshof, ebenso seinen Herausforderer Lula. Doch insgesamt war Bolsonaro zahmer als im letzten Jahr, als er Rich­te­r*in­nen wüst beschimpfte und erklärte, keine Urteile des Obersten Gerichtshofes mehr akzeptieren zu wollen – für viele eine klare Putschdrohung.

Im Vorfeld der Proteste fürchteten viele Bilder wie beim Sturm aufs Kapitol am 6. Januar 2021 in Washington. In sozialen Medien forderten Bolsonaro-Anhänger*innen dazu auf, sich auf „einen Krieg“ vorzubereiten.

In mehreren Städten hingen riesige Plakate mit dem Aufdruck: „Jetzt oder nie – 7.September“. Auch auf den Protesten waren viele antidemokratische Banner zu sehen, einige Protestierende forderten ganz offen eine Intervention der Streitkräfte. Doch es blieb weitestgehend friedlich.

Einige Protestierende forderten ganz offen eine Intervention der Streitkräfte

Bolsonaro hatte versprochen, Millionen Menschen auf die Straße zu bringen – das schaffte er nicht. Doch es kamen mehr An­hän­ge­r*in­nen als im vergangenen Jahr. Das ist wichtig für Bolsonaro: Er wollte in Krisenzeiten Bilder produzieren, die zeigen, dass „das Volk“ hinter ihm stehe.

Doch es war vor allem seine radikale Wählerbasis, die protestierte – also jene Brasilianer*innen, die bei der Wahl am 2. Oktober sowieso für ihn stimmen werden. Ob er durch die Proteste neue Wäh­le­r*in­nen gewinnen wird, ist fraglich.

Auch wenn Bolsonaro gerne Putschdrohungen verbreitet und mit dem Autoritarismus flirtet, glauben die meisten Analyst*innen, dass es keinen Rückhalt für ein autoritären Bruch gibt. Die große Mehrheit der Bevölkerung sei dagegen, die Medien berichten mittlerweile überaus kritisch und die demokratischen Institutionen weisen Bolsonaro immer wieder in die Schranken.

Auch im Militär ist Bolsonaro nicht unumstritten: Obwohl er gerade in den unteren Rängen viele An­hän­ge­r*in­nen hat, ist es unwahrscheinlich, dass sich die Generäle auf ein antidemokratisches Abenteuer einlassen werden. Und das, obwohl sie von Bolsonaro mit Macht und einflussreichen Posten in der Regierung ausgestattet wurden. Auch Verfassungsrichter Gilmar Mendes äußerte sich am Mittwoch zu diesen Diskussionen. „Sie sehe die Möglichkeit eines Putsches nicht“, sagt er. „Die Demokratie hat großen Rückhalt in Brasilien.“