piwik no script img

Nut­ze­r*in­nen­schwund bei NetflixWeniger Netflix and Chill

Jahrelang war Netflix das Synonym für Streaming schlechthin. Inzwischen verliert der Anbieter Abonnements. Woran liegt das?

Immer mehr Publikumslieblinge sind inzwischen nicht mehr bei Netflix verfügbar Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Als Mitte August die Meldung veröffentlicht wurde, dass Disney inzwischen mehr Abon­nen­t*in­nen zähle als Netflix, wird das die wenigsten überrascht haben. Es ist zwar nicht die vollständige Story – unter dem Dach von Disney sind neben dem Streaminganbieter Disney+ auch Hulu und der Sportsender ESPN+ vereint –, es zeigt aber eine Tendenz, die sich schon seit Monaten, wenn nicht Jahren abzeichnet: Den Wettbewerb der Streaminganbieter entscheidet Netflix nicht zwangsläufig für sich. Durchaus verwunderlich, wenn man bedenkt, dass die Plattform rund ein Jahrzehnt lang als synonym mit dem Begriff Streaming galt.

Die aktuellen Zahlen sind dabei mit etwas Vorsicht zu genießen. Netflix ist nach wie vor extrem erfolgreich: Im zweiten Quartal 2022 hatte der Anbieter rund 220,7 Millionen zahlende Abon­nen­t*in­nen weltweit, während es bei Disney im Juli 221,1 Millionen (Disney+ alleine macht 152,1 Millionen davon aus) waren. Diese Statistik ist allerdings irreführend: Werden mehrere der Disney-Strea­mingangebote genutzt (etwa Disney+ und Hulu, Letzteres ist derzeit nur in den USA verfügbar), so zählen diese als separate Abos und nicht als ein einziges.

Das heißt also, dass ein Haushalt, der drei Kanäle von Disney abonniert hat, auch als drei Haushalte zählt. Von diesem Umstand aber abgesehen kann man nicht leugnen, dass die Bedeutung von Netflix schwindet (Wer sagt heute noch den Spruch „Netflix and Chill“, was vor nicht allzu langer Zeit noch als Code für Sex galt?). Wieso also verliert Netflix an Abos und an Einfluss? Die Gründe sind vielfältig.

In den vergangenen Jahren sind unter anderem mit Disney+ (November 2019), Peacock (April 2020) und HBO Max (Mai 2020) viele neue Streaminganbieter hinzugekommen, die in direkter Konkurrenz zu Netflix stehen. Während zu Beginn der Pandemie alle, die zu Hause bleiben konnten, gefühlt kollektiv Netflix geschaut haben, ist die Auswahl und somit die Qual der Wahl jetzt größer. Damit einhergehen eine gewisse Überforderung der Kon­su­men­t*in­nen – wer hat schon Zeit, die ganzen Filme und Serien, die Woche für Woche veröffentlicht werden, zu schauen – und gestiegene Kosten, wenn man mehrere Anbieter abonniert und Netflix zudem auch noch seine Preise erhöht, wie zuletzt geschehen in diesem Jahr. Und anders als einige Streamingservices, darunter Amazon Prime Video oder Apple TV, deren Kerngeschäft ein anderes ist, ist Netflix allein von seinen Abo-Zahlen abhängig.

Wichtig: der Back-Katalog

Es gibt im Streaming eine Faustregel: Neu­abon­nen­t*in­nen kommen wegen des neuen Contents, bleiben aber wegen der Backlist, also dem Grundbestand an bereits vorhandenen Titeln. Soll heißen, dass Serien wie zum Beispiel die Netflix-Hits „Squid Game“, „Bridgerton“ oder „Stranger Things“ (von der aktuellen vierten Staffel des Blockbusters betrug die Streamingzeit allein in den ersten 17 Tagen 781,04 Millionen Stunden) neue Abos generieren können. Wobei sich hier immer stärker abzeichnet, dass es von Vorteil ist, die Serie nicht auf einen Schlag zu veröffentlichen – denn wer Binge­watching betreibt, kann sein Abo noch während der Probezeit wieder kündigen.

Dann aber braucht es vor allem einen guten Katalog, damit das Abo nicht direkt wieder abbestellt wird. Und da hat Net­flix, vor allem Netflix USA, in den vergangenen Monaten sehr viele Federn gelassen. Mit dem Launch von Disney+ hat Netflix sämtliche Disney- und Marvel-Filme und -Serien verloren, darunter sogar Eigenproduktionen wie „Jessica Jones“, die nach und nach zum Konkurrenten abwanderten. Der Klassiker „Friends“ – in Deutschland noch verfügbar, in den USA aber nicht mehr – wird jetzt von HBO Max angeboten, und auch andere Publikumslieblinge wie „New Girl“, „The Office“ und „How I Met Your Mother“ sind inzwischen nicht mehr auf Netflix verfügbar.

Bei Eigen­produktionen gibt es die Kritik, die Plattform würde auf Quantität setzen

Was Netflix-Eigenproduktionen betrifft, gibt es schon seit Langem die Kritik, die Plattform würde mehr auf Quantität denn Qualität setzen: Eigenen Angaben zufolge hat Netflix allein im Jahr 2021 rund 17 Milliarden US-Dollar nur für eigenen Content ausgegeben. Gleichzeitig hat Netflix seit Jahren den schlechten Ruf, selbst populäre Serien nach nur zwei Staffeln abzusetzen. Der Grund dafür liegt auf der Hand: „Alte“ Serien locken keine neuen Abon­nen­t*in­nen an, während gleichzeitig die Produktionskosten mit jeder weiteren Staffel steigen, etwa weil Schau­spie­le­r*in­nen höhere Gagen verlangen können.

Abo-Möglichkeit mit Werbeunterbrechungen

Weitere Gründe für den Image- und Abonnent*innen-Verlust von Netflix sind negatives Marketing, weil mehrere Hundert Mitarbeitende entlassen wurden, darunter viele People of Color und queere Personen, die man erst wenige Monate zuvor abgeworben hatte. Zudem ist die Kommunikationsstrategie des Anbieters oft undurchsichtig. Netflix hat seine Abon­nen­t*in­nen zuletzt unter anderem mit der (noch nicht umgesetzten) Ankündigung, das Teilen von Accounts zu unterbinden, verwirrt. Auch die Einstellung des Angebots in Russland im März dieses Jahres hat zu einem Verlust von weiteren 700.000 Abos geführt.

Netflix hat Lösungsansätze, um gegen diesen Negativtrend anzusteuern. Die wichtigste Neuerung erwartet uns Anfang des nächsten Jahres: Um der Kritik wegen der Preiserhöhungen zu begegnen, wird der Streaming­anbieter bald eine Abo-Möglichkeit mit Werbeunterbrechungen anbieten – diese wird dann, ganz wie in den guten alten Zeiten des konventionellen Fernsehens, auch während des Films eingeblendet. Die Kosten für Abos sollen sich dann voraussichtlich auf 7 bis 9 US-Dollar belaufen. Ob das Netflix’ Zukunft sichert, ist offen.

Also düstere Aussichten für Netflix? Nicht unbedingt, denn der leichte Abwärtstrend der vergangenen Monate ist natürlich nicht in Stein gemeißelt. Er bedeutet erst mal nur, dass die sogenannten „Streaming Wars“, das Kopf-an-Kopf-Rennen der Streaminganbieter darum, der beliebteste zu sein, noch lange nicht entschieden sind.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!