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Lage im ukrainischen AKW SaporischschjaEnergieraub nach Drehbuch

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Russland geht es in der Ukraine auch ganz banal ums Geld. Mit dem Überfall auf das AKW Saporischschja will es sich billigen Atomstrom sichern.

Beschuss und Notabschaltung zweier Reaktoren: Das ukrainische Atomkraftwerk Saporischschja

W as macht ein Staat, dessen Wirtschaft lahmt und der knapp bei Kriegskasse ist? Er überfällt ein Atomkraftwerk. Denn das bringt, vor allem wenn es sechs Reaktoren hat und Strom auf dem Weltmarkt teuer ist, jedes Jahr mehrere Milliarden Dollar.

Das Drehbuch ist in wenigen Worten erklärt: Nach der militärischen Besetzung kappt man die Leitungen zum Stromnetz des Besitzers und schließt das eigene Netz an das geraubte AKW an. Und während der Rest der Welt in Schockstarre zuschaut, lässt man sich von einer IAEA-Delegation eine (technische) Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen. Natürlich darf man beim Besuch der Delegation nichts dem Zufall überlassen. Doch dafür hat man zuverlässige Kol­le­g:in­nen vom Geheimdienst, die verhindern, dass Mitarbeiter allzu gesprächig gegenüber den Gästen werden.

Nun können Raubritter und europäische Länder wieder zur Tagesordnung übergehen. Das Jod, das man sich vorsorglich gekauft hat, kann man ungeöffnet im Medikamentenschrank stehenlassen. Nur der rechtmäßige Besitzer des AKW stört, weil er sich mit dem Raub nicht abfinden will.

Wenige Tage vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine hat die Ukraine ihr Stromnetz, das seit Sowjetzeiten nur mit dem Netz von Belarus und Russland kompatibel war, von Russland gekappt. Mittlerweile ist das ukrainische Stromnetz EU-kompatibel, kann also den billigen Atomstrom Richtung Westen verkaufen. Klar, dass Putin das verhindern will.

In Russlands Krieg gegen die Ukraine spielt somit eine ganz banale Sache eine Schlüsselrolle: Geld. Mit seinem Überfall auf ein AKW hat Russland Kriegsgeschichte geschrieben. Dieser Überfall könnte Schule machen, zumal wenn Putins Drehbuch voll aufgehen sollte. Daher wird es höchste Zeit, dass wir in Europa auf eine ökologische und dezentrale Energieversorgung umsteigen.

Gleichwohl darf bei der Kritik an der militärischen Eroberung des AKW Saporischschja durch Russland eine mögliche Mitverantwortung der Ukraine im Falle einer Katastrophe nicht ausgeblendet werden. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, das AKW beschossen zu haben. Und es spricht vieles dafür, dass auch die ukrainische Seite Richtung AKW geschossen hat.

Der einzige Hoffnungsschimmer ist derzeit der angekündigte Besuch der IAEA im AKW. Solange sich diese Delegation im Atommeiler aufhält, wird dort wohl nicht geschossen werden. Deshalb ist zu hoffen, dass die IAEA Saporischschja erst nach mehreren Monaten verlässt.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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27 Kommentare

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  • Mich wundert dass diese Geschichte der Kraftwerke von Saporischschja in diesem Zusammenhang nie erwähnt wird:

    1941 hat die rote Armee aus taktischen Gründen das Wasserkraftwerk in Saporischschja gesprengt. Die plötzliche Flut entlang der Dörfer am Fluss hatte geschätzt bis zu 100.000 Tote zur Folge.

    www.rferl.org/a/eu...gedy/25083847.html

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Zustände wie bei uns im Wäschekeller, wo Geräteanschlüsse (Wasser und Strom) schon mal an die Armaturen der lieben Mitbewohner:innen gekoppelt werden. Bei Gas bitte nicht ausprobieren.

  • "Mittlerweile ist das ukrainische Stromnetz EU-kompatibel, kann also den billigen Atomstrom Richtung Westen verkaufen."



    Oje, dann wird ja womöglich der Strom für die Wärmepumpen knapp, wenn Putin das verhindert...

  • Das Drehbuch wird richtig erklärt, aber es ist veraltet. Zum Drehbuch gehört, dass die Russen die Illusion hatten, in ein paar Tagen die Ukraine zur Kapitulation zu zwingen, und dann mit Pseudoreferenden und einem Regime aus Kollaborateuren die Kontrolle über das Land zu gewinnen und danach seine Ressourcen auszubeuten.



    Leider ist es nun anders gelaufen, und es mangelt an eben dieser Kontrolle. Der geklaute Strom aus dem AKW Zaporozhzhje muss erst nach Nowaja Kachowka geleitet werden und dann via Armjansk auf die Krim. Die Leitungen Richtung Krim stehen noch aus der Zeit bis 2015, als die Krim von der Ukraine aus versorgt wurde. Zu Demonstrationszwecken haben ukrainische Partisanen schon vor drei Wochen einen Hochspannungsmast zwischen Novaja Kachowka und Armjansk umgesägt. Und als vor einer Woche das große Munitionslager bei Dzhankoj auf der Krim zerstört wurde, ging u.a. auch ein Sprengsatz im dortigen Umspannwerk hoch. Im Falle eines Falles zerstören die Ukrainer einfach das erste Umspannwerk hinter der Krimgrenze (bei Armjansk) und dann hat es sich mit dem Stromklau. Die Russen wissen natürlich ganz genau, dass aus Stromklau nichts werden wird. Deswegen ist ihre provokative und gewalttätige Präsenz im AKW mit diesem ursprünglichen Drehbuch nicht mehr zu erklären. Sie halten das AKW besetzt, um einen unangreifbaren Rückzugsort für ihre in Bedrängnis geratenden Truppen zu haben, und um die Ukraine und den Rest der Welt mit einer potentiellen Atomkatastrophe zu erpressen.



    "Gleichwohl darf bei der Kritik an der militärischen Eroberung des AKW Saporischschja durch Russland eine mögliche Mitverantwortung der Ukraine im Falle einer Katastrophe nicht ausgeblendet werden. Beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig, das AKW beschossen zu haben. Und es spricht vieles dafür, dass auch die ukrainische Seite Richtung AKW geschossen hat."



    Das ist aber sehr bemüht formuliert. Die Verantwortung für alles, was im AKW passiert und noch passieren wird, tragen IMO die Russen allein.

    • @Barbara Falk:

      Vielen Dank für Ihren wichtigen Beitrag , dies gehörte bei sorgfältiger Recherche eigentlich in den Text !

  • Stromraub ist garnicht nötig für Russland. Die haben genug Strom. Und einen Plan B gibt es auch: Sollte die Ukraine (haha) oder man selbst das AKW beschießen und große Mengen radioaktiver Substanzen treten aus, dann kann man ganze Hauptstädte wie Kiew lahm legen und viel einfacher erobern.

    • @Troll Eulenspiegel:

      kurze info....die krim hat sowohl ein wasser als auch ein stromproblem.....aber sie behaupten einfach mal das gegenteil. dass sie völlig irrational sind, zeigt ja dann ihr letzter absatz.....

  • Russland erzielt jetzt höhere Einnahmen auf dem Gas- und Ölgeschäft als vorher.



    www.reuters.com/bu...l-says-2022-06-09/



    Und die Wirtschaft läuft, wenn auch beeinträchtigt, weiter.



    www.bloomberg.com/...s-economy-steadies

    Der Strom aus dem AKW könnte sanktionsbedingt auch nicht im Westen verkauft werden. Wer auch immer diesen Strom bezieht, wird in Rubeln zahlen. Und der Preis für Energie ist niedrig, ob in Russland oder dem Donbass. Wie soll Russland damit Geld verdienen?

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

    • @Octarine:

      och, immer über den tellerrand schauen......die udssr wurde auch nicht in 6 monaten wirtschaftliche ruiniert......eifnach abwarten und zusehen.



      und natürlich kann ukrainischer strom in den westen verkauft werden. von der ukraine.



      russland muss jetzt bereits gas abfackeln. russland hat jetzt schon probleme mit der wartung der technik der ölförderung.....alles westtechnik.

    • @Octarine:

      " erzielt jetzt höhere Einnahmen auf dem Gas- und Ölgeschäft als vorher."

      Leider verlinken Sie Artikel von Anfang Juni, der sich auf Zahlen von April und Mai 2022 beziehen.



      Im Juli 2022 sind die Einnahmen des Staatshaushaltes aus dem Öl- und insbesondere Gasgeschäft stark eingebrochen.



      Im Juli betrug das Haushaltsdefizit 900 Mrd. Rubel, oder knapp 35% der laufenden Staatsausgaben dieses Monats.



      hronika.substack.c...2--4ca?r=vldx3&s=w

      • @Barbara Falk:

        danke, dass sie fakten sprechen lassen! wirtschaftliche und technnische sanktionen wirken eben nicht immer sofort. lassen wir uns zeit und sehen zu, wie es in russland noch weiter abwärts geht.

  • Stromraub, nun ein Puzzelteil mehr im Krieg. Das war alles zu erwarten. Da kann noch viel mehr kommen.

  • Interessant da habe ich mal wieder nicht aufgepasst und etwas gelernt über Zusammenhänge die überhaupt nicht erwähnt werden (Puzzelteil gefunden!) Weil sich die Welt gerne in Gruppen aufteilt um übereinander herzufallen, möchte ich gleich festellen das es mir nicht so geht. Ich wünschte mir gerne mehr offenen Journalismus statt ständig irgendwelche Propaganda für und gegen. Der Artikel hätte eigentlich erscheinen müssen



    um das Verhalten zu erklären, warum das Werk so penetrant wird. Statt des aus allen Kanälen nur Beschimpfungen gegeneinander.



    Ich frage mich wo die Lösung hinter der Aufgabe steckt, hätten die Staaten der GUS in der Transformation mit eingebunden werden müssen um Schaden von der Ukraine abzuwenden sind die Fragen und Kompromisse die gegangen werden müssen?

    Vielen Dank für eure Anregungen



    Danke

  • Woher will der Autor eigentlich wissen, dass der Betreiber der Anlage von russischen Stromabnehmern nicht bezahlt wird?

    • @Francesco:

      Der war gut ! 🤣

      • @Gerald Stolten:

        Das war kein Witz. Der Eigentümer ist nicht der ukrainische Staat, sondern das Unternehmen Energoatom. Und Stromabnehmer sind nicht der russische Staat, sondern Privatkunden. Also woraus wird gefolgert, dass hier Strom ohne Bezahlung geliefert wird?

        • @Francesco:

          geil, die russischen privathaushalte der krim haben also einen vertrag mit energatom? und die sanktionen des zahlungsverkehrs gelten also auch nicht? und die enteignung und illegale abklemmung vo9m ukrainischen stromnetz vergessen sie auch?

          • @Helge Schneider:

            Welche Enteignung?

        • @Francesco:

          Energoatom ist ein ukrainisches Staatsunternehmen. Und es darf stark bezweifelt werden, dass Russland dem ukrainischen Staat freiwillig irgendwelche Zahlungen leistet ;)



          Dass Russland das Kraftwerk ans russische Netz anschliessen will, zeigt ansonsten auch sehr deutlich, dass die bisherigen Kundenverträge die Russen nicht ansatzweise interessieren.



          Das alte Personal dürfte hauptsächlich deshalb weiter genutzt werden, weil es für Russland am einfachsten ist.

          Insgesamt wird dieses Kraftwerk - wie bisher alles in diesem Krieg - als Waffe genutzt. Die Ukraine ist auf den Strom angewiesen, um die eigene Bevölkerung zu versorgen. Umso besser für Russland wenn das wegfällt.



          Andererseits wäre es mit diesem Kraftwerk deutlich leichter für Russland die südlichen eroberten Gebiete (inklusive Krim) zu versorgen.

          Und warum sollte Russland der Ukraine irgendwas dafür zahlen?

          • @Rüdiger1967:

            Ein Großteil der früheren und jetzigen Kunden sitzt doch vermutlich in den von Russland besetzten Gebieten. Und bezahlen muss ja nicht Russland, sondern die Kunden.

            • @Francesco:

              Das Kraftwerk hat früher so etwa ein Drittel des gesamtukrainischen Stromverbrauchs gedeckt. (Laut Wikipedia hatte es 2010 39 TWh eingespeist, im Jahr 2021 hatte die Ukraine einen Verbrauch von insgesamt 124 TWh. Es ist immerhin das grösste Kraftwerk Europas..).

              Die allermeisten Kunden dürften also in den ukrainisch kontrollierten Gebieten leben ;)

              Und wenn Russland das Kraftwerk z.B. mit der Krim verbinden sollte, dürfte es wohl sehr zweifelhaft sein, dass die dort lebende Bevölkerung dann wirklich Geld an ein ukrainischen Staatskonzern zahlen würde, wenn das Kraftwerk defacto von Russland kontrolliert wird.

    • 6G
      659975 (Profil gelöscht)
      @Francesco:

      Die "Betreiberin" hat ja nun gerade gewechselt....

      • @659975 (Profil gelöscht):

        "Die "Betreiberin" hat ja nun gerade gewechselt...."

        Sagt wer? Das Personal ist zumindest noch das gleiche. Die Besatzungsmacht ist nicht die Betreiberin. Es gibt einen Unterschied zwischen der Ausübung von Hoheitsgewalt und Eigentum.

        • @Francesco:

          oh, gilt das auch für das korn und die landwirtschaftlichen maschinen in den besetzten gebieten der ukraine?

          • @Helge Schneider:

            Möglicherweise. Ich würde davon ausgehen, dass die Bauern bezahlt werden.

            • @Francesco:

              Es wird immer besser...! 😂

        • @Francesco:

          Der Betreiber ist nicht zwangsläufig der Eigentümer.