: Euphorie geht anders
Trecker fahren mit 15, Auto ab 17: Jugendliche auf dem Land kommen ohne Führerschein nicht klar
Aus Eggebek Esther Geißlinger
Luca ist der Erste, der sich an den Wagen herantraut. Während die anderen, die an diesem Abend zum Theorieunterricht der Fahrschule Uhle erschienen sind, im Halbkreis um den orangefarbenen SUV herumstehen, öffnet Luca die Tür, entsichert die Sperre für die Motorhaube und klappt diese auf. Dann tritt er mit stoischer Miene zurück in den Halbkreis.
Schon in der ersten Theoriestunde ran ans Auto: „Man muss weg vom reinen Erzählen“, sagt Fahrlehrerin Joana Clausen. Die 28-Jährige mit dem funkelnden Steinchen in der Nase und den Ringen in der Oberlippe hat eigentlich Zahntechnik gelernt, aber die Arbeit in der Fahrschule gefällt ihr besser, sie mag die Vielfalt ihrer Schüler*innen.
Weil das Uhle-Team auf Fahrzeuge aller Klassen schult, sind auch Ältere darunter, Bus- oder Lkw-Fahrer, die eine Zusatzausbildung brauchen. An diesem Abend sind nur Jugendliche dabei, sie kommen aus Eggebek selbst, einem 2.500-Einwohner*innen-Ort unweit von Flensburg, oder einem der umliegenden Dörfer.
Luca ist gerade mal 15. Ernst und aufmerksam hört er zu und meldet sich fast auf jede Frage, die Clausen stellt. Luca will bald einen Trecker steuern, um auf dem Hof der Eltern seines besten Freundes mitzuarbeiten. In den Fahrschulunterricht steckt er das Geld, das er zur Konfirmation geschenkt bekommen hat.
Auch sein Sitznachbar Hendrik, ebenfalls 15, lernt für den Treckerführerschein, quasi als Berufsvorbereitung: „Ich will Landmaschinentechniker werden.“ Nick, 14, bereitet sich auf die Mofaprüfung vor, die Übrigen wollen Auto fahren. „Man kommt ja sonst nicht woanders hin“, sagt Nele. Die 16-Jährige wird einen Führerschein auf Probe machen, das bedeutet, dass ein Erwachsener dabei sein muss, wenn sie am Steuer sitzt.
Maurice ist mit 19 der Senior der Gruppe, er ist Bäckergeselle und braucht den Führerschein beruflich: Wenn er frühmorgens in die Backstube muss, fährt kein Bus. „Außerdem muss ich Ware ausliefern“, sagt er. Klingt alles nicht nach Begeisterung.
Das war noch vor einigen Jahren anders: „Früher gab’s hier zweimal in der Woche die größte Party Nordeuropas“, sagt Jörg Carstensen-Uhle, seit 1994 Chef der Fahrschule. Das ist natürlich eine wüste Übertreibung: Der schmale Unterrichtsraum mit dem braunen Mobiliar, den Schaubildern und dem Bildschirm an der Wand lässt beim besten Willen keine Partystimmung aufkommen. Doch früher seien die Jugendlichen lange vor Beginn der Stunde gekommen, hätten miteinander geredet, gelacht. Heute kommen sie nacheinander herein, murmeln ein kurzes Moin und schauen gleich wieder in ihre Smartphones.
„Du kriegst kein Feedback mehr“, bedauert der Fahrlehrer, der – wie viele in seinem Beruf – früher bei der Bundeswehr war, die längste Zeit als Koch. Zur Fahrschule kam der 57-Jährige aus Liebe: Der Vater seiner heutigen Frau Susanne Uhle gründete den Betrieb 1971. Heute schult das Ehepaar gemeinsam mit einem kleinen Team Jugendliche in der ganzen Region: Theorieunterricht findet in zwei Dörfern statt, für die Fahrstunden geht es in die Städte Flensburg und Schleswig.
Carstensen glaubt, dass es Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt, vor allem seien seine Schüler*innen im Schnitt jünger: „Für die meisten ist es sozusagen Pflichtprogramm, allein wegen der Infrastruktur“, sagt er. Die Zahl der Busse von und nach Eggebek ist überschaubar, und im Umkreis liegen noch kleinere Orte, die noch schlechter angebunden sind.
Auf die Frage in die Runde, ob Auto fahren angesichts des Klimawandels nicht ein Problem sei, gibt es keine richtige Antwort. Ob Auto fahren cool sei, Spaß mache? Nick zuckt mit den Schultern, Nele schaut ins Smartphone.
Fahrlehrerin Joana Clausen nimmt ebenfalls wahr, dass die Euphorie nicht gewaltig sei: „Das Auto als Symbol für Selbstständigkeit scheint nicht mehr so wichtig zu sein.“ Das Thema Umwelt spiele schon eine Rolle, berichtet sie: „Das kommt in den Fahrstunden manchmal auf, gerade unter Oberschülern.“
Aber auf den Führerschein verzichten? „Wer in der Stadt wohnt, kann mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren“, sagt Luca. „Auf dem Dorf ist das anders.“ Er muss noch eine Weile warten, bis er den Autoführerschein machen darf. Bis dahin fährt er weiter Rad – und Trecker.
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