„Ich werde noch viel lernen müssen“

Ferda Ataman ist trotz Kritik zur Leiterin der Antidiskriminierungsstelle gewählt worden. Nun blickt sie nach vorn und will Menschen besser vor Diskriminierung schützen

Die Publizistin Ferda Ataman freut sich auf ihren neuen Job Foto: Sarah Eick

Interview Dinah Riese

taz: Frau Ataman, der Bundestag hat Sie Anfang Juli zur neuen Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gewählt. Seit Ihre Nominierung Mitte Juni bekannt wurde, wurde darüber hitzig gestritten. Was war da aus Ihrer Sicht los?

Ferda Ataman: Dass viel über die Besetzung der Antidiskriminierungsstelle diskutiert wurde, fand ich erst mal positiv. Die Stelle war vier Jahre lang unbesetzt, ohne dass es die meisten gestört hätte. Außerdem haben wir in Deutschland Probleme mit Diskriminierung, und darüber müssen wir diskutieren. Allerdings habe ich mich persönlich in vielen Beiträgen dieser Debatte nicht wiedererkannt. Teilweise waren sie unsachlich bis diffamierend, außerdem sind erstaunlich viele Falschbehauptungen über mich in Umlauf gebracht worden.

Welche denn zum Beispiel?

Auf Wikipedia standen plötzlich frei erfundene Informationen, zum Beispiel, dass meine Eltern aus Thessaloniki in Griechenland kämen und die Vorfahren meines Vaters wegen der Inquisition aus Spanien geflohen seien. Außerdem behaupteten Leute, ich würde Clan-Kriminalität verharmlosen oder Rassismus von nicht-weißen Menschen ignorieren – was nicht stimmt. Richtig unterirdisch wurde es, als mir vorgeworfen wurde, ich würde bei offiziellen Veranstaltungen nicht neben Kur­d*in­nen sitzen wollen. Völlig absurd. Was mich überrascht hat: Viele Medien haben solche Behauptungen ungeprüft übernommen, und kaum ein Journalist hat bei mir nachgefragt, was ich zu den Vorwürfen sage.

Sie haben in einer Kolumne mal recht wohlwollend über die Bezeichnung „Kartoffel“ für weiße Deutsche geschrieben. Können Sie verstehen, dass diese Bezeichnung manche kränkt?

Es stimmt, dass dieser Begriff natürlich auch beleidigend verwendet wird. Aber meine damalige Kolumne steht für sich, da wird niemand beleidigt. Der Text beschäftigt sich mit der Frage, warum manche sich über den Begriff ärgern, aber nicht für Political Correctness einstehen, wenn es um abwertende Begriffe zum Beispiel gegenüber Schwarzen Menschen oder Rom*­nja geht.

Sie haben viel Zuspruch bekommen, etwa vom Rat für Migration. Kritiker:innen, wie die Rapperin und Wissenschaftlerin Reyhan Şahin, haben Ihnen aber vorgeworfen, türkisch geprägten Rechtsextremismus und Islamismus zu verharmlosen. Und in einem offenen Brief der Initiative „Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung“ hieß es, Sie bagatellisierten Probleme wie Zwangsverheiratung in mi­gran­tischen Communitys. Was antworten Sie auf diese Kritik?

Dass das so nicht stimmt. Ich verharmlose das nicht. Als Journalistin habe ich viel über Probleme, Zwangsehen und Gewalt in migrantischen Communitys geschrieben, der türkische Nationalismus und das autoritäre AKP-Regime belasten mich auch familiär seit Jahren. Der Publizist Stephan Anpalagan hat sich als Einziger die Mühe gemacht, die Vorwürfe mal auf Fakten zu prüfen. Dabei kam raus, wie haltlos sie sind. Trotzdem kreisten die Debatten bis zum Schluss um diese Behauptungen. Ich kann verstehen, dass manche, die mich nur aus dieser Berichterstattung kennen, Vorbehalte haben.

Als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle (ADS) müssen Sie auch für diejenigen Anlaufstelle sein, die Sie jetzt kritisieren. Wie wollen Sie diesen Graben überwinden?

Ich hoffe, dass ich Menschen mit meiner Arbeit überzeugen kann. Die Antidiskriminierungsstelle berät alle Menschen, die Diskriminierung bei Alltagsgeschäften oder in der Arbeitswelt erleben. Dabei geht es nicht nur um Diskriminierung aufgrund von Religion, Weltanschauung oder ethnischer Herkunft, sondern auch wegen des Alters, einer Behinderung, des Geschlechts oder der sexuellen und geschlechtlichen Identität.

Die Aufregung um Ihre Nominierung war groß, gleichzeitig sind die Antidiskriminierungsstelle und der Inhalt des dazugehörigen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vielen Menschen im Land immer noch weitestgehend unbekannt. Warum ist das so?

Ferda Ataman 42, wuchs in Nürnberg auf, ihre Eltern kamen aus der Türkei. Die ­Politikwissenschaftlerin war Reden­schreiberin im Familien­ministerium in Nordrhein-Westfalen unter dem CDU-Politiker Armin Laschet. Bis 2012 leitete sie das Öffentlichkeitsreferat der Antidiskriminierungsstelle. Von 2017 bis 2021 war sie Spre­cherin der „neuen deutschen organisationen“, eines Netzwerks migrantischer Gruppen, die sich gegen Rassismus und für Inklusion einsetzen.

Es ist schon beachtlich, wie viel über die Antidiskriminierungsstelle diskutiert wurde, obwohl viele bis dahin vermutlich nicht mal wussten, dass es sie gibt. Die Stelle macht tolle Arbeit, wurde aber von den bisherigen Regierungen nicht gerade als Chefsache behandelt. Sie wurde 2006 erst auf Druck aus der EU eingerichtet und das Gesetz, auf dem ihre Arbeit aufbaut, ist im internationalen Vergleich schwach aufgestellt. Deswegen landen nur wenige Fälle von Diskriminierung vor Gericht. Das aber wäre wichtig, um das Gesetz bekannter zu machen.

Welche Defizite sehen Sie?

Die Bundesregierung hat angekündigt, die Stelle besser auszustatten. Das ist überfällig. In der Pandemie sind die Beratungsanfragen um 78 Prozent gestiegen, die Stelle kam schlicht an ihre Kapazitätsgrenzen. Diskriminierung ist keineswegs ein Minderheitenthema. Jeder achte Mensch in Deutschland hat laut einer Befragung Diskriminierung erlebt. Das sind über 10 Millionen Menschen.

Der zweithäufigste Grund, der angegeben wurde, ist Altersdiskriminierung. Das spiegelt sich bisher aber nicht in den Beratungsanfragen bei der ADS wieder. Vermutlich, weil Altersdiskriminierung gesellschaftlich und politisch kaum thematisiert wird. Daher wissen viele Menschen wahrscheinlich gar nicht, welche Rechte sie haben und wie sie diese einfordern können. Dafür müssen wir Lösungen finden.

Die Ampel hat eine Reform des Gleichbehandlungsgesetzes angekündigt, dem immer wieder Schutzlücken attestiert werden. Welche sehen Sie?

2016 wurde das Gesetz evaluiert und Schutzlücken benannt. Beispielsweise haben Menschen, die Diskriminierung erleben, nur zwei Monate Zeit, um Ansprüche geltend zu machen – das ist viel zu kurz. Dann gibt es hohe Hürden, um rechtliche Ansprüche auch durchzusetzen – und keine Möglich­keiten für Verbände oder die Anti­dis­kri­mi­nie­rungs­stelle, vor Ge­richt Musterklagen zu erstreiten. Außerdem ist die soziale Herkunft nicht als Diskriminierungsgrund geschützt – das betrifft beispielsweise Emp­fän­ge­r*in­nen von Sozialleistungen wie Hartz IV. Und dann gibt es den großen Bereich der institutionellen Diskriminierung, für den die ADS nicht zuständig ist, der sie aber natürlich trotzdem beschäftigt.

Können Sie das erläutern?

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz ist ein zivilrechtliches Instrument, es regelt Diskriminierung zwischen Bür­ge­r*in­nen. Wenn also zum Beispiel jemand wegen seines* oder ihres* Geschlechts oder einer Behinderung eine Wohnung nicht bekommt, oder einen Job. Der Bereich Schule ist aber überwiegend staatlich – und dazu noch Ländersache. Da greift das AGG nicht. Trotzdem wissen wir, dass Diskriminierung im Bildungsbereich eins der zentralen Themen in Deutschland ist.

Also muss Bildung mit ins Gesetz?

Bei Anti­diskriminierung geht es darum, dass wir gut miteinander leben können

So einfach ist das nicht. Die ADS ist schon lange im Austausch mit den Ländern, um Dinge in Bewegung zu bringen. Man kann das Problem zum Beispiel auf Länderebene über Anti­dis­kriminierungs­gesetze abfangen.

Das gilt auch für andere staatliche Sphären. Berlin zum Beispiel hat in seinem Landesantidiskriminierungsgesetz den Bereich Polizei geregelt.

Genau. Bei dessen Verabschiedung war die Aufregung groß. Es hieß, die Polizei könne ihre Arbeit nicht mehr machen, falls ihr zu oft Diskriminierung unterstellt würde. Es ist zwar zu früh, um Bilanz zu ziehen, aber bisher hat sich die Sorge offenbar nicht bewahrheitet. Genau wie die Wirtschaft auch nicht durch die Einführung des AGG zusammengebrochen ist, wie manche am Anfang befürchtet hatten. Bei Antidiskriminierung geht es darum, dass wir gut miteinander leben können und Menschen die Rechte bekommen, die ihnen zustehen. Ich finde, es steht den Ländern gut zu Gesicht, wenn sie sich trauen, eigene Antidiskriminierungsgesetze zu machen, um Lücken zu schließen.

Sie haben zuletzt vor allem zur Teilhabe der Menschen in der Einwanderungsgesellschaft gearbeitet. Wie groß ist die Herausforderung, sich jetzt so viel breiter aufzustellen?

Darauf freue ich mich sehr. Als ich vor zehn Jahren schon mal in der ADS gearbeitet habe, fand ich es bereichernd, die Themen Gleichbehandlung und Antidiskriminierung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und mit verschiedenen Interessengruppen zusammenzuarbeiten. Der Kampf gegen Diskriminierung kann nur gemeinsam stattfinden. Viele der Vereine, in denen ich aktiv war, arbeiten schon längst intersektional. Die Neuen deutschen Me­di­en­ma­che­r*in­nen zum Beispiel mit dem Projekt „Leidmedien“, also mit den Kol­le­g*in­nen mit Behinderung, und mit queeren Jour­na­lis­t*in­nen beim Lesben- und Schwulenverband oder mit Pro Quote. Ich werde aber natürlich noch viel lernen müssen, und darauf habe ich große Lust.