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Lehrjahre sind Hungerjahre

Studierende und Azubis gehören zu den einkommensschwächsten Haushalten in Deutschland. Trotzdem werden sie von der Politik übersehen. Die Inflation bringt sie zusätzlich in finanzielle Nöte und macht ihnen Angst

Foto: Dosenravioli dürften unter armen Studierenden weiter ein Klassiker bleiben Foto: Jürgen Pfeiffer/imageBROKER/imago

Von Marita Fischer

Das Leben wird für alle viel teurer: Im Juni lag die Inflationsrate bei 7,6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, die Preise an der Tankstelle haben sich um mehr als ein Drittel erhöht, Heizölpreise haben sich verdoppelt, und der Strompreis ist um über 20 Prozent gestiegen. Auch Lebensmittel sind 12,7 Prozent teurer als im Vorjahr.

Diese Entwicklung trifft einkommensschwache Personen besonders hart. Der Preisanstieg von Konsumgütern des täglichen Bedarfs kann unter Umständen existenzbedrohend sein. Die 20 Prozent der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen geben fast 70 Prozent ihres Nettohaushaltseinkommens für die durch die Inflation besonders belasteten Bereiche Nahrungsmittel, Wohnen und Verkehr aus. Die Preissteigerung fällt also für sie, relativ gesehen, mehr ins Gewicht. Wer schon vor dem Anstieg der Inflationsrate am Monatsende kein Geld übrig hatte, der:­die muss nun noch kürzer treten oder rote Zahlen auf den Kontoauszügen in Kauf nehmen.

Das betrifft auch in hohem Maße junge Menschen. Gemäß der 21. Sozialerhebung zur wirtschaftlichen und sozialen Lage von Studierenden haben diese im Monat durchschnittlich 918 Euro zur Verfügung. Studierende gehören damit zu den einkommensschwächsten Personen der Gesellschaft. Wer in den deutschen Metropolregionen um Berlin, Hamburg oder München lebt, muss oft 400 bis 500 Euro allein für ein WG-­Zimmer zahlen.

Das Einkommen von Auszubildenden variiert von Branche zu Branche und von Ausbildungsjahr zu Ausbildungsjahr, bewegt sich aber durchschnittlich um 1.000 Euro Bruttogehalt pro Monat. Damit gehören auch sie zu den einkommensschwächeren Haushalten.

Trotzdem werden junge Leute in Deutschland von der Politik oft übersehen. Während der Coronapandemie, aber auch in der Gaskrise gibt es keine gesonderte finanzielle Entlastung für junge Menschen. Im Juni beschloss die Ampel-­Regierung mit Unterstützung der Linken-Fraktion zwar eine Erhöhung des Bafög-Regelsatzes um 5,7 Prozent zum Wintersemester 2022/2023.

Die Erhöhung wird aber in Gänze von der noch höheren Inflationsrate aufgefressen. Das bemängelt die oppositionelle Unionsfraktion sowie Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studienwerkes (DSW). „In den Sozialberatungsstellen der Studenten- und Studierendenwerke sind finanzielle Fragen das Top-Thema“, berichtet der Generalsekretär des DSW der taz.

„Studierende sind frustriert und verängstigt“, sagt Florian Ellwanger, studentischer Sprecher der Studierendenvertretung der Universität Regensburg der taz. Emotionale, aber auch finanzielle Unterstützung erhalten die Studierenden vorwiegend von Freund:innen. „Häufig helfen sich Studierende gegenseitig über finanzielle Engpässe hinweg, besonders in der Mensa“, so Ellwanger. Die Studierendenvertretung der Uni Regensburg fordert, dass das Bafög elternunabhängig wird, damit mehr Studierende finanzielle Unterstützung vom Staat bekommen können. 2019 erhielten nur rund 11 Prozent der immatrikulierten Studierenden Bafög.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat neue Entlastungen angekündigt. Auf jeden Fall werde am 1. Januar 2023 ein neues Bürgergeld kommen, zudem werde zum selben Zeitpunkt eine Wohngeldreform mit Heizkostenkomponente in Kraft treten. Details nannte er wegen Streits in der Ampel aber noch nicht. (reuters)

Für junge Leute sind in der aktuellen Krise keine gezielten Entlastungsprogramme geplant. Auch die bereits beschlossenen allgemeinen Entlastungspakete der Bundesregierung schaffen es unterm Strich nicht, die Mehrbelastung auszugleichen. Die Energiepreispauschale, einmalige Heizkostenzuschüsse, die vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage, der Tankrabatt und das 9-Euro-Ticket haben zwar eine entlastende Wirkung – es reicht aber nicht. Das zeigt eine am 13. Juli von der DIW Econ veröffentlichte Studie.

Aufgrund dessen befürwortet die DIW den Vorschlag der Diakonie, Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen pauschal 100 Euro pro Monat für mindestens sechs Monate auszuzahlen. Das würde die inflationsbedingte Mehrbelastung für die einkommensschwächsten 10 Prozent der Bevölkerung erfolgreich ausgleichen, so die Berechnungen des Instituts.

Die Diakonie macht aber keine Vorschläge für die Entlastung von Studierenden oder Auszubildenden. Die vorgesehene Pauschale soll nur an Leis­tungs­emp­fän­ge­r:in­nen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) ausgezahlt werden. Bafög-Bezüge regelt ein gesondertes Gesetz, das Bundesausbildungsförderungsgesetz. Das bedeutet, Studierende würden die Pauschale nicht erhalten. Auszubildende sind angestellt und beziehen keine Leistungen. Auch sie würden also nicht von der von der Diakonie vorgeschlagenen Pauschalzahlung profitieren.