: Neue Impulse nach zwei Jahren Distanz
Die diesjährige Botschaft der Nürnberger Doppelmesse Biofach & Vivaness lautet: Klimaschutz und Ökolandbau sind zwei Seiten derselben Medaille. Es gibt viel zu tun, trotz und wegen vieler Krisen
Von Dierk Jensen
Wer vor mehr als zwei Jahren, kurz vor dem ersten Corona-Lockdown, auf der Biofach – „Weltleitmesse“ für Bio-Lebensmittel – wandelte, der verspürte Optimismus unter den Ausstellern. Nicht verwunderlich, denn die Biomärkte sind längst aus ihren Nischen herausgewachsen, vorgedrungen in die Mitte der Gesellschaft. Allein die Biobranche in Deutschland setzt jährlich mittlerweile rund 15 Milliarden Euro um. Dennoch: Die Agrarwende, vor mehr als 20 Jahren von der damaligen Landwirtschaftsministerin Renate Künast ausgerufen, zieht sich zäher in die Länge als von vielen erhofft.
Obschon sich die jetzige Bundesregierung das Ziel gesetzt hat, den Ökolandbau bis zum Jahr 2030 auf 30 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche auszubauen, sind gegenwärtig erst knapp 11 Prozent der Felder und Äcker Deutschlands tatsächlich in Biohand. Dabei gibt es enorme Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. Während beispielsweise im Saarland schon fast 20 Prozent der Fläche ökologisch bewirtschaftet werden, sind es in Niedersachsen nur etwas über 5 Prozent.
Das ist ernüchternd, besonders weil ein großer Teil der wachsenden Nachfrage mit Importen aus dem Ausland bedient wird. Ein Widerspruch, der sicherlich auch auf den Foren des üppigen Kongressprogramms der Biofach und ihrer Schwestermesse Vivaness – auf der sich die globale Biokosmetik-Branche trifft – kontrovers diskutiert wird. Hohe CO2-Emissionen beim Warentransport sind angesichts des einsetzenden Klimawandels argumentativ nur schwer zu verteidigen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Biobranche selbst für Klimaneutralität und Resilienz wirbt. „Weg von den fossilen Energien“, lautet die deutliche Forderung, die auch in Nürnberg auf der Messe verkündet wird.
„‚Bio‘ und ‚Natur‘ müssen mehr sein als ein Etikett auf einem Produkt. Sie sind ein grundlegender Wandel in unserem Respekt für die Natur – wenn wir nicht so handeln, dann ist alles nur Marketing und wir bewirken nicht die notwendigen Veränderungen im System“, sagt David Mayer de Rothschild, britischer Abenteurer und Warner des Klimawandels.
Die Biofach bezeichnet sich selbstbewusst als Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel. Begleitet wird sie von der Vivaness, einer internationalen Fachmesse für Naturkosmetik. Dieses Duo ist wichtiger Geschäftstermin und Branchenevent in einem und dient sowohl als Treffpunkt als auch zur Positionierung. 2021 fand die Doppelmesse aufgrund der Coronapandemie rein digital statt. 2022 kommt man wieder nach Nürnberg, nicht wie bislang im Februar sondern vom 26. bis zum 29. Juli zu Sommer-Edition.
De Rothschild ist von der Messe, die in diesem Jahr unter dem Motto „Organic. Climate. Resilience“ stattfindet, als Keynote-Speaker engagiert worden.
Dass die Klimaneutralität auch für Erzeuger von Biolebensmitteln und Biokosmetika eine riesige Herausforderung ist, liegt auf der Hand. Viele müssen noch große Fortschritte machen, um dem eigenen Anspruch auch gerecht zu werden. Doch gibt sich die Biobranche selbstbewusst. So haben sich beispielsweise Bauern vom Anbauverband Bioland, der im letzten Jahr sein fünfzigjähriges Bestehen feierte, erfolgreich gegen den konventionellen Mainstream von Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und Handel wehren können. „Das System Bio liefert schon jetzt zukunftsweisende Lösungen für eine nachhaltige Transformation der Ernährungswirtschaft, die wir in den kommenden Jahren deutlich vorantreiben müssen“, betont Tina Andres, Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), dem Dachverband der Ökobranche.
„Auf dem diesjährigen Kongress wird motiviert, inspiriert, in die Zukunft gedacht“, hofft Andres nach Corona-Abstinenz auf neue Impulse. „In Nürnberg sollen notwendige Forderungen konkret an die Politik adressiert werden.“ Denn die Weichen für einen Umbau der Landwirtschaft müssten jetzt gestellt werden: Ein Umbau hin zu mehr Ernährungssouveränität und weg von Inputs auf Basis fossiler Energie. Hin zu mehr Resilienz, Kreislaufwirtschaft und starken regionalen Wertschöpfungsketten. Hin zu einer artgerechten, flächengebundenen Tierhaltung und einer Pflanzenproduktion, die Böden und Wasser nicht beschädigt und verschmutzt. „Die Werkzeuge, die wir schon heute für eine Landwirtschaft der Zukunft haben, müssen wir jetzt entschieden in die Hand nehmen“, postuliert die BÖLW-Vorstandsvorsitzende im Vorfeld der Messe.
Ob ihr Statement auch beim Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ankommt, bleibt abzuwarten; sein Ministerium will entgegen der eigenen Zielvorstellung, nur weitere 3 Prozent Flächenausbau für den ökologischen Landbau finanziell unterstützen. Das ärgert die Ökolandwirte, weshalb auch dieses Thema auf der ausnahmsweise im Sommer stattfindenden Biofach und Vivaness sicherlich heiß diskutiert werden wird.
Unterdessen freut sich Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König, dass seine Stadt nach langer Coronapause mit der Livemesse wieder als „Biometropole“ wahrgenommen wird. „Bio steht für eine fruchtbare Zusammenarbeit“, unterstreicht er in seiner Videobotschaft blumig. Damit die verbalen Blumen aber nicht zu schnell vertrocknen, braucht es noch viel Anstrengung und auch Innovationen, um eines Tages tatsächlich 100 Prozent Bio erreicht und zugleich alle Menschen ernährt zu haben.
Viele brennende Fragen warten derweil noch auf gute Antworten: Wie verhält es sich mit den Verpackungen? Wie lassen sich die Lebensmitteltransporte reduzieren, wie die regionalen Wirtschaftskreisläufe reaktivieren? Wie verhält es sich mit der Anpassung des Ackerbaus an immer krassere Witterungsextreme wie Starkregen und Dürren? Bieten sich dadurch für robuste Arten wie Hirse und Hanf wirklich neue Chancen? Pikant wie kontrovers auch die Frage, wie sich die vegane Bewegung mit dem klassischen Kreislaufgedanken des Ökolandbaus versöhnen lässt.
Aber wie auch immer die einzelnen Positionen in der vielschichtigen Biobranche sind, alle Erzeuger, Verarbeiter und Händler arbeiten am Ende auf eine gemeinsame grüne Zukunft hin. Alle wissen doch, dass es dazu keine Alternative gibt, was in der aktuell sich zuspitzenden Krisensituation durch Pandemie, Krieg, Wetterkapriolen, Inflation und weltweite Fluchtbewegungen dramatisch deutlich wird. Diese Erkenntnis beflügelt trotz aller Differenzen alle Aussteller und macht die Biofach zu einem vitalen und kreativen Ort der globalen Biobranche.
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