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Getreide als russisches Diebesgut

Von Barbara Oertel

Alles mitnehmen, was nicht niet- und nagelfest ist: Das gilt auf russischer Seite auch für landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine – genauer gesagt Getreide. In der Zeit von Anfang Mai bis Mitte Juni sollen laut Recherchen eines Journalistenteams von Radio Freies Europa aus den besetzten Gebieten Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja mehr als 180.000 Tonnen Korn abtransportiert worden sein.

„Sie haben unser Getreide gestohlen sowie unsere Lagerstätten und unsere Ausrüstung zerstört“, zitiert die britische BBC Dmitri, Mitarbeiter eines Agrarbetriebes in den besetzten Gebieten. Auf einer Überwachungskamera sind Bilder von der Ankunft russischer Soldaten festgehalten. Als einer von ihnen die Kamera entdeckt, schießt er auf sie, verfehlt jedoch sein Ziel.

Anfangs seien Landwirte, die ihre Ernte nicht hätten freiwillig abgeben wollen, mit dem Tod bedroht worden, berichtet der stellvertretende Vorsitzende des Allukrainischen Agrarrates, Denis Martschuk, dem ukrainischen Nachrichtenportal Gordonua.com. Mittlerweile hätten die Russen ihre Taktik geändert. Jetzt müssen Dokumente unterschrieben werden, dass der Verkauf auf gesetzmäßiger Grundlage erfolgt sei – jedoch zu Preisen, die weit unter dem Marktwert liegen. Wurden vor dem Ausbruch des Krieges mindestens 350 Dollar pro Tonne gezahlt, sind es jetzt lediglich 100 Dollar.

Den Weg des Diebesgutes hat die BBC unter Auswertung zahlreicher Satellitenfotos, GPS-Daten und Schiffstransponder nachgezeichnet. Danach wird die Fracht zunächst auf die Halbinsel Krim gebracht. Erster Anlaufpunkt für die Lastwagen ist die Stadt Dschankoi. Züge bringen die Ware dann zu den Häfen in Sewastopol und Kertsch.

Von dort transportieren russische Schiffe ukrainisches Getreide zur Straße von Kertsch, gelegen zwischen der Krim und Russland. Dort werde die Fracht, manchmal mit russischem Getreide vermischt, auf andere Frachter verladen. Das geschehe, so Andrei Klimenko, Chefs des Instituts für Strategische Schwarzmeerstudien in Kiew, um den Anschein zu erwecken, es handele sich um eine rein russische Ladung. Das sei auch in den Zertifikaten für den Export so vermerkt. Ein Teil der Beute geht nach Russland, der andere ins Ausland.

Der BBC zufolge haben US-amerikanische und ukrainische Behörden neun Schiffe ausfindig gemacht, die gestohlenes ukrainisches Getreide nach Syrien und in die Türkei transportiert hätten – darunter den Frachter „Finikia“, der der syrischen Marine gehört. Deren Bord-Transponder seien zeitweise ausgeschaltet gewesen, um ihre Route zu verschleiern.

Überhaupt gehört Syrien zu den besten Kunden. Russland hat sich vertraglich dazu verpflichtet, Damaskus innerhalb eine unbekannten Zeitraums eine Million Tonnen Getreide zu liefern. Bei anderen potenziellen Klienten hält sich das Interesse eher in Grenzen. Nach einer entsprechenden Intervention Kiews sagten Ägypten und Libyen ab.

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