: „Die Bilder haben sich verändert“
Kuratorin Miriam Zlobinski über Fotos vom Ukrainekrieg
Miriam Zlobinski
39, Kunsthistorikerin und Kuratorin, erforscht das politische Bild im Fotojournalismus.
Interview Petra Schellen
taz: Frau Zlobinski, haben sich die Motive der Ukraine-Bilder seit Kriegsbeginn verändert?
Miriam Zlobinski: Durchaus. Denn die Bildberichterstattung folgt ja der Chronologie der Ereignisse. Wenn so etwas wie die Grausamkeiten von Budscha bekannt wird, kursieren diese Bilder natürlich schnell in den Medien und auf Social-Media-Kanälen, und dann ist ein Bildthema eine Zeitlang beherrschend.
In den TV-Nachrichten werden immer ausgiebiger Waffen gezeigt, die wir liefern. Woher kommt diese Militarisierung?
Die Aussage kann ich per se nicht bestätigen. Ein Blick auf große US-Medien wie die New York Times legt den Eindruck nahe, dass die Präsenz im Bild, etwa Zivilisten an Waffen oder im militärischen Kontext der Armee, stärker vorhanden ist. Hierzulande stand das bisher nicht so im Fokus, in Deutschland konzentriert sich die Berichterstattung eher auf humanitäre Aspekte.
Was unterscheidet die Bilder aus der Ukraine von denen des Syrien- und Tschetschenienkriegs?
Manches ähnelt sich natürlich, denn es gibt Bilder, die der Krieg vorgibt: Zerstörung, Leid, Schmerz. Auf Repräsentationsebene ist allerdings erstaunlich, wie divers vom Ukrainekrieg berichtet wird – von der Tierrettung bis zu sehr persönlichen Tagebüchern, die FotografInnen vor Ort anfertigen. Das gab es beim Syrien- und Tschetschenienkrieg nicht. Auch personell haben Medien und Agenturen in der Ukraine anders agiert und nicht einfach FotografInnen hingeschickt, sondern nach ukrainischen FotografInnen geschaut, die aus der Betroffenenperspektive erzählen können. Wenn man die Bilderflut in den Social Media mal ausnimmt, berichten die redaktionellen Medien sowohl thematisch als auch von den Zugängen her wesentlich breiter als bei vorangegangenen Kriegen.
Nimmt auch das Publikum die Bilder aus der Ukraine anders wahr als die aus Syrien?
Ja, es kommen deutlich mehr Rückmeldungen in der Art von „Oh, das sieht ja aus wie …“. Man sieht etwas, das einem vertraut vorkommt und wozu man eine – vermutet – schnellere Verbindung bekommt. „Europäischere“ Bilder aus der Ukraine stellen anscheinend mehr Nähe her.
Als Opfer werden meist weinende ukrainische Frauen gezeigt. Keine verletzten Soldaten, keine Soldatenmütter. Reproduziert die Berichterstattung die Kriegspropaganda?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Die Darstellung der Mütter mit Kindern hängt auch damit zusammen, dass diese Gruppe ausreisen kann und für die JournalistInnen greifbar ist. Dass man andererseits kaum verletzte oder tote Soldaten zeigt, ist eine uralte politische wie bildpolitische Strategie der Kriegsberichterstattung, um weder Schwäche noch Angst zu zeigen.
Podiumsgespräch „Ein anderer Alltag — wie Bilder im Krieg entstehen“ mit Amélie Schneider (Bildchefin der Zeit), Sebastian Backhaus (Fotograf/Focus), Dominic Nahr (Fotograf/Maps Images) und Kirill Golovchenko (Fotograf/Focus): 30. 6., 19 Uhr, Hamburg, Mahnmal St. Nikolai. Die Ausstellung „Wir hatten ein normales Leben. Ukraine 2006–2022“ läuft dort bis 3. 7.
Um die „Kampfmoral“ nicht zu untergraben.
In den Bildern steckt die Möglichkeit, andere Diskussionen auslösen zu können. Abgesehen davon haben wir eine visuelle Asymmetrie, eine Bilderlücke. Aus Russland sehen wir Propagandabilder, aber nichts Individuelles, niemanden, der etwas sagt, das der jeweiligen Staatsraison widerspricht. Das hat natürlich mit den Gefahren zu tun, denen sich die AutorInnen mit den Bildern aussetzen würden.
Aber zumindest in den noch freien Regionen der Ukraine werden JournalistInnen und BewohnerInnen doch nicht bedroht?
Die Ukraine ist Kriegsgebiet. Nicht alle Orte sind sicher, und man kann nicht überallhin reisen. Wie FotojournalistInnen berichten können, ist von Absprachen mit den Verwaltungen und dem Militär, von Kontrollpunkten und deren Genehmigungen abhängig und damit, wohin man kommt, wie man kommunizieren, was man sehen und fotografieren kann.
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