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An­wäl­t:in­nen der Opfer

Eine Ausstellung in Hannover erinnert an den Völkermord in Ruanda. Dabei haben Rechts­me­di­zi­ne­r*in­nen wesentlich zur Aufarbeitung der Verbrechen beigetragen

Von Joachim Göres

Mehr als eine Million Menschen wurden 1994 in Ruanda ermordet, überwiegend Angehörige der Volksgruppe der Tutsi. Ganze Dörfer wurden ausgelöscht. Wie kann man einen Völkermord aufklären, wenn die Opfer in Massengräber verscharrt wurden und den Überlebenden angesichts ihrer drastischen Schilderungen jede Glaubwürdigkeit abgesprochen wurde? Eine wichtige Rolle dabei spielen Rechtsmediziner*innen. Das zeigt die Ausstellung „Never Forgotten – Never Again“ im Niedersächsischen Landesamt für Denkmalpflege (NLD) in Hannover.

Das Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf übernahm 2005 die Untersuchung von DNA-Proben, um Vergewaltigungen nachzuweisen. Tutsi-Frauen waren häufig von Hutu-Männern aus der Nachbarschaft vergewaltigt worden und dadurch schwanger geworden. Die so gezeugten Kinder wurden ebenso wie die beschuldigten Männer molekulargenetisch untersucht, eine Übereinstimmung der DNA führte zum Prozess. „Die Staatsanwaltschaft in Ruanda ist uns immer gefolgt, etwa 100 Vergewaltiger wurden auf Grund unserer Gutachten zu 25 Jahren Haft verurteilt“, sagt Institutsleiter Klaus Püschel.

Zusammen mit seinen Mit­ar­bei­te­r*in­nen untersuchte er in Murambi zahlreiche Todesopfer – dort waren in einem Schulgebäude 1994 innerhalb weniger Tage fast 50.000 Tutsi durch Hutu-Milizen umgebracht worden. Bei der forensischen Analyse ging es nicht um die Strafverfolgung, sondern darum festzuhalten, wie die Menschen ermordet wurden. Die Forscher stießen auf eingeschlagene Schädel, zertrümmerte Schultern, gebrochene Rippen, Stichverletzungen, durchgeschnittene Achillessehnen.

Mehr als 800 Opfer in Murambi wurden nach ihrer Exhumierung aus Massengräbern mit Kalk konserviert. Die NLD-Restauratorinnen Monika Lehmann und Dorte Schaarschmidt haben in den letzten Jahren in Ruanda für die heutige Gedenkstätte Murambi die Leichname von 20 toten Männern, Frauen und Kindern mit einem speziellen Verfahren von Kalk befreit. Durch die Reinigung haben die Ermordeten wieder ihre individuellen Züge erhalten, die vorher von einer dicken weißen Schicht überdeckt waren. Dadurch wurden auch die tödlichen Verletzungen wieder sichtbar.

Seit 2019 werden die gereinigten Skelette unter Glasvitrinen in der Gedenkstätte ausgestellt. Weltweit ist diese Form der Präsentation einzigartig. „Für uns ist es eine krasse Methode, Leichname so zu zeigen. In Ruanda hat man sich dafür entschieden, weil man schockieren wollte“, sagt Schaarschmidt. Das Ziel: die Beweise für den Völkermord allen Be­su­che­r*in­nen vor Augen zu führen. „Die Wahrheit muss krass dargestellt werden, damit sie nachwirkt“, sagt Klaus Püschel. „Das ist so wichtig, weil es immer noch Menschen gibt, die den Völkermord leugnen“, so der ruandische Botschafter Igor Cesar bei der Eröffnung der Ausstellung.

Sie zeigt anhand von Modellen, Texttafeln, Fotos, Hörstationen und Filmen die historischen Hintergründe für den Konflikt zwischen Tutsi und Hutu, die bis auf die deutsche und später belgische Kolonialzeit zurückgehen. Sie schildert den Ablauf des Genozids und den Versuch, die Geschehnisse aufzuklären und daran zu erinnern. Dafür wurde im Landesamt die Kabine nachgebaut, in der Lehmann und Schaarschmidt in Ruanda die Leichname mit einem Mikrosandstrahlgerät reinigten.

In der Kabine läuft ein Film mit Erinnerungen von Überlebenden des Genozids. Auf großformatigen Fotos sind Klassenräume aus Murambi zu sehen, in denen bislang Berge von mit Kalk konservierten Leichen liegen. „Es ist bis heute nicht entschieden, ob diese 800 weiteren Leichname bestattet oder in der jetzigen Form in der Gedenkstätte weiter ausgestellt werden sollen“, sagt Lehmann. Wer die Toten aus der Gedenkstätte Murambi sind, weiß man bis heute nicht – es gibt niemanden mehr, der sie identifizieren kann.

Püschel und sein Team waren nach dem Völkermord im bosnischen Srebrenica 1995 mit der Identifizierung der mehr als 8.000 Toten beschäftigt. In Ruanda wurde darauf verzichtet, weil dafür wichtiges Material wie zum Beispiel Unterlagen über den Gebissstatus nicht vorhanden sind – und weil durch die große Zahl der Opfer die Aufgabe kaum bewältigbar erscheint.

Anders schätzt Püschel die Situation derzeit in der Ukraine ein: „Dort gibt es eine große Chance, die Opfer und die Täter zu ermitteln, wenn man die Experten arbeiten lässt. Rechtsmediziner können Schusskanäle rekonstruieren, Projektile finden und sie Waffentypen zuordnen. Wir können nicht sagen, welche Einheiten solche Waffen benutzen, aber da können Waffenexperten, Polizei und Filmaufzeichnungen weiterhelfen.“

Püschels Fazit: „Rechtsmediziner sind die Anwälte der Opfer, insbesondere die der Toten. Sie sind Spezialisten für die Krankheit Gewalt. Ihre Expertise ist immer dann gefragt, wenn die Folgen von Kriegshandlungen oder eines Völkermords aufgearbeitet werden sollen. Ihre Einschätzungen spielen auch vor internationalen Gerichtshöfen eine wichtige Rolle.“

Der von der UN 1995 eingerichtete Internationale Strafgerichtshof für Ruanda verurteilte insgesamt 78 Angeklagte. Sein erstes Urteil von 1998 war wegweisend: Erstmals wurden Täter von einem Gericht wegen ihrer Beteiligung an einem Genozid für schuldig gesprochen, der geplanten Auslöschung einer ganzen Gruppe. Nach den Statuten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag ist ein Völkermord eine Gewalttat, die „in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören“.

Ausstellung „Never forgotten – never again“: bis 5. 7., Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, Hannover

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