Parlamentswahlen in Frankreich: Wer reicht ihm die Hand?

Emmanuel Macrons Parteienbündnis Ensemble! verliert die Mehrheit bei den Parlamentswahlen. Die Mitbewerber reagieren erst einmal schadenfroh.

Frankreichs Präsident Macron winkt aus dem Auto

Noch fröhlich: Frankreichs Präsident Macron nach seiner Stimmabgabe zu den Parlamentswahlen Foto: Michel Spingler/Pool via reuters

PARIS taz | Auf dem Papier sieht das so einfach aus: Da die Parteienallianz Ensemble! des Staatspräsidenten Emmanuel Macron nach den Parlamentswahlen keine absolute Mehrheit mehr hat, sondern nur noch eine kleine und relative, bildet sie halt eine Koalition mit Kräften aus der bisherigen Opposition! Eine „Mehrheit der Aktion“ nannte Premierministerin Élisabeth Borne dies am Sonntagabend hoffnungsvoll in ihrer ersten Stellungnahme zu den Resultaten der Stichwahlen, bei denen die Regierung ihre bisherige absolute Mehrheit verloren hat.

Borne möchte versichern, dass die knappe Mehrheit für Macrons Parteienallianz Ensemble! nur eine relative Niederlage sei und keine „Ohrfeige für Macron“, wie viele Zeitungen im In- und Ausland auf ihrer Titelseite schrieben. Die Offerte einer Zusammenarbeit (an die Adresse: whoever wants) brachte allerdings nicht das erwartete Ergebnis. Die eventuell infrage kommenden Fraktionen reagierten zunächst lieber mit schadenfrohen Kommentaren zur schallenden Ohrfeige, die der Präsident von den Wahlberechtigten erhalten hat. Niemand zeigte sich offen für die Rolle des Lückenbüßers in einer Nationalversammlung ohne klare Mehrheitsverhältnisse.

Denn im Unterschied zu parlamentarischen Demokratien in Deutschland oder Österreich sind Koalitionen zwischen Parteien, die sich sonst kritisieren oder bekämpfen, nicht üblich in Frankreich. Große Koalitionen – etwa von Sozialdemokraten, Liberalen und Konservativen oder „Regenbogenkoalitionen“ von rechts mit Grünen – gelten in der Fünften Republik, seit General Charles de Gaulles Rückkehr an die Macht 1958, als verpönt. Er hat den Staat mit einem Präsidialsystem so eingerichtet, dass der vom Volk gewählte Staatschef in allen Bereichen entscheidet, das Parlament nickt brav dazu. Der Widerstand gegen die Regierungspolitik wird dadurch fast unweigerlich auf die Straße verlagert: Wer nicht einverstanden ist, der streikt, demonstriert und schmeißt Pflastersteine wie im Mai 68 oder bei der Protestbewegung der Gelbwesten. Politik ist eine Kampfsportdisziplin, die Konsenssuche wäre schon fast das Eingeständnis einer Niederlage.

Darum zeigen sich heute weder die linke Volksunion NUPES (Neue Ökologische und Soziale Volksunion) und ihre einzelnen Bündnispartner (France insoumise um Jean-Luc Mélenchon, Sozialisten, Grüne und Kommunisten) noch das rechtsextreme Rassemblement National (RN) an irgendeiner Form der Kooperation interessiert. Die NUPES wird mit 142 Sitzen die stärkste Oppositionskraft und will diese Karte ohne Zugeständnisse ausspielen, um der Regierung bei dem Versuch, ihre unsozialen Reformen durchzusetzen, das Leben schwer zu machen.

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Marine Le Pens RN-Fraktion kann sich damit brüsten, den bisherigen „Cordon sanitaire“, den Schutzwall gegen die extreme Rechte, definitiv durchbrochen zu haben. Weder die Absprachen der anderen Parteien noch das französische Mehrheitswahlrecht haben dieses Mal verhindern können, dass RN mit 89 Abgeordneten in etwa seinem Wähleranteil entsprechend in die Nationalversammlung einzieht.

Éric Ciotti, Abgeordneter von Les Républicains

„Ich glaube nicht, dass wir als Ersatzreifen für den Macronismus herhalten sollten“

Mehr Attacken von rechts

Marine Le Pen wollte ihre extremistische Partei aus der Isolation holen und sie „salonfähig“ machen. Dieses Ziel hat sie erreicht. Jetzt wird sie die ganze parlamentarische Kraft darauf verwenden, die zukünftige Regierung vor allem in der Sicherheits- und Migrationspolitik von rechts zu attackieren. Von einem „Kompromiss“ will sie bestimmt nichts wissen. Und tatsächlich fragt niemand sie, ob das immer noch „unberührbare“ RN gar zu einem Koalitionsvertrag bereit wäre.

Auch die Konservativen, die bei den Wahlen gerade noch mal ihre Haut gerettet und mit 64 Sitzen den definitiven Abstieg in die Liga der Splitterparteien vermieden haben, wollen offiziell nichts von einer Rolle als Minderheitspartnerin in einer Koalition wissen. Der Vorsitzende der konservativen Partei Les Républicains (die unlängst noch mit Nicolas Sarkozy an der Macht war), Christian Jacob, hat zwar nicht alle Türen für spätere Diskussionen geschlossen, jedoch verspricht er dem Staatspräsidenten Macron, den er einer „destruktiven Politik“ bezichtigt, derzeit bestenfalls eine „konstruktive Opposition“.

Seine Partei habe aber nicht die geringste Absicht, dem nun in Not geratenen Regierungslager des Präsidenten jeweils die nötigen Stimmen zu liefern, um bei den Abstimmungen der Nationalversammlung gerade noch die erforderliche Mehrheit zu erreichen. Es sei nicht an der bürgerlichen Opposition, den in Schwierigkeiten steckenden Macron zu „retten“. Auch der in Nizza wiedergewählte Le-Républicains-Abgeordnete Éric Ciotti, der den rechten Parteiflügel repräsentiert, meinte hämisch: „Ich glaube nicht, dass wir als Ersatzreifen für den Macronismus herhalten sollten.“

„Wir haben unsere Kampagne als Opposition gemacht, wir sind und bleiben in der Opposition“, sagte mit Pokerfacemiene LR-Chef Jacob. Das wird kaum sein letztes Wort in Sachen Bündnispolitik sein. Hinter den Kulissen haben schon vor der Bekanntgabe der definitiven Wahlergebnisse die Verhandlungen begonnen. Dabei geht es um eventuelle Ministerposten in einer neuen Regierung, die trotz der geringen Sitzzahl für Macrons Allianz Ensemble! (246 von 577) eine Chance hätten, eine Vertrauensabstimmung zu überstehen. Wer an der Spitze eines nach rechts erweiterten Teams stehen könnte, ist dabei offen.

Der Präsident äußert sich bisher nicht

Theoretisch sind die Tage von Élisabeth Borne als Premierministerin bereits gezählt, doch kann es sich Präsident Macron wirklich politisch leisten, sie nur einen Monat nach ihrer Ernennung (womöglich durch einen Mann) zu ersetzen? Das würde ihm zweifellos als Beleidigung der Geschlechtergleichheit vorgeworfen. Borne war seit Édith Cresson 1991 die erste Frau auf dem Regierungschefposten. Da sie am Sonntag selbst in einem Wahlkreis in der Normandie als Abgeordnete gewählt wurde, wäre sie zumindest nicht als Politikerin arbeitslos, falls Macron zur Umbildung seiner Regierung im Extremfall einen Ersatzmann holen sollte. Zu seinen Plänen und auch zur Analyse der für ihn verheerenden Wahlergebnisse hat sich der Präsident bisher nicht geäußert.

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