Aufwachsen neben der Autobahnbaustelle: 11,3 Kilometer Freiheit

Der Bau der A26 von Stade nach Hamburg hat die Jugend einer ganzen Generation geprägt. Unsere Autorin gehörte dazu.

eine im Bau befindliche Autobahnbrücke neben Sandbergen

Hier liegen vielleicht noch Golfbälle: A26 bei Buxtehude, 2013 Foto: Carmen Jaspersen/dpa

STADE taz | Die Autobahn 26 ist für mich eng mit dem Gemecker meines Vaters verbunden. „Warum fangen diese Idioten von der falschen Seite an, die Straße zu bauen?“, hat er geschimpft. „Und dann noch auf Moorboden? Da müssen sie erst Sand aufschütten, weil der ganze Mist ein paar Monate später absackt.“ Von Straßenbau hat mein Vater – Sparkassenbetriebswirt – eigentlich nicht so viel Ahnung, aber die A26 hat im niedersächsischen Landkreis Stade bei vielen Leuten Kopfschütteln ausgelöst.

Da waren einerseits die Um­welt­schüt­ze­r:in­nen, in deren Vorgärten die „A26 Nein danke“-Schilder wohl noch heute verrotten. Sie wollten diese ­vierspurige Schneise durchs Alte Land zwischen Stade und Hamburg vollkommen verhindern. Dabei ging es um den Erhalt wertvoller Niedermoor­böden. Das hat schon mal nicht geklappt.

Und dann waren da Menschen wie mein Vater, die sich zwar irgendwie damit arrangiert haben, dass die Autobahn gebaut wird. Das soll ja gut für die Wirtschaft sein und immerhin kommt man auch schneller nach Hamburg. Zudem war man von der Alternativroute leidgeprüft: An der Bundesstraße 73 wechselten sich Bordelle, Lovemobile und Holzkreuze für Verkehrstote ab. Und Stau war da immer! Da schien der Autobahnbau gar nicht so verkehrt. Aber das Wie wirkte auf die Stade­r:in­nen wie ein Schildbürgerstreich.

Die Pläne für die Autobahn stammen schon aus dem Jahr 1970. Damals tauchte die A26 zum ersten Mal in einem Bundesfernstraßen-Bedarfsplan auf. Die Bauarbeiten begannen so richtig dann 2002. Sand wurde zu einem Damm aufgeschüttet, meterhoch, und dann die eigentliche Fahrbahn asphaltiert.

Das Gaspedal voll runtergedrückt, fuhr mein Corsa vielleicht 150 km/h

2008 – das Jahr, in dem ich Abi gemacht habe – war es dann endlich so weit. Der damalige Landrat und ein paar andere Herren im Anzug trugen feierlich das rot-weiße Absperrschild von der Fahrbahn. Kurze Zeit später waren ich und mein kleiner schwarzer Corsa auf der Piste! Gleich hinter der Abfahrt bei McDonald’s lag die große Freiheit. Für 11,3 Kilometer. Von Stade bis ins Nachbardorf Horneburg.

Das Gaspedal voll runtergedrückt, fuhr mein Corsa vielleicht 150 km/h, mit etwas Rückenwind. Gerechnet auf die Länge der Strecke begrenzt das das Freiheitsgefühl auf 4 Minuten und 31 Sekunden. Dann die Ausfahrt nehmen und wieder zurück nach Stade, die letzten Meter das gelbe M von McDonald’s im Blick.

Bis heute ist die Autobahn nicht fertig. Es stockt hinter Jork, einem bildhübschen Fachwerkkaff, und der Märchenstadt Buxtehude, die es tatsächlich gibt. (Ich muss es wissen, mein meckernder Vater wurde dort geboren.) Da die An­woh­ne­r:in­nen auch dort störrisch sind, wurde der Bauprozess ordentlich ausgebremst.

Dabei ging es gar nicht wirklich um die Autobahn selbst, sondern vor allem um die Buxtehuder Abfahrt. Für die erste Verschiebung des Standorts sorgte der seltene Wachtelkönig. Au­to­bahn­be­für­wor­te­r:in­nen vermuteten hinter vorgehaltener Hand, das Gezwitscher sei vom Band gekommen. Die dann erdachte Alternative wurde von An­woh­ne­r:in­nen vor Gericht gestoppt, weil direkt vor ihren Vorgärten meterhohe Lärmschutzwände entstehen sollten. Eine ziemliche Sensation damals. So richtig klar ist noch immer nicht, ob Buxtehude, die einzige nennenswerte Stadt zwischen Stade und Hamburg, eine eigene Abfahrt bekommt.

Doch auch über die nächste Baustelle an der geplanten Abfahrt Rübke hinter Buxtehude berichten Medien schon wieder, dass es zu Verzögerungen komme. Es habe mehr „Bodensetzungen“ gegeben als vorher vermutet. Ich will ja nicht sagen, mein Vater hat es euch gesagt, aber …

Und von den Jor­ke­r:in­nen habe ich da noch gar nicht erzählt. Die hatten für kurze Zeit durchgesetzt, dass die komplett bis zu ihrer Abfahrt fertiggestellte Autobahn nur in Richtung Stade eröffnet wurde. Man hatte keine Lust auf die „erhöhte Verkehrslast“ durch den schmucken Ortskern. Durchgekommen sind die Jor­ke­r:in­nen damit nicht, aber sie schildern die Autobahn bis heute nicht richtig aus. Eine sehr deutsche Kunstform: passiv-aggressive Beschilderung.

Doch die Erinnerungen an die Zeit, als die A26 noch nicht fertig war, kann mir keiner nehmen: In der Abi-Phase habe ich mit Freun­d:in­nen auf der Baustelle Golf gespielt. Man kann auf den Sandbergen gut Abschläge üben. Ich bin mir sicher, irgendwo zwischen Moorboden und Asphaltdecke sind ein paar weiße Bälle erhalten.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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