Ermittlungen gegen VW do Brasil: Anhörung wegen Sklavenarbeit

Volkswagen soll in den 1970er Jahren brasilianische Leiharbeiter unter sklavenähnlichen Bedingungen beschäftigt haben. Die Justiz ermittelt.

VW "Käfer" verschiedener Farben und Ausführungen stehen in enger Formation auf einem Parkplatz

Lange Zeit eine Erfolgsgeschichte: VW Käfer aus der Produktion der Volkswagen do Brasil 1976 Foto: Sven Simon/imago

SãO PAULO taz | Wie Tiere seien die Arbeiter behandelt worden. Geschlagen, gedemütigt, in elenden Baracken eingesperrt. Kranke seien nicht behandelt worden, viele sollen an Malaria gestorben sein.

Zwischen 1974 und 1986 soll es auf der Rinderfarm Cristalino am Rande des Amazonasbeckens zu schweren Verbrechen gekommen sein. Das legen 2.000 Seiten Ermittlungsakten der brasilianischen Staatsanwaltschaft nahe, die seit mehr als drei Jahren ermittelt. Besonders pikant: Die Farm wurde vom deutschen Autobauer Volkswagen betrieben. Am Dienstag sind die An­wäl­t*in­nen des Konzerns zu einer Anhörung vor dem Arbeitsgericht in der brasilianischen Hauptstadt Brasília vorgeladen. Erstmals hatten die Süddeutsche Zeitung, NDR und SWR darüber berichtet.

Die Vorwürfe in dem 84 Seiten starken Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft haben es in sich: Die für die Rodungsarbeiten eingesetzten Leiharbeiter seien „sklavenähnlichen Bedingungen“ unterworfen gewesen. Es soll sich um systematische Menschenrechtsverbrechen in Hunderten Fällen handeln, laut den Ermittlungsakten mit Wissen des Vorstands von Volkswagen do Brasil.

Für den deutschen Konzern ist Brasilien eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Fast 400.000 Autos verkaufte der Konzern in dieser Zeit in Brasilien jährlich, 60 Prozent des Marktes wurden vom Wolfsburger Unternehmen kontrolliert, Autos wie der Käfer erlangten auch in Brasilien Kultstatus. Schon bald wollte VW ebenfalls mit der Fleischproduktion Gewinne machen, und so öffnete Volkswagen do Brasil Mitte der 1970er Jahre Farmen im abgelegenen Amazonasgebiet. Der damalige Firmenchef Rudolf Leiding ordnete sogar persönlich an, Land im Regenwald für das Projekt zu erwerben. Was dem Konzern zugutekam: Die Konzernleitung hatte beste Verbindungen in die oberste Riege der damals brutal herrschenden rechten Militärdiktatur. Erst 1986, ein Jahr nach der Rückkehr zur Demokratie, gab der deutsche Konzern das Rindfleischgeschäft in Brasilien auf.

Ar­bei­te­r*in­nen bespitzelt

Dass das Kapitel nicht abgeschlossen ist, hat vor allem mit einem Mann zu tun: Ricardo Rezende Figueira. Der linke Priester war damals in der Nähe der Farm im Einsatz. Geflohene Arbeiter suchten bei ihm Schutz, später besuchte er mit einer Gruppe Po­li­ti­ke­r*in­nen die Farm. Jahrzehntelang sammelte er Beweise und Zeugenaussagen für die Gräueltaten auf der Farm. Die Staatsanwaltschaft bezieht sich bei ihren Ermittlungen maßgeblich auf die Recherchen Rezendes, der heute als Professor für Menschenrechte an der Föderalen Universität von Rio de Janeiro lehrt.

Die Debatte nahm erneut an Fahrt auf, als Volkswagen vor fünf Jahren begann, Menschenrechtsverletzungen in anderen Fällen untersuchen zu lassen. Der Werkschutz einer Fabrik bei São Paulo hatte mit der Geheimpolizei zusammengearbeitet und linke Ar­bei­te­r*in­nen bespitzelt. Mehrere von ihnen landeten in den Folterkellern des Regimes – wohl mit dem Wissen des Vorstands von Volkswagen do Brasil. 2020 zahlte der Konzern den Opfern umgerechnet rund 5,5 Millionen Euro. Doch für einige kam das zu spät, sie waren bereits verstorben. Entschädigungen für die Opfer in Amazonien hat es bisher noch nicht gegeben. In der am Dienstag in Brasília startenden Anhörung soll geprüft werden, ob es eine Einigung zwischen den Opfern und dem Konzern geben könnte. Andernfalls könnte VW strafrechtlich verfolgt werden.

Entschädigung gefordert

„Die betroffenen Arbeiter beziehungsweise deren überlebende Angehörige müssen entschädigt werden. VW muss historische Verantwortung übernehmen und um Entschuldigung bitten“, sagt Christian Russau von den Kritischen Aktionären der taz. „Da es noch heute Sklavenarbeit in Brasilien gibt, fordern wir, dass VW einen nennenswerten Betrag zur Bekämpfung der Sklavenarbeit zur Verfügung stellt.“ Seine Organisation beschäftigt sich seit vielen Jahren mit der Rolle von Volkswagen während der brasilianischen Militärdiktatur. Russau klagt bei VW-Jahreshauptversammlungen regelmäßig Menschenrechtsverletzungen des Konzerns an.

In Interviews mit Jour­na­lis­t*in­nen bestritt der ehemalige Leiter der Cristalino-Farm, der Schweizer Friedrich Brügger, jegliche Verantwortung der VW-Leitung für die damals verübten Verbrechen in Amazonien. Schuld hätten die Arbeitervermittler gehabt, die für die Rodungsarbeiten zuständig gewesen sind. Außerdem hätten damals auch andere Unternehmen so gehandelt. Er spricht von Einzelfällen.

Auf Nachfrage von Jour­na­lis­t*in­nen erklärte Volkswagen, die Ermittlungen ernst zu nehmen. Da sie aber keine Einsicht in die Akten bekommen hätten, könnten sie sich nicht konkreter zu den laufenden Ermittlungen äußeren. Russau von den Kritischen Aktionären befürchtet, dass VW versuchen könnte, „erneut eine medienwirksame Einzelfallthese zu basteln“.

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