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„Das beste wäre, aus dem Kapitalismus auszusteigen“

Eine Analyse des Thinktanks Konzeptwerk Neue Ökonomie will Wege zum guten digitalen Leben für alle aufzeigen. Der Informatiker Nicolas Guenot erklärt, wie das gehen soll – und wer dafür Verzicht üben muss

Ende eines PC-Lebens: Computer werden so schnell besser, dass viele Modelle nach wenigen Jahren ausgedient haben Foto: Kai Löffelbein/laif

Interview Svenja Bergt

taz am wochenende: Herr Guenot, ein gutes digitales Leben für alle – wie soll das aussehen?

Nicolas Guenot: Sich das vorzustellen ist gar nicht so einfach. Das liegt vor allem daran, dass die derzeitige Entwicklung eher in die gegenteilige Richtung geht: hin zu einem guten digitalen Leben für wenige.

Warum?

Das liegt vor allem an zwei Faktoren. Der erste: Die ökologischen ­Kosten für die Herstellung und den Betrieb von Geräten sind sehr hoch. Das hat allerhand Folgen beginnend bei den problematischen Verhältnissen, in denen die Rohstoffe abgebaut werden, und geht hin bis zur Klimakrise, die durch den Energiebedarf verstärkt wird.

Und der zweite Faktor?

Ist das Machtgefälle zwischen den Plattformen und den Nutzer:innen. Die Macht konzentriert sich bei wenigen großen Techkonzernen und das nimmt den Nut­ze­r:in­nen und uns als Gesellschaft die Mög­lichkeit, demokratisch darüber zu entscheiden, wie Technik eigentlich funktionieren sollte. Was wir von ihr wollen, was wir nicht wollen, zu ­welchem Zweck wir welche Anwendungen brauchen und auch, was sie eigentlich darf. Darf uns eine Plattform dahin manipulieren, dass wir bestimmte Inhalte stärker wahrnehmen als andere?

Sehen Sie diese beiden Faktoren unabhängig voneinander?

Nein, sie sind stark verschränkt. Denn die ökologischen Kosten von digitaler Infrastruktur sind maßgeblich bedingt durch die Entscheidungen der Techkonzerne. Und eben nicht durch demokratische gesellschaftliche Entscheidungen. So kann zum Beispiel die Entscheidung, einen Algorithmus zu verändern oder das Design eines Ladesteckers, den Energie- und Ressourcenverbrauch erhöhen – oder senken.

Die großen Techkonzerne sind laut eigenen Aussagen gar nicht so unökologisch. Google etwa gibt an, seit 2016 seinen kompletten Stromverbrauch mit erneuerbaren Energien zu decken.

Das mag sein. Aber das ist nur eine Scheinlösung. Denn das Problem ist, dass die digitale Infrastruktur immer weiter ausgebaut wird. Wir sprechen also über Reboundeffekte: Energie, die auf einer Seite eingespart oder auf erneuerbar umgestellt wird, wird an anderer Stelle mehr verbraucht. Durch neue Dienste, neue Angebote, neue Lebensbereiche, die digitalisiert werden. Das ist das kapitalistische Prinzip des immer weiteren Wachstums.

Das heißt, solange wir im Kapitalismus leben, wird es kein gutes digitales Leben für alle geben?

Ich würde sagen: Ja. Es wäre das beste, aus dem Kapitalismus auszusteigen und eine durch und durch demokratische und ökologische Wirtschaft aufzubauen. Aber das ist ein weit entferntes Ziel und daher sprechen wir zunächst über einen Prozess. Und der ist wichtig. Denn sonst tendiert man dazu, die Hände in den Schoß zu legen und zu sagen: Ach, solange der Kapitalismus da ist, können wir nichts tun. Und das ist falsch. Wir können und müssen sofort anfangen. Wir können digitale Technik heute schon anders gestalten, sodass etwas Neues entsteht.

Wie?

Das Erste, was wir debattieren müssen, ist die Frage der Selbstbegrenzung. Also: Was wollen wir nicht machen, weil die ökologischen Kosten dafür zu hoch sind? Dann müssen wir aber darüber sprechen: Wem gehört eigentlich diese Infrastruktur? Und machen diese Akteure damit? Da sind wir ganz schnell bei der Datenökonomie. Denn auch der ökologische Preis des Datensammelns, des Tracking und des Ausspielens von Werbung ist hoch. Der dritte Punkt ist vermutlich der schwierigste: Wir müssen uns eine Idee von der Technik der Zukunft machen, ohne sie schon zu kennen.

Wie meinen Sie das?

Ein Beispiel: Bei Mobilität können sich viele Menschen eine autofreie Innenstadt vorstellen. Sie können einschätzen, was die Vorteile oder Nachteile für sie persönlich wären und ob sie das möchten. Aber uns eine neue Art der digitalen Technik vorzustellen, jenseits dessen, was wir schon kennen – das ist sehr schwierig. Das müssen wir aber üben. Denn nur so schaffen wir es, nicht länger von den Techkonzernen und deren Interessen getrieben zu sein.

Was könnte denn etwas ganz Neues und Anderes sein?

Ich denke zum Beispiel an eine ganz andere Infrastruktur. Dass Plattformen nicht mehr zentral organisiert sind, sondern dezentral und demokratisch. Eine Möglichkeit, das zu üben, wäre etwa, wenn Bür­ge­r:in­nen in demokratisch legitimierten Stadtwerken für digitale Infrastrukturen mitentscheiden könnten. In einer aktiven Position zu sein, hilft, den Blick zu öffnen für Dinge, die wir anders gestalten können.

Kommen wir noch mal zum Punkt, den Sie Selbstbegrenzung genannt haben. Eigentlich geht es dabei um Verzicht – und wir sehen gerade in Pandemie- und Kriegskontext, wie unbeliebt Verzicht ist. Niemand will auf Nudeln oder Rapsöl verzichten.

Ich glaube, die Diskussion über Selbstbegrenzung erzeugt so viel Stress, weil die meisten Menschen sehr wohl wissen oder zumindest ahnen, dass wir im Globalen Norden auf Dinge verzichten müssen, um den Klimawandel zu begrenzen. Das Wichtige ist, dass wir demokratisch verhandeln, was wir uns leisten können. Und dass Verzicht auch bedeutet: Umverteilung von Macht und Ressourcen innerhalb und zwischen Gesellschaften. Dass also nicht die verzichten müssen, die ohnehin schon am wenigsten haben. Und Umverteilung bedeutet, die meisten bekommen global gesehen mehr.

Was würde das bedeuten, wenn wir das etwa auf den Mobilitätssektor runterbrechen? Das ist einer der größten CO2-Emittenten und ein Bereich, in dem es viel Verzicht braucht: weniger Autos, weniger Flüge, weniger Emissionen. Und in dem die Digitalisierung als großer Hoffnungsträger gilt, weil sie die Nutzung von Alternativen einfacher machen könnte.

Ja, die digitale Technik hat hier sehr viel im Diskurs verändert – aber wenig in der Realität.

Warum nicht?

Weil zwar der Zugang zu Verkehrsmitteln digitalisiert wird. Aber diese Veränderung wird nicht genutzt, um die Wahl von Verkehrsmitteln zu beeinflussen. Radfahren und der ÖPNV wird nicht attraktiver, das Auto nicht unattraktiver, teilweise sogar im Gegenteil: Es macht es einfacher, mehr Strecken mit dem Auto zurückzulegen, etwa per Uber oder Carsharing.

Aber vielleicht schaffen einige Menschen so ihr Auto ab.

Vielleicht. Aber wir brauchen insgesamt weniger Autos auf der Straße, egal ob geteilt oder alleine genutzt. Wobei ich grundsätzlich schon denke, dass Plattformen, richtig eingesetzt, die Mobilität nachhaltiger machen könnten.

KNOE

Nicolas Guenot, 39, ist Informatiker und beschäftigt sich beim Konzeptwerk Neue Ökonomie schwerpunktmäßig mit Digitalisierung. Er ist außerdem Mitorganisator der Konferenz Bits & Bäume.

Was muss dafür passieren?

Momentan wird der digitale Zugang zu Mobilität meistens privatisiert. Apps sind häufig in privater Hand, aber auch Leihroller oder Carsharing-Angebote. Damit verlieren die Städte einerseits Daten über die Nutzung von Mobilität, die sie brauchen könnten, um gute Entscheidungen zu treffen. Und andererseits verlieren sie Gestaltungsmacht. Denn eigentlich müssten sie selbst die Entscheidung treffen, wie sie die Mobilität gestalten wollen. Und sich nicht privaten Anbietern und deren Interessen ausliefern.

Wie soll es also aussehen, das gute digitale Leben für alle?

Auf alle Fälle ruhiger als heute. Alltägliche Wege lassen sich mit dem Rad zurücklegen und das ohne Stress. Kommunikation wird es natürlich auch digital geben, aber über dezentrale Plattformen, die an den Bedürfnissen der Nut­ze­r:in­nen orientiert sind und nicht die ganze Zeit versuchen, einem etwas zu verkaufen. Arbeit – etwa das Liefern von Essen oder anderen Waren oder Clickworking – beruht nicht auf Ausbeutung, sondern ist sichtbar und die Arbeitsbedingungen sind fair.

Das klingt jetzt nicht so fundamental unterschiedlich zu dem, wie wir heute leben. Warum sagen Sie trotzdem, dass wir weit davon entfernt sind?

Weil die Entwicklung gerade in die gegensätzliche Richtung geht. Aber ich bin überzeugt davon, dass wir diese Entwicklung stoppen und umdrehen können. Denn Menschen gewöhnen sich sehr schnell an neue Situationen. Denken wir einmal daran: Das erste Smartphone kam 2007 auf den Markt. Das ist noch gar nicht so lange her. Und trotzdem ist heute für viele Menschen hierzulande schon ein Tag ohne Smartphone unvorstellbar. Wir würden uns also auch ganz schnell an eine Welt des guten digitalen Lebens gewöhnen.

Was ist also der erste Schritt?

Ich glaube, wir sind noch nicht so weit, dass wir viel über Gesetze erreichen könnten. Zunächst müssen Bewegungen und Initiativen das Thema aufgreifen und im ersten Schritt Räume zum Ausprobieren schaffen. Das gibt es heute schon.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel im Bereich Social Media. Da gibt es das Fediverse mit Mastodon als Alternative zu Twitter. Diese Alternative macht ein schönes Versprechen: Eine Kommunikation, die mehr von den Menschen gesteuert und kontrolliert wird und nicht von intransparenten Algorithmen einer gewinnorientierten Plattform. Hier kann man im Kleinen ausprobieren, wie wir Kommunikation gestalten wollen. Es muss weitergehen, und die nächste Herausforderung ist, die Alternative aus der Nische herauszuholen. Dafür muss man die Macht der Techkonzerne nicht nur einschränken, sondern brechen. Und dann sind wir an dem Punkt, dass wir Gesetze brauchen.

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