Magdeburger Handballer vor Meistertitel: Aufs Gewinnen gepolt

Die Handballer des SC Magdeburg beeindrucken mit klugem Kaderaufbau und Konstanz – und könnten nach 2001 wieder Deutscher Meister werden.

Zwei Berliner Verteidiger versuchen Philipp Weber beim Sprungwurf zu behindern

Mit Sprungkraft und komplettem Glauben: Philipp Weber setzt gegen die Füchse Berlin zum Wurf an Foto: Ronny Hartmann/dpa

Es gab einige Stationen in dieser Saison, die auf ein phänomenales Ende hingewiesen haben. Im vergangenen Herbst siegte der SC Magdeburg im „Super Globe“ gegen Aalborg und Barcelona und durfte sich „Vereinsweltmeister“ im Handball nennen. Dann, Ende Oktober 2021, folgte ein Auswärtssieg in Kiel. Am 1. Mai, als die Konkurrenz wieder auf ein Stolpern hoffte, gewann der SCM gegen die Füchse Berlin. Obwohl Trainer Bennet Wiegerts Mannschaft lange zurückgelegen hatte.

Danach hatte auch der Letzte verstanden, dass der SCM in dieser Saison nicht mehr einbrechen würde – die Kieler Sticheleien nach dem Sieg im DHB-Pokalfinale gegen Magdeburg im April prallten ab, obwohl man merkt, dass der Hinweis des THW-Stars Sander Sagosen doch Spuren hinterlassen hat. Man werde nun sehen, ob Magdeburg „Eier habe“, hatte er rausgehauen.

„Wir haben irgendwann jedes Spiel als Finale gesehen“, hält Regisseur Philipp Weber dem entgegen, „es war uns Wurst, was andere gesagt haben. Wir haben so viele Hürden übersprungen, dass wir komplett an uns glauben.“ Tatsächlich aber haben die Siege beim „Super Globe“ im Oktober 2021 in Saudi-Arabien viel beigetragen zu einer fast makellosen Saison. „Das hat uns getragen“, sagt Wiegert, „wir haben gesehen, dass wir wettbewerbsfähig mit Barcelona sind. Da ist neues Selbstbewusstsein entstanden. Wir hatten einen unglaublichen mentalen Fokus auf jedes einzelne Spiel. Und dann haben wir uns von Meilenstein zu Meilenstein bewegt.“

Die Niederlagen in Flensburg kurz vor Weihnachten und gegen Kiel im März nahm Wiegert cool zur Kenntnis. Weil sein Team nämlich knifflige Rückrunden-Partien wie in Stuttgart oder Wetzlar sowie gegen Melsungen unbeschadet überstand, während Kiel und Flensburg genau bei solchen Gegnern patzten, blieben die vier Minuspunkte aus den Partien gegen SG und THW folgenlos.

Nur noch ein Punkt zur Meisterschaft

An diesem Donnerstag nun können die Magdeburger eine ganze Region feiern lassen – ein Punkt fehlt noch aus drei Spielen, um wie zuletzt 2001 deutscher Handballmeister zu werden. Der erste Versuch startet heute Abend beim HBW Balingen-Weilstetten. Und trotz der Enttäuschung vom verlorenen European-League-Finale am Sonntagabend in Lissabon gegen Benfica glaubt keiner im grün-roten Lager mehr daran, dass noch etwas schiefgehen wird – dagegen spricht die Konstanz über 31 Spieltage.

Regisseur Philipp Weber

„Wir haben irgendwann jedes Spiel als Finale gesehen“

Rhein-Neckar Löwen, Flensburg, Kiel, das waren die Meister der vergangenen sechs Serien. Nach Jahren dieser Hegemonie erwacht der Handball-Riese aus Sachsen-Anhalt mit seinen traditionell guten Strukturen und begeisterungsfähigen Fans wieder. 20 Jahre sind vergangen, seit sich der Verein nach dem Triumph in der Champions League gegen Veszprém nicht mehr weiterentwickelt hat, im Mittelmaß verharrte, fast pleite war. Unter Wiegert, der auch Geschäftsführer Sport ist, hat sich der SCM seit 2015 herangepirscht. Mit dem Geschäftsführer-Kollegen Marc-Henrik Schmedt hat Wiegert einen Kader gebastelt, der stetig stärker geworden ist und nach zwei dritten Plätzen nun erntet, was Wiegert mit starkem Scouting gesät hat. Unterfüttert ist das mit einem Etat von geschätzten 9 Millionen Euro – eine Summe, mit der sich der SCM unter den top drei der Liga bewegt, was Schmedt so nie sagen würde. Er bewegt sich lieber unter dem Radar.

Spieler wie Omar Ingi Magnusson und Gisli Kristjansson galten wegen komplizierter Verletzungen als abgeschrieben. Beiden hat Wiegert vertraut und sie neben Spielmacher Weber, der aus Leipzig kam, zum Paraderückraum der Bundesliga ausgebildet.

Wer den SCM verfolgt hat, sah zwei Spielweisen: Gegen Schwächere kann sich Wiegert auf beeindruckendes Tempospiel verlassen. Torwart-Parade, Pass, Pass, Tor. Wie an der Schnur gezogen. Meist leitet der unterschätzte Führungsspieler Christian O’Sullivan die Gegenstöße ein. Kommt der Gegner aus dem oberen Regal, wühlen sich die eher kleinen Magnusson und Kristjansson immer wieder durch die Deckung und treffen aus sechs Metern. Das kostet Kraft. Aber beide sind jung, haben noch keine 300 Bundesligaspiele in den Knochen, wie der ganze Kader gerade verglichen mit Kiel überhaupt die beste Zeit noch vor sich zu haben scheint.„Ich musste das Gewinner-Mindset wieder einbauen in diesen Verein“, sagt Bennet Wiegert, 40, rückblickend. Der nächste Schritt wird nun sein, vom Jäger zum Gejagten zu werden.

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