Fraktionsklausur der Grünen: Doch nicht alles Bullerbü

Bei der Klausur der Grünen-Fraktion auf dem Landgut Stober zeigt sich: Ohne Reibung ist das Verhältnis in der rot-grün-roten Koalition nicht.

Boot im Rapsfeld

SPD-Fraktionschef zum grünen Finanzsenator: „Daniel, willst du uns verarschen?“ Foto: dpa

BERLIN taz | Gelb der Raps auf den umliegenden Feldern, rot der Backstein des alten Landguts Stober südlich von Nauen, das Bio-Hotel selbst ist gerade als das grünste Europas ausgezeichnet worden. Angesichts dieser Idylle überrascht es kaum, dass bei der Klausurtagung der Grünen-Fraktion immer mal wieder von Bullerbü die Rede ist, die an Astrid Lindgren angelehnte Vision des schönen Lebens.

Es ist darum schon ein wenig krass, wenn im Tagungsraum der weniger freundliche Satz fällt: „Daniel, willst du uns verarschen?“ SPD-Fraktionschef Raed Saleh spricht ihn aus. Die Grünen hatten Saleh zu ihrer Klausur geladen, um – durchaus presseöffentlich – über die Zukunft von Rot-Grün-Rot zu diskutieren. Der Daniel, den er da anspricht, ist der grüne Finanzsenator Wesener. Saleh hält Wesener vor, dass der Senat Geld ausgebe, „als gebe es kein Morgen mehr“ – aber teilweise eben nicht für Dinge, die im Koalitionsvertrag verabredet seien.

Was am Anfang wie eine Showveranstaltung für die mitgereisten Journalisten gewirkt hat, in der sich Saleh, die Grünen-Fraktionsspitze und auch Linksfraktionschef Carsten Schatz gegenseitig bestätigen, wie gut die Zusammenarbeit in der Koalition angeblich ist, lässt nun doch ein bisschen tiefer blicken

Differenzen nicht zukleistern

Bei den Grünen haben auch nicht alle Lust, aktuelle wie vergangene Differenzen zuzukleistern. Andreas Otto etwa, der Pankower Abgeordnete und Bauexperte, kann sich noch gut erinnern, wie Ende der vergangenen Wahlperiode die verabredete neue Bauordnung an der SPD scheiterte. Bei all dem, was er da gerade von Politik „aus einem Guss“ höre, will Otto von den Fraktionschefs wissen: „Wie lange halten wir das durch?“ Worauf erwartbar alle versichern, die Koalition sei auf fünf Jahre angelegt.

Ziemlich klar sagt Saleh allerdings auch: Einseitige Änderungen am Koalitionsvertrag mache die SPD nicht mit, Verträge seien einzuhalten. Das sagt er konkret zu einer City Maut, die die Grünen gerne hätten, die SPD aber nicht. Aber mutmaßlich gilt der Hinweis auch der Linkspartei, bei der die verabredeten Ziele im Wohnungsbau plötzlich infrage zu stehen scheinen.

Saleh erinnert daran, dass sich auch die SPD an Zugeständnisse halten würde, und erzählt im Plauderton, wie die Stimmung in seiner Fraktion gewesen sei, als plötzlich durch das FDP-geführte Bundesverkehrsministerium der Weiterbau der A 100 wieder Thema wurde: Da habe es „vielen in den Fingern gejuckt“, eine große Chance zu nutzen.

Später von der taz auf seine harsche Wortwahl gegenüber dem Finanzsenator – „verarschen“ – angesprochen, sagt Saleh, die Grünen hätten ihn zuvor aufgefordert, bei dieser Diskussion zu reden, wie in der regelmäßigen Runde der rot-grün-roten Koalitionschefs in Berlin. Was gleichfalls tief blicken lässt. Was dabei auch auffällt: Zwischenzeitlich könnte man in der Diskussion fast vergessen, dass auch Linksfraktionschef Schatz anwesend ist – so stark konzentriert sich die Auseinandersetzung auf das Verhältnis zwischen Grünen und SPD.

Lackmustest für Koalition

Schatz kommt wieder ins Spiel, als die grüne Mietexpertin Katrin Schmidberger fragt, wie die Koalition dauerhaft beim Wohnungsbau zusammenarbeiten soll. „Das wird ein Lackmustest für diese Koalition sein“, antwortet Schatz mit Blick auf die Enteignungsfrage. „Wir haben eine Chance, über diese Klippe zu kommen – das liegt an uns.“

Noch spannender wäre es geworden, wenn Saleh – nicht nur für diese eineinhalbstündige Diskussionsrunde zur rot-grün-roten Zukunft eingeladen – von Anfang an dabei gewesen wäre. Denn zum Auftakt der Klausur haben die Grünen Katja Diehl beklatscht, Verfasserin von „Autokorrektur“, einem gerade oft zitierten Plädoyer für die Verkehrswende.

Diehl forderte die Grünen nämlich auf, „aggressiver“ gegenüber den Menschen zu werden, die am Auto festhielten. Von einer „Battle“ spricht sie, einer Schlacht also. „Gleichberechtigt unbequem“ will sie zudem das Auto machen. Raed Saleh hingegen hatte im Wahlkampf 2021 klargemacht: „Mit der SPD gibt es keinen Krieg gegen die Autofahrer.“

So einstimmig wie ein Papier zur Mobilitätswende beschließen die Grünen-Abgeordneten auch einen Masterplan „Ankommen & Teilhaben“ für ukrainische Flüchtlinge. Ein Punkt darin: den ukrainischen Unabhängigkeitstag am 24. August einmalig auch in Berlin als Feiertag zu begehen, als „deutliches Zeichen der deutsch-ukrainische Verbundenheit“. In der Koalition haben die Grünen das noch nicht abgesprochen – der SPD-Fraktionschef ist auf jeden Fall überrascht von der Idee. Wie genau das aussehen soll, ob als arbeitsfreier oder reiner Gedenktag, bleibt offen.

Dass überhaupt Journalisten mit im Raum sitzen und das mitbekommen, ist angesichts des Begriffs „Klausur“ eigentlich ein Widerspruch in sich. Das Wort kommt ja immerhin vom lateinischen claudere, schließen, und steht klassischerweise für ein internes Treffen – auch ohne sich dabei tatsächlich einzuschließen, wie die Kardinäle bei der Papstwahl.

Abends „Socializing“

Umgekehrt allerdings profitiert davon auch eine Fraktion wie die grüne, die ja zur Hälfte neu im Landesparlament ist: So lassen sich für die 32 Abgeordneten ganz niedrigschwellig Pressekontakte etablieren, die über kurze Telefonate hinausgehen – umso mehr am Abend, der mit dem Wort „Socializing“ angekündigt ist. Wie meist, gibt es allerdings auch im Landgut Stober am Sonntag einen nicht presseöffentlichen Teil. Da kommen dann üblicherweise Dinge auf den Tisch, bei denen die Meinungslage weit weniger klar ist als bei den am Samstag breit unterstützten Themen Mobilität und Flüchtlinge.

Mit dabei sitzt zeitweise auch die Frau, mit der Berlin erstmals seit 2005 – damals war es Renate Künast – wieder in der Bundesregierung vertreten ist: Lisa Paus – die neue Familienministerin, die der Abgeordnetenhausfraktion selbst mehrere Jahre angehörte, bevor sie in den Bundestag wechselte. Riesiges leiste Berlin, lobt sie mit Blick auf die Hilfe für die Flüchtlinge aus der Ukraine – allzu viel mehr sagen kann sie aber nach knapp 14 Tagen im Amt noch nicht.

Während die Fraktion noch debattiert, wabert durch die geöffneten Fenster vom Hof der Duft von frisch Gegrilltem in den Raum. Fleisch zum Abendessen bei den Berliner Grünen? Doch nein, der Geruch kommt von der Hochzeitsgesellschaft, die zur selben Zeit auf dem Landgut feiert – bei der Fraktion bleibt es vegan-vegetarisch. Wobei auch der eine oder die andere Grüne durchaus mit dem Gedanken spielt, sich mal unauffällig am Hochzeitsgrill in die Schlange zu stellen. Was offenbar doch nicht passiert. Die Spinat-Gnocchi vom eigenen Buffet sind ja auch nicht schlecht.

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