Eine virtuelle Tour durch „Roblox“: Im Cabrio durchs Metaversum

30 Millionen Menschen auf der Welt spielen täglich „Roblox“. Sie züchten Haustiere, backen Pizzen oder bauen Häuser. Was treibt sie an?

Ein Screenshot aus dem virtuellen Rollenspiel Roblox, wo das Modelabel Gucci einen Garten designt hat

Nike und Ralph haben bei „Roblox“ eine eigene Dependance eröffnet, Gucci hat einen Garten designt Foto: Roblox/ap/picture alliance

Auf der Polizeiwache traf ich Dollie. Ich hatte nichts verbrochen, ich saß nur mit meinem Avatar auf einer Sitzreihe fest. Dabei hatte ich nur die virtuelle Welt von „Roblox“ erkunden wollen. Die Spieleplattform ist ein riesiger Freizeitpark, wo man sich mit einem klobigen Avatar bewegt. Eine Mischung aus Dubai und Disneyland. Marken wie Nike, Ralph Lauren und Vans haben dort eigene Dependancen eröffnet, das Reality-Sternchen Paris Hilton hat sogar eine eigene Insel gebaut. Das muss ich mir anschauen. Schnell registriert, Software installiert, Avatar konfiguriert. Dann ging es los. Mich verschlug es nach „Livetopia“, eine Cyber-City mit 29.000 Spielern und eigenem Flughafen.

Mit meinem Avatar, einem kleinen Legomännchen mit Mickie-Krause-Gedächtnisfrisur, lande ich auf einem großen Platz: Topia Plaza. Alles wirkt sauber und aufgeräumt, fast schon klinisch. Hypermoderne E-Fahrzeuge fahren vorbei, elfenhafte Avatare kreuzen den Weg, hinter einem überdimensionierten Glücksrad leuchtet das Blau der Polizeiwache. Wo geht’s hier weiter? Ich bin orientierungslos. Warum nicht mal bei den Ordnungshütern nachfragen? Ich überquere die Straße und latsche ins Polizeirevier. Drinnen: gähnende Leere. Kein Polizist weit und breit. Anscheinend haben hier alle frei.

Ich kann mich mit meinem Avatar frei durch die Polizeistation bewegen, als wäre Tag der offenen Tür: in Büros hineingehen, die Gefängniszelle inspizieren. Zurück am Empfang, setze ich mich auf eine Sitzbank. Mein Avatar legt die Hände hinter den Kopf. Nichts geht mehr. Ich kann die Spielfigur nicht mehr bewegen. Bin ich jetzt verhaftet? Ich rufe im Chat um Hilfe. „Ich stecke in der Polizeistation fest. Kann mir jemand helfen?“ Ich werde erhört. Plötzlich erscheint Dollie vor mir. Weiße Stiefel, Minirock, Kopfhörer über dem langen braunen Haar.

Im Chat schreibt sie mir, welche Taste ich drücken muss, um mich wieder bewegen zu können. Ich drücke auf die Leertaste, mein Avatar macht einen Satz nach oben – und ist wieder frei. Dollie nimmt mich mit nach draußen, sie möchte mir etwas zeigen. Wir gehen auf die andere Straßenseite. Unter dem Banner „Topia Plaza“ ist eine Bühne aufgebaut, Mikrofonständer, Keyboard und Schlagzeug leuchten unter bunten Scheinwerferlichtern. Dort singe immer Jade, erzählt Dollie, als kenne jeder ihren Namen.

Dollie – der persönliche Guide

Dollie weiß nicht, dass ich als Journalist unterwegs bin. „Livetopia“ ist ein sogenanntes „Roleplay Game“, ein Rollenspiel, wo man wie bei einem virtuellen Maskenball seine wahre Identität verbirgt und in eine neue, spielerische Rolle schlüpft. Niemand weiß, wer sich hinter einem Charakter verbirgt, ob das Punk-Legomännchen in Wahrheit auch ein Punker ist, ob der Gangster im echten Leben bei der Polizei arbeitet. Deshalb recherchiere ich verdeckt. Und gewinne das Vertrauen von Dollie, sie wird mein persönlicher Guide.

Dollie führt mich über den Platz, zeigt mir die Bank, die Schule. Auf dem Weg zieht sie an einem Automaten ein Glückslos, als wäre es ein Parkschein. Im Schwimmbad treffen wir einen Typen, der die ganze Zeit fragt, wo die Schwimmanzüge für Männer sind. Er folgt uns bis in die Umkleidekabine. Wir entscheiden uns, zu gehen, und cruisen durch die Straßen von Livetopia, vorbei an Neubauvierteln, Tierkrankenhäusern und hippen Barber-Shops. Während wir uns etwas näherkommen, schickt uns der Typ aus dem Schwimmbad im Chat 20 Kotz-Emojis hinterher. Woher sie komme, will ich wissen, während der virtuelle Fahrtwind durch ihre Haare saust.

Sie sei halb Engländerin, halb Französin, erzählt mir Dollie, eigentlich arbeite sie in einem Café in Frankreich, aber heute habe sie frei und da bummele sie gerne durch „Livetopia“. Wir fahren zu einem Beautysalon, für ihre Maniküre. Das koste fünf Dollar. Dann bietet sie mir an, dass sie auch meinen Haarschnitt bezahlt. Ein bisschen Styling für den Avatar muss schon sein! Maniküre, Haarschnitt, Accessoires wie Taschen und Sneaker: Im digitalen Paralleluniversum von Roblox kann man vieles kaufen – mit Robux, der virtuellen Währung des Spiels. Durch solche In-Game-Käufe und Mikrotransaktionen hat die Spieleplattform im vergangenen Jahr ihren Umsatz auf 1,9 Milliar­den Dollar verdoppelt.

Nach dem Friseurbesuch fahren wir durch die Dunkelheit, die Straßenlaternen sind bereits angegangen (ein Tag-und-Nacht-Zyklus dauert 20 Minuten). Dollie parkt den Sportwagen am Straßenrand. Sie rennt die Treppen eines Clubs hoch, dort hat sie offenbar ihre Freundinnen gesucht, die sich auf Französisch im Chat ankündigen. Avatare tummeln sich auf der Straße, es herrscht wildes Durcheinander, dann lässt mich Dollie einfach stehen und verschwindet im Nachthimmel von „Livetopia“. Mein Abend ist hier beendet.

Die digitale Bürgerwehr

Ich reise weiter nach Brookhaven, noch so eine virtuelle Stadt auf Roblox. Es ist mitten in der Nacht. Gegenüber dem hell erleuchteten „Party Planner“ spreche ich einen weiblichen Avatar an. Blonde Haare, gestreiftes Top, Jeans. Sie erzählt mir, dass sie erst das zweite Mal hier sei und sie die Leute hier total super finde. Wir tauschen ein paar Belanglosigkeiten aus. Plötzlich crasht ein Anzugträger das Gespräch.

Er hat ein Demonstrationsschild in der Hand. Darauf steht in giftgrüner Schrift: „Will jemand zu meinem Militär?“. „Welches Militär?“, frage ich irritiert. „Meins“, antwortet der Mann trocken. Er ist Mitglied einer digitalen Bürgerwehr, die nachts in den Vierteln patrouilliert. Immer wieder rauben Gangster die Bank aus, dann ist „Bankalarm“. Es gebe hier aber weniger Kriminalität als im realen Leben, meint der Security, und das finde er gut. Weltweit spielen täglich 30 Millionen Menschen auf Roblox. Manch einer träumt davon, eine Uniform zu tragen und in einem SWAT-Team auf den virtuellen Straßen für Recht und Ordnung zu sorgen. Andere arbeiten als Koch oder Kassierer in einer Pizzeria und lassen sich dabei von einem Manager drillen, um ein paar Robux zu verdienen.

Zurück in Brookhaven mache ich mit einer Gothic-Frau Bekanntschaft. Der Avatar ist komplett schwarz gekleidet, nur die weißen Handschuhe und Sneaker schaffen einen Kontrast. Sie komme aus Berlin und gehe noch zur Schule, schreibt sie mir, während wir in einem Pulk von Avataren vor einem illuminierten Springbrunnen stehen. Sie reize das „Roleplay“, das Rollenspiel, sie könne hier einfach jemand anderes sein. „Und was kannst du im realen Leben nicht machen, was du hier in der virtuellen Welt machen kannst?“, will ich wissen. Räuber sein oder mit einer Drohne fliegen, antwortet die Userin und macht mit ihrem Avatar einen Luftsprung. Die Kette an ihrem Avatar, die habe sie für 80 Robux gekauft, das ist umgerechnet etwa ein Euro.

Im Luxuswagen durchs Metaverse

Schräg gegenüber steht ein brennender Tesla auf der Straße, er gehört dem Gothic-Mädchen. Das sei kein Problem, so etwas komme öfter vor, beschwichtigt sie. Im Metaverse kann auch eine Schülerin Tesla fahren. Wir düsen in dem lodernden Luxuswagen durch das nächtliche Brookhaven, vorbei an verwaisten Starbucks-Filialen und Discotheken. Im Morgengrauen erreichen wir ihr Haus, Holzfassade, großzügige Gartenanlage. Sie stellt den brennenden Tesla in der Garage ab und bittet mich, in ihr Haus zu kommen. Auf einem Schild steht ihr Nutzername. Häuser seien kostenlos, sagt die junge Frau und für einen kurzen Moment habe ich das Gefühl, durch „Ecotopia“ zu flanieren, jene Hippie-Community, die der Schriftsteller Ernest Callenbach in seinem gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1975 ausbuchstabiert hat.

Im Menü sehe ich, dass ich die Mitbewohner-Erlaubnis erhalten habe. Ich darf jetzt offiziell hier wohnen. Ich schaue mich ein wenig in der Villa um, lasse mich auf das Sofa vor dem Flachbildfernseher fallen, und während ich durch die bodentiefen Fenster auf ein Vorstadtidyll blicke, klagt die Hausherrin in einem larmoyanten Anna-Sorokin-Ton, wie wenig Robux sie noch habe. Sie wolle doch neue Skins kaufen, eine neue Garderobe für ihren Avatar. Dann bricht die Verbindung ab. Es ist, als wäre ich aus einem Traum gerissen worden. Was Dollie jetzt wohl macht?

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