Queeres Happening im Molotow-Club: Mittelfinger und Zärtlichkeiten

Endlich wieder Konzerte mit Publikum und feministischen Hip-Hop, Rap & Co. – und Awarenesskonzept. Über ein Event der schönen Art in Hamburg.

Ein Pressefoto der Band Kerosin95

Damit mensch sich ein Bild machen kann: Kerosin 95 Foto: Lena Kuzmich/Kerosin 95

Als ich aus dem S-Bahn-Ausgang auf den Vorplatz des Molotow-Clubs stolpere, haben sich meine Freun­d:in­nen bereits versammelt. Schnellen Schrittes bahne ich mir den Weg zu ihnen: einmal kurz durchatmen. Einige haben schon ihre Gruppe gefunden, umarmen sich und lächeln sich an. Sie berühren sich sachte an den Oberarmen und mit Blicken. Bekannten Gesichtern wird gewinkt oder verheißend „Hallo“ gesagt. Ein schöner Anblick, diese Zärtlichkeiten.

Die Security beim Einlass entspricht so gar nicht dem Bild des grimmig dreinblickenden und arroganten Sicherheitspersonals mit verschränkten Armen. Stattdessen gilt ein Awarenesskonzept: Die weiblich gelesene Person schaut uns nacheinander in die Augen und schärft uns ein, übergriffiges Verhalten sofort zu melden. Als wir zustimmend nicken und den Blickkontakt halten, können wir passieren.

Es schafft wahnsinnig viel Sicherheit, dass klar ist: Macker haben heute keine Chance.

Als die ersten Bässe ertönen, fangen die Köpfe an zu wippen. Immer mehr Menschen drängen sich vor die Bühne und bahnen sich den Weg in die erste Reihe. Den Auftakt macht das feministische Hip-Hop-Kollektiv Fe*­Ma­le Treasure aus Hamburg. Wir stehen dicht an dicht. Der Sauerstoff wird rar. Nasse Körper streifen meine Arme und Ellbogen schwingen aus. Wir fangen an zu tanzen und brüllen die Lyrics mit. Die Abrechnung mit Geschlechterklischees, Heteronormativität und TERFs (Trans-ausschließende radikale Feministinnen) hat begonnen.

Die versammele FLINTA-Szene Hamburgs

Das Konzert hier ist ein queeres Happening: Kerosin 95 wird auftreten, bekannt für queer-feministischen Rap, der auch austeilt: „Ich bin trans* und hab gewonnen. Ihr seid Loser.“

Entsprechend ist die FLINTA-Szene Hamburgs versammelt (Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen). Ob Vokuhila oder auf zwei Zentimeter getrimmt, ob Sidecut oder lange Haare, ­Make-up oder Nagellack, enge Tanktops oder kurze Kleider, einfarbige T-Shirts oder Hosen mit weitem Bein: Sie sind alle wunderschön.

Der Bass knallt aus den Boxen, Kerosin 95 springt auf die Bühne und die Masse rastet aus: „Was gibt’s heut zum Mittagessen? Ich glaube Beef.“ Die Hände gehen nach oben und wir verschmelzen zu einer schwitzenden, springenden Einheit. Die schwarzen Silhouetten der Körper verschwimmen im grellen Nebeldunst. Wir schaffen uns unseren zärtlichen Safe(r) Space. Einen Raum, in dem wir uns gegen TERFs und alle Patriarchen verbünden. Für die gibt es an dem Abend nur den Mittelfinger.

Der Rap und der Autotune-Kuschelpop von Kerosin 95 sind auch im Außenbereich zu hören. Wir sitzen unter einem zugeklappten Sonnenschirm, mein Puls pocht wild. Ich schlinge die Arme um meine Beine und vergrabe meinen Kopf darin. Wie Kerosin 95 gesagt hat: Konzerte sind nicht für alle sweete Orte. Wir schaukeln zu „Lass uns heute nicht fühlen. Meine Liebe, ich spür’ sie nicht. Frag mich, wo sie heute geblieben ist.“

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freie Autor:in - studiert Soziologie und Politikwissenschaften im B.A.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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