Auftakt des DGB-Bundeskongress: Vor ungewisser Zukunft

Der DGB-Kongresses steht im Schatten des Ukrainekriegs. „Auch für uns sind alte Gewissheiten ins Wanken geraten“, sagt der Noch-Vorsitzende Hoffmann.

DGB-Chef Reiner Hoffmann neben seiner Nachfolgerin Yasmin Fahimi und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

Ein letztes Mal im Mittelpunkt: Reiner Hoffmann beim DGB-Bundeskongress Foto: dpa

BERLIN taz | Seinen Abschied hat sich Reiner Hoffmann anders vorgestellt. „Unseren Kongress begehen wir im Schatten des Krieges“, sagte der scheidende DGB-Vorsitzende zur Eröffnung des 22. ordentlichen Bundeskongresses des Gewerkschaftsdachverbandes am Sonntag in Berlin. Der Überfall Russlands auf die Ukraine mache „wütend und auch ratlos“. „Auch für uns sind alte Gewissheiten ins Wanken geraten“, konstatierte Hoffmann.

„Zukunft gestalten wir“ lautet das ambitionierte Motto des fünftägigen Events. Dass es schwer für die Gewerkschaften werden wird, ihm gerecht zu werden, deutete Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seinem Grußwort an. Der Ukrainekrieg sei ein „Epochenbruch“, der zu schmerzhaften Einsichten zwinge: „Wir waren uns zu sicher, dass Frieden, Freiheit, Wohlstand selbstverständlich sind“, sagte Steinmeier. Solidarität mit der Ukraine bedeute auch, „dass wir Lasten zu tragen haben, und das für lange Zeit“. Angesichts unterbrochener Lieferketten, steigender Preise für Lebensmittel, explodierender Energie- und Treibstoffkosten würden schon jetzt viele Menschen die Folgen des Krieges ganz unmittelbar und hart zu spüren bekommen.

Die Gewerkschaften würden es nicht zulassen, dass die enormen Kriegslasten „einseitig auf dem Rücken von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgetragen werden“, kündigte Hoffmann an. Sie müssten vielmehr solidarisch und gerecht geschultert werden. Das heiße, „dass Millionäre und Milliardäre stärker an der Finanzierung unseres Gemeinwesens beteiligt werden müssen“. Ein frommer Wunsch an die Ampelkoalition.

Hoffmann stand am ersten Kongresstag noch einmal im Mittelpunkt. Acht Jahre führte das SPD-Mitglied den DGB. „Es war nicht immer einfach, aber es war immer gut“, bedankte er sich zum Abschied bei den 400 Delegierten. Sie könnten „selbstbewusst und stolz“ auf die zurückliegende Zeit blicken. Dabei verkörperte der gebürtige Wuppertaler eher nicht den kämpferischen Arbeiterführer, sondern agierte als sozialpartnerschaftsfixierter Gewerkschaftsmanager. Steinmeier bezeichnete den 66-jährigen Diplom­ökonomen am Sonntag als einen „Brückenbauer im besten Sinne“, dank ihm würde der Dachverband „heute geschlossener dastehen als zu manch anderen Zeiten“.

Zähes Ringen um Hoffmann-Nachfolge

Das kann man so sehen. Wie brüchig diese Geschlossenheit aber ist, zeigte das zähe Ringen, wer dem IG-BCE-Mann nachfolgen soll. Mehr als ein halbes Jahr dauerte das Gerangel um den DGB-Vorsitz zwischen den drei größten Einzelgewerkschaften. Eigentlich hätte der IG Metall das Vorschlagsrecht zugestanden. Doch deren Chef Jörg Hofmann fand niemanden aus den eigenen Reihen.

Nach einigem Hin und Her schlug er deshalb den IG BCE-Chef Michael Vassi­lia­dis vor. Der 57-jährige Chemiegewerkschafter hätte den mit einem Bruttogehalt von 14.500 Euro dotierten Job auch gerne übernommen. Doch das stieß auf die Ablehnung von Verdi-Chef Frank Werneke, da Vassiliadis nicht die politische und kulturelle Vielfalt des DGB widerspiegeln würde.

Schließlich zauberte Hofmann Ende Januar überraschend die SPD-Bundestagsabgeordnete Yasmin Fahimi als Kompromisskandidatin aus dem Hut, auch sie kommt aus der IG BCE – und ist die Lebensgefährtin von Vassiliadis.

Wenn die 54-jährige Fahimi an diesem Montag als erste Frau an die Spitze des DGB gewählt wird, tritt sie ein schweres Erbe an. Derzeit sind etwa 45,2 Millio­nen Menschen in Deutschland erwerbstätig, mehr als 34,2 Millionen sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Diesen Rekordzahlen steht jedoch ein rückläufiger gewerkschaftlicher Organisierungsgrad gegenüber, der inzwischen einen historischen Tiefstand erreicht hat.

Während der Amtszeit Hoffmanns haben die acht im DGB zusammengeschlossenen Ein­zel­ge­werkschaften etwa 400.000 Bei­trags­zah­le­r:in­nen verloren. Bei seinem Amts­antritt kamen IG Metall, Verdi, IG BCE und Co. auf rund 6,1 Millio­nen Mitglieder, jetzt sind es noch 5,7 Millionen – und davon ein nicht unerheblicher Teil Senor:innen, die ihr Berufs­leben bereits hinter sich haben. Zum Vergleich: Bei einer deutlich niedrigeren Erwerbstätigenzahl gehörten unmittelbar nach der Wiedervereinigung 11,8 Millionen Menschen einer DGB-Gewerkschaft an, damals rund je­de:r vierte Beschäftigte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.