Streit um Russlandpolitik: AfD will ihre Reden kontrollieren

Der Streit in der AfD um die Russlandfrage sorgt jetzt für härtere Regeln innerhalb der Bundestagsfraktion. Der Parteichef wird scharf angegriffen.

Mann mit hoher Stirn und dunklem Brillengestell: AfD-Vorsitzender Tino Chrupalla

Wird mittlerweile offen in Frage gestellt: AfD-Partei- und Co-Fraktionschef Tino Chrupalla Foto: Federico Gambarini/dpa

BERLIN taz | Überspitzt könnte man es „Mut zur Zensur“ nennen: Die AfD-Fraktion will mehr Kontrolle über die Redeinhalte ihrer Abgeordneten haben. Künftig sollen die Bundestagsmitglieder der extrem rechten Partei ihre Reden im Plenum bei Kernthemen inhaltlich abstimmen, wie die AfD-Fraktion der taz bestätigte.

Inhaltliche Linien sollten im Voraus mit zuständigen Fachpolitikern abgeklärt werden, hieß es aus Parteikreisen. Der Vorstoß soll aus der Fraktion selbst gekommen sein und soll wohl selbst für die AfD grenzwertige Redebeiträge verhindern, wie es sie zuletzt zum Ukraine-Krieg gegeben hat. Das ist insofern erstaunlich, weil die AfD sich selbst stets die Freiheit des Mandats auf die Fahnen geschrieben hat und gezielte parlamentarische Provokationen zum festen Repertoire der Partei gehören.

Der Vorstoß, zu dem es allerdings noch keinen Beschluss gibt, dürfte auch eine Konsequenz aus dem heftigen Streit um die widersprüchliche Haltung der AfD zu Russland sein. Der angesichts vieler Putin-Versteher in der Partei andauernde Konflikt hat sich auch an einer Rede des Abgeordneten Steffen Kotré entladen, der kürzlich im Bundestag das Kreml-Märchen von amerikanischen Biowaffenlaboren in der Ukraine verbreitete, als es eigentlich um Gasreserven gehen sollte.

Theoretisch wären mittlerweile in der AfD-Fraktion sogar härtere Ordnungsmaßnahmen möglich: Denn seit der Klausur in Oberhof Mitte März ist eine mehrheitlich beschlossene Sanktionsliste Teil der Geschäftsordnung der Fraktion. Der der taz vorliegende Katalog von Ordnungsmaßnahmen beinhaltet bei Rechtsverstößen oder bei „Verstößen gegen fraktionsinterne Normen oder Vereinbarungen“ eine Rüge, Geldstrafen von 500 bis 5.000 Euro, Auftrittsverbot bei Fraktionsveranstaltungen, Redeverbot im Plenum für bis zu sechs Sitzungswochen sowie eine Ämtersperre von bis zu zwei Jahren und letztlich den Ausschluss aus der Fraktion.

Laut Fraktion könnten damit vom Thema abweichende Reden, aber auch grenzüberschreitende Social-Media-Posts oder andere öffentliche Äußerungen von AfD-Bundestagsabgeordneten theoretisch bestraft werden, wenn sie der Partei-Linie oder Positionspapieren widersprechen. Rügen und Geldstrafen kann der Fraktionsvorstand verhängen, schwerwiegendere Dinge brauchen einen Beschluss in der Fraktionsversammlung.

Missbilligungen für Kotré und Kleinwächter

Die Frage bleibt allerdings, wie hart tatsächlich durchgegriffen wird: Der Fraktionsvorstand um die Co-Vorsitzenden Tino Chrupalla und Alice Weidel hat Kotré zwar für seine Propaganda-Rede formal missbilligt, aber abgesehen von einem verbalen Tadel hatte das für ihn offenbar ebensowenige Folgen wie für viele andere Putinversteher in der AfD, die sich derzeit Kreml-nah äußern und so die formal beschlossene Verurteilung Russlands verwässern.

Ebenso lässt es tief blicken, dass zugleich der Fraktions-Vize Norbert Kleinwächter vom Vorstand eine Missbilligung bekam – denn dieser hatte es gewagt, die Kotré-Rede öffentlich als „widerliche Putin-Propaganda“ zu kritisieren. Kleinwächter ist zuständig in der Fraktion für Außenpolitik, ein Themenbereich, in dem Kotré mit seinen wilden Behauptungen also reingrätschte.

Ob die aktuellen Konflikte aber mit etwaigen Redeverboten oder der Sanktionsliste eingefangen werden, darf bezweifelt werden. Auch Partei- und Fraktionschef Chrupalla scheint angeschlagen – weil er sich ebenso wie viele andere mit einer klaren Verurteilung Russlands jenseits der formelhaften Benennung des Krieges als völkerrechtswidrigen Angriffskrieg schwer tut. Teilweise verbreiten AfD-Politiker auch gleich den direkten Kreml-Spin, etwa nach dem vielfach von unabhängigen Journalisten berichteten russischen Kriegsverbrechen von Butscha.

Auch Parteichef Chrupalla lässt Resonanzraum für Desinformationen. Russland spricht etwa trotz zahlreicher Berichte und Fakten vom Massaker in Butscha von einer „ukrainischen Inszenierung“. Chrupalla lässt diese Deutungsmöglichkeit jedenfalls zu, wenn er vor der Fraktionssitzung am Dienstag behauptet, dass es eine unabhängige Untersuchung bezüglich der Verantwortlichen der Gräueltaten in Butscha brauche und gleichzeitig mit einen Hinweis auf „Kriegsverbrechen auf beiden Seiten“ relativiert oder wenn er sich in einem Interview im Deutschlandfunk aus seiner Verantwortung als Parteichef zieht, wenn er mit den Beiträgen der übrigen Putin-Versteher in der AfD konfrontiert wird.

Parteichef Chrupalla wird angezählt

Chrupallas lange Leine für Putin-Freunde sieht man angesichts schlechter Umfragewerte vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vor allem in westlichen Bundesländern sehr kritisch. Selbst seine lange als gesetzt geltende Wiederwahl zum Parteichef im Juni stellen viele mittlerweile offen in Frage. Und dass sich Chrupalla noch im Dezember 2020 mit dem russischen Außenminister Lawrow traf und selbst nach dem russischen Überfall auf die Ukraine von seiner Dankbarkeit gegenüber Russland für die Wiedervereinigung sprach, lässt seinen Russlandkurs auch nicht gerade besser aussehen.

Und so wird der Ton innerhalb der AfD zunehmend rauer. Aufgrund des laschen Umgangs mit Russland stellte der Abgeordnete Jürgen Braun, Sanktionskatalog hin oder her, seinen Partei- und Fraktionschef Chrupalla vor laufender Kamera im ZDF offen in Frage: „Die Frage muss er sich mal selber stellen, ob er noch der Richtige an der Spitze ist mit seinem Verhalten, was letztlich für viele Mitglieder sehr einseitig rüberkommt.“

Für Chrupalla geht es nun wohl darum, Ruhe reinzubekommen. Ob ihm das auch nur im Ansatz gelingt, dürfte auch davon abhängen, wie Partei und Fraktion künftig mit Grenzüberscheitungen in der Russlandfrage umgehen. Offen ist derzeit etwa noch die Frage, ob dem Abgeordneten Eugen Schmidt Ordnungsmaßnahmen drohen. Schmidt war auch noch nach Kriegsbeginn mehrfach im russischen Fernsehen aufgetreten und hatte dort unter anderem behauptet, dass in Deutschland keine Demokratie und kein Rechtsstaat existiere. Laut Fraktion wurde Schmidt vom Vorstand aufgefordert, zu seinen Interviews in russischen Medien Stellung zu nehmen.

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