Komödie im Gorki Theater Berlin: Zwischen allen Türen
Der Tod der Ärmsten macht Bestatter reich: Davon erzählt Nora Abdel-Maksoud in ihrer jüngsten Komödie für das Gorki Theater in Berlin.
An den Kammerspielen in München hatte Nora Abdel-Maksoud, Autorin und Regisseurin, zuletzt ein Stück über eine Erbschaftslotterie inszeniert. „Jeeps“ erzählte von einem amtlich geregelten Versuch, die soziale Ungerechtigkeit, dass, wer mit geerbtem Geld rechnen kann, leichter einen Weg findet, selbst Geld zu machen, auszuhebeln, was in der grotesken Komödie aber nur bedingt gelingt.
„Rabatt“, ihr neues Stück für das Maxim Gorki Theater in Berlin, setzt ebenfalls bei der Verteilungsungerechtigkeit an. Mit ziemlicher Unverschämtheit stellt sich uns Dena (Orit Nahmias) vor, aus einer „verarmten, bulgarisch-griechisch-orthodoxen preachers-family – you can write that down“ stammend und hungrig nach Geld. Weil es nichts zu erben gibt, muss sie einen anderen Weg suchen, wird Journalistin und macht Karriere.
Aber nicht, weil sie über Klassismus schreiben würde oder Bücher darüber, wie die Herkunft aus einer armen Familie sie ausgebremst hat, sondern weil sie genau solche Bücher und Artikel zerreißt. Dafür wird sie in Talkshows eingeladen. Redet dort über linken Faschismus und Cancel Culture und verdient damit massenhaft Geld, aber löst auch Shitstorms aus. Shitstorm Money heißt deshalb ihr in einem Kissenbezug verstecktes Geld. Es wird ihr geklaut und damit beginnt der Handlungsteil des Stücks.
Geschmeidig bilingual
Orit Nahmias, geschmeidig zwischen Deutsch und Englisch wechselnd, gehört zu den Stars am Gorki Theater, immer schlagfertig und sarkastisch in ihren Rollen und das nutzt auch diese Inszenierung von Nora Abdel-Maksoud. Mit Niels Borman als Bestatter und Taner Şahintürk als Lieferando-Bote spielen zwei weitere Publikumslieblinge des Hauses mit, und das ist schon die halbe Miete.
Die braucht es auch, denn die Geschichte ist hanebüchen. Dena vermisst also ihr Shitstorm-Geld, das in dem Moment verschwand, als ein Lieferando-Bote, der tot bei ihr zusammenbrach, vom Bestatter abgeholt wurde. Im Bühnenbild von Moira Gilliéron sind extra viele Türen eingebaut, durch die sich nun Dena und ihre Assistentin Luigi, die Zwillingsbrüder, die das Bestattungsunternehmen betreiben und der gegen seinen frühen Bühnentod protestierende Lieferbote eine lange Verfolgungsjagd liefern, sich dabei mehrmals gegenseitig die Türen vor den Kopf knallen oder erschießen, aber trotzdem weitermachen.
Aber, das sollte doch ein Stück über Verteilungsungerechtigkeit sein! Ja, und tatsächlich haben die Zwillingsbestatter die Anlage geerbt und bieten zu Billigstpreisen Kühlung der Leichen, Einäschern und Versenken der Asche in gut stapelbaren Sparbehältern an. Sie machen damit erstens sich und ihr Dorf reich; aber das funktioniert zweitens nur, weil so, ohne jeglichen Aufwand und ohne irgendeinen Raum zum Trauern, die Ärmsten beerdigt werden, die ohne Angehörige verstorben sind. Dass es dieses lukrative Geschäftsmodell Billigbestattung tatsächlich gibt, erfährt man übrigens nur aus dem Faktencheck im Programmheft.
Furzen und rotzen
Die Inszenierung hüpft derweil gutgelaunt von Witz zu Gag, würzt mit Furzen und Ins-Essen-der-Nichttrinkgeldgeber-Rotzen nach und nutzt, was auf der Bühne schiefgehen kann – Licht auf dem falschen Protagonisten, Anschreien des Souffleurs – für zusätzliche Komik. Sie trifft mit ihren Karikaturen auch gelegentlich ins Schwarze der Gegenwart, aber nicht immer.
Und nimmt dann, als man allmählich müde wird, all diesen unmoralischen, geldgierigen Charakteren zuzusehen, doch noch eine Wendung: Denn all diese Figuren auf der Bühne behaupten gegen Ende, gar nicht die echten Figuren zu sein. Nein, ausgedacht hat sie sich Gena, die eben nicht reich mit Shitstorm-Geld geworden ist, sondern selbst eine arme, chancenlose Lieferando-Botin ist, krebskrank noch dazu, die so ohne Sarg, Blumen und Trauerfeier eben nicht unter die Erde gebracht werden will.
Damit bekommt die Dramaturgie des Ganzen etwas von: So Kinder, jetzt haben wir lange genug Quatsch gemacht und alle ihren Spaß gehabt, jetzt wird es noch mal ernst.
Ach übrigens: Corona ist noch nicht vorbei. Man braucht zwar in Berlin offiziell keinen Test und keinen Impfnachweis mehr für den Theaterbesuch, aber die Häuser bitten um das Tragen einer Maske. Und scrollt man durch den Spielplan, fallen weiterhin viele Verschiebungen und Vorstellungsausfälle auf. „Rabatt“ steht vorerst nicht mehr auf dem Spielplan.
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