Vergiftungen im Harz: Zu viel Blei im Blut

Eine Studie stellt hohe Werte bei Grundschulkindern in Nordharz-Gemeinden fest. Als Verursacher kommt nicht nur der historische Bergbau infrage.

Knapp die Hälfte der Grundschü­ler:in­nen in Oker und Harlingerode haben erhöhte Bleiwerte im Blut Foto: Rolf Vennenbernd/dpa

GÖTTINGEN taz | Durch Bergbau und Metallhütten sind im nördlichen Harz viele giftige Schwermetalle in die Umwelt gelangt. Eine aktuelle Studie bestätigt jetzt Befürchtungen, dass die Belastungen bis heute anhalten:

Bei knapp der Hälfte der Grund­schü­le­r:in­nen aus den Ortschaften Oker und Harlingerode (beide Kreis Goslar), die im November des vergangenen Jahres Proben für die Untersuchung abgegeben hatten, stellten For­sche­r:in­nen Bleikonzentrationen im Blut fest, die teils deutlich über dem aktuellen bundesweiten Referenzwert liegen. Zum Vergleich: Deutschlandweit ist es das bei etwa fünf Prozent der Kinder der Fall.

Dieser Referenzwert ist ein Vergleichswert. Er beträgt bei Mädchen zwischen drei und 17 Jahren sowie bei Jungen zwischen elf und 17 Jahren 15 Mikrogramm Blei pro Liter. Bei drei- bis zehnjährigen Jungen sind es 20 Mikro­gramm, bei erwachsenen Frauen 30 und bei erwachsenen Männern 40 Mikro­gramm pro Liter.

Beim Cadmium, das in Urinproben der Probanden gemessen wurde, waren die Werte nach Angaben des Landkreises Goslar lediglich bei drei Prozent der Kinder gegenüber dem Referenzwert erhöht. Bei den Erwachsenen bewegten sich die Bleiwerte bei zwölf Prozent der Probanden über dem Referenzwert, bei Cadmium traf dies auf sieben Prozent der Befunde zu.

Keine Erdbeeren anpflanzen

Blei kann Krebs auslösen und besonders bei Kindern die Hirnfunktion schädigen, Cadmium die Nieren angreifen. 89 Grundschulkinder und 124 Erwachsene beteiligten sich an der freiwilligen Studie, knapp 400 Personen war eine Teilnahme angeboten worden.

Der Landkreis Goslar hatte die Untersuchung erst nach erheblichem Druck von besorgten Bür­ge­r:in­nen und von Umweltverbänden in Auftrag gegeben, die fachliche Leitung lag bei For­sche­r:in­nen der Uni München. Oker und Harlingerode wurden ausgewählt, weil dort weiterhin metallverarbeitende Betriebe ansässig sind. Die Kosten für die Studie beliefen sich auf etwa 150.000 Euro.

Landrat Alexander Saipa (SPD) räumt ein, dass er sich andere Ergebnisse gewünscht hätte. Andererseits gebe es keinen Anlass für Schwarzmalerei. Im bundesweiten Vergleich seien die gemessenen Bleiwerte zwar leicht erhöht, gleichzeitig sei aber deutlich geworden, dass die Bleibelastung in den zurückliegenden Jahren weiter reduziert werden konnte.

Zugleich müssten die Maßnahmen zur Bleireduktion fortgesetzt werden, fordert Saipa. Unter anderem gelten in den belasteten Regionen Empfehlungen, keine Erdbeeren oder Kartoffeln anzupflanzen.

Industrie nicht überproportional beteiligt

Die an der Studie beteiligte Münchner Medizinerin Katja Radon weist darauf hin, dass Gründe für eine erhöhte Bleibelastung nicht ausschließlich in der Bergbau-Geschichte zu suchen seien. Sie könne neben Rückständen aus dem Bergbau auch an alten Bleirohren liegen, hieß es. Der Landkreis bietet den Studienteilnehmern deshalb eine Trinkwasser­untersuchung an.

Aus Saipas Sicht stehen die Ergebnisse der Studie jedenfalls nicht im Zusammenhang mit den aktuellen industriellen Nutzungen in Oker und Harlingerode. „In den vergangenen Jahren wurde viel über die Rolle der hiesigen Industrie als umweltschädigende Emittenten diskutiert“, sagt er.

Mit umfangreichen Untersuchungen habe jedoch festgestellt werden können, „dass die Belastungen aus dem aktuellen Anlagenbetrieb nicht überproportional ausfallen und Grenzwerte nicht überschritten werden. Insofern wünsche ich mir, dass etwaige Diskussionen in diese Richtung gar nicht erst begonnen werden.“

Besorgniserregende Gift-Werte

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) warnt indes vor einer Verharmlosung. „Wir hatten erhöhte Werte befürchtet, daher haben wir ja die Studie eingefordert, sind aber selbst über die Höhe der Werte überrascht“, sagte Friedhart Knolle vom BUND-Westharz der taz.

Die Untersuchung lasse zudem viele Fragen offen: „Warum nur Blei und kaum Cadmium? Warum nur die Schüler und nicht die Erwachsenen? Wie ist der Verbreitungspfad der Schwermetalle? Ist es eine industrielle Punktquelle oder sind es die diffusen Quellen?“ Es helfe wenig, „wenn der Landrat jetzt schon Entwarnung gibt oder das jedenfalls versucht“. Die Ursachenforschung müsse jetzt intensiviert werden, verlangt Knolle: „Das sind wir den EinwohnerInnen von Oker und Harlingerode schuldig.“

In der Zinkhütte Harlingerode wurde bis zum Jahr 2000 Zink aus Erz und Recyclingrohstoffen produziert. Die Zinkoxydhütte Oker stellte aus Schlacken und Rückständen anderer Metallbetriebe Zinkoxid her, einen Ausgangsstoff für Farben und andere chemische Produkte. Von 1527 bis 1970 war außerdem die Bleihütte Oker in Betrieb. In der Region sind weitere Fabriken und Müllverbrennungsanlagen ansässig, die mit gesundheitsschädlichen Substanzen hantieren.

In Unterlagen des Gewerbeaufsichts­amts Braunschweig fand der BUND nach eigenen Angaben teilweise alarmierende Messergebnisse: Grenzwerte für das hochgiftige Dioxin in der Abluft seien teilweise um das 18-fache überschritten worden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.