„krieg und frieden“: ein tagebuch
: Belarussen, die auf der Seite der Ukraine stehen

Aus Minsk Janka Belarus

Die Belarussen sind gegen den Krieg. In diesen Krieg ist nicht das belarussische Volk verstrickt, sondern ganz konkret ein Mensch in unserem Land: Alexander Lukaschenko. Leider hat genau dieser konkrete Mensch eine Armee. Im Sommer 2020 hatten wir noch gehofft, dass die Armee auf der Seite des Volkes stünde. Aber leider ist sie sehr entschieden gegen das Volk.

Seit 2020 gibt es bei uns täglich Festnahmen, langjährige Haftstrafen für nichts und Hausdurchsuchungen, nach denen man die Wohnungen vermutlich leichter abfackeln als restaurieren kann. Die Armee ist bei uns der private Wachschutz eines konkreten, verrückten Soziopathen, der nicht einmal unser Präsident ist.

Darum empfinde ich es als kränkend, von Freunden zu hören, dass in anderen Ländern belarussische Flüchtlinge diskriminiert werden. Man weigert sich, ihnen Wohnungen zu vermieten, im Restaurant beschimpft man sie als Aggressoren. Wir verlassen unser Land, weil wir dort bereits das zweite Jahr in Folge drangsaliert werden.

Die, die weggegangen sind aus Belarus, sammeln jetzt Medikamente, Kleidung und Decken und haben schon ganze Lkw-Ladungen in die Ukraine gebracht. Wir führen einen Partisanenkrieg. Belarussen haben trotz des Risikos, dafür ins Gefängnis zu kommen, einen Sabotageakt verübt: Sie haben einen Teil der Eisenbahnlinie im Süden des Landes zerstört, damit dort keine russischen Panzer transportiert werden können. In einem Telegram-Kanal mit 27.000 Mitgliedern werden im Minutentakt Nachrichten von Menschen gepostet, die in der Nähe von Militärstützpunkten leben und über dort startende russische Flugzeuge und Raketen informieren.

Ich werde oft gefragt: „Janka, warum bist du immer noch in Belarus?“ – „Weil ich sehe, was ich Sinnvolles für die Welt tun kann, wenn ich hier bleibe. Zum Beispiel solch einen Text wie diesen zu schreiben. Und nicht ich sollte von hier fortgehen …“

In den sozialen Netzwerken schrieben Belarussen in den ersten Kriegstagen: „Ich spreche mich dagegen aus, dass die Republik Belarus für eine Aggression gegen das brüderliche Volk der Ukraine genutzt wird!“ Es gibt Belarussen und es gibt Lukaschisten. Belarussen möchten diesen Wahnsinn stoppen.

Allerdings führt Lukaschenko seine Armee bislang nicht in die Ukraine, und zwar nicht nur, weil er fürchtet, zum Paria der Weltgemeinschaft zu werden, sondern auch, weil unzählige belarussischen Soldaten und Offiziere es ablehnen zu kämpfen.

Die Mehrheit der belarussischen Soldaten, die man in Richtung Ukraine in Marsch setzen wollte, ist gegen eine Kriegsteilnahme. Offiziere berichten, dass im Fall einer Grenzüberquerung ihr Leben in großer Gefahr wäre, weil die Soldaten die Waffen gegen sie richten würden. Eine Desertationswelle von belarussischen Soldaten wird vorausgesagt. Ich kenne persönlich Belarussen, die zur Zeit in einer Freiwilligeneinheit auf der Seite der Ukraine kämpfen. Leider ist einer dieser wunderbaren Menschen bereits vor Kiew gefallen. Was sagen sie? „Wir werden hier [in der Ukraine] die Ordnung wiederherstellen und dann kommen wir mit unseren ukrainischen Brüdern zurück, um die Gerechtigkeit in Belarus wiederherzustellen!“

Janka Belarus, 45, lebt und arbeitet in Minsk. Ihre Beiträge erscheinen unter Pseudonym.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

Das Tagebuch „Krieg und Frieden“ finden Sie auch online – auf Russisch und auf Deutsch: taz.de/KriegFrieden

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