piwik no script img

Kirchenkampf in der Ukraine

Die Führung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiats steht bisher in Treue fest zum Kreml. Doch zunehmend regt sich Widerstand

„Der verdammte Maidan ist die Wurzel und schuld an allem, was in der Ukraine passiert.“

Andrei Tkatschew, Erzpriester

VonBarbara Oertel

„Brüder, ich bitte Euch, schweigt einfach zum Krieg in der Ukraine“, flehte Nikolai Danilewitsch, Sprecher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiats, in einem Schreiben vom vergangenen Sonntag. Doch das war ein frommer Wunsch. Andrei Tkatschew, Erzpriester im Moskauer Gebiet, der ursprünglich aus dem westukrainischen Lwiw stammt, rechtfertigte bereits am zweiten Tag nach Beginn der von Moskau so genannten „Spezialoperation“: „Der verdammte Maidan (Hauptschauplatz der Proteste für einen pro-europäischen Kurs 2013/14, Anm. d. Red.) ist die Wurzel und schuld an allem, was in der Ukraine passiert“, verkündete er auf seinem YouTube-Kanal, der über eine Million Abo­nenn­t*in­nen zählt.

Artemi Wladimirow, seines Zeichens Erzpriester in Moskau, wurde in der Ukraine quasi über Nacht bekannt, nachdem in der vergangenen Woche Auszüge seiner Predigt im Internet aufgetaucht waren. Von „Faschisten, Kannibalen, Monstern der Menschheit, die ihre tyrannische Herrschaft in der Ukraine ausüben“, ist da die Rede. Und von „vergewaltigten jungen Frauen und lebenden Landsleuten, deren Organe herausgeschnitten und nach Europa verkauft“ würden.

Aber auch an Zukunftsvisionen mangelt es Wladimirow nicht. „So bereiten wir uns also auf den Beginn der großen Fastenzeit vor und auf ein, wie wir glauben, besonderes Osterfest im Jahr 2022. Wenn die ganze Groß-, Klein- und Weiße Rus als ein einziges unsterbliches Regiment von Wladiwostok bis Kaliningrad marschieren kann“, heißt es gegen Ende seiner frohen Botschaft. Er hoffe sehr, dass sich die Republik Moldau, Kasachstan, die „unglückliche Ukraine“ und auf dem Weg dorthin auch Georgien Russland anschließen würden. Was aus den baltischen Staaten werde, könne sich jeder denken. „Heute dienen sie als Umschlagplatz für Waffen, um die Slawen zu vernichten.“

Dass sich die Russische Orthodoxe Kirche so deutlich positioniert und die Würdenträger offensichtlich ihr Weihwasser nicht halten können, ist nicht verwunderlich.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, die Atheismus zur Staatsdoktrin erklärt hatte, erlebte Religion eine Renaissance. Dieser Prozess war zugleich von einer Politisierung und spalterischen Tendenzen begleitet – auch in der Ukraine. Dort gab es ab den 1990er Jahren drei Orthodoxe Kirchen: Neben der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiats waren das die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchiats sowie die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche. Die beiden letzteren wurden lange nicht von der Weltorthodoxie anerkannt.

Nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 drängte die ukrainische Kirche jedoch verstärkt auf eine Unabhängigkeit von Russland. Vier Jahre später schlossen sich die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Kiewer Patriarchiats und die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche zu der neuen Orthodoxen Kirche der Ukraine zusammen. Anfang 2019 segnete der ökumenische Patriarch Bartholomäus I. von Konstantinopel diese Entscheidung ab und erkannte deren Unabhängigkeit an – für Moskau ein Affront.

Heute unterhält die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchiats in der Ukraine rund 12.000 Gemeinden und damit fast doppelt so viele wie die Orthodoxe Kirche der Ukraine, zu der sich jedoch viermal mehr Gläubige bekennen.

Angesichts des Kriegskurses der russischen Geistlichkeit regt sich unter den Würdenträgern der ukrainischen Moskauer Filiale zunehmend Widerstand. So hatte sich das Oberhaupt der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiats, Metropolit Onufrij, schon wenige Stunden nach Beginn des russischen Einmarsches an Russlands Präsidenten Wladimir Putin mit der Bitte gewandt, den „mörderischen Bruderkrieg“ unverzüglich zu beenden.

Am 28. Februar ersuchte die Synode dieser Kirche den Patriarchen von Moskau und der ganzen Rus, Kyrill I., die Führung der Russischen Föderation zum Frieden aufzurufen. Beide Eingaben blieben zunächst unbeantwortet. Erst knapp eine Woche später und kurz vor Beginn der Fastenzeit meldete sich Kyrill I. mit einer Sonntagspredigt doch noch zu Wort. Er betete die Version des Kreml über den Krieg herunter, wartete überdies jedoch noch mit überraschenden Details auf.

Der Hauptgrund für den Konflikt im Donbass sei der verzweifelte Widerstand der Menschen im Osten der Ukraine gegen von Homosexuellen abgehaltene Paraden. Das seien die sogenannten Werte derer, die nach der Weltherrschaft strebten, so Kyrills Version der Geschichte. „Wir wissen, dass wenn Menschen oder Länder solche Forderungen, wie es im Donbass geschieht, ablehnen, sie nicht zu dieser westlichen Welt gehören. Sie werden dieser Welt fremd“, sagte er.

Ob auch der Umstand, dass immer mehr Gotteshäuser in der Ukraine russischen Bomben und Granaten zum Opfer fallen, bei Kyrill I. Befremden auslöst, ist bislang nicht bekannt. Die Liste wird immer länger. Am vergangenen Montag teilte die Informations- und Bildungsabteilung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiats mit, dass allein am selben Tag im Kiewer und Schitomirsker Gebiet zwei Kirchen durch russischen Beschuss komplett zerstört worden seien. Eine Kirche und ein Kloster in Tschernigiv wurden genauso in Mitleidenschaft gezogen wie ein Gotteshaus in dem Dorf Wjasowka. Von ihm blieb nur der Glockenturm übrig.

Auch die 1873 erbaute Georgiew-Kirche in dem Dorf Savoritschi scheint unwiederbringlich verloren. Auf einem Foto ist ein himmelblaues Gebäude aus Holz zu sehen, aus dessen Dach Flammen schlagen. Die Kirche soll von russischen Truppen beschossen worden sein. Laut Augenzeugenberichten seien in Savoritschi gezielt Menschen und Häuser unter Beschuss genommen und auf die Kuppel der Kirche eine Granate abgefeuert worden.

Trotz der Kriegsrhetorik hoher russischer kirchlicher Würdenträger sowie der Zerstörung christlichen Kulturerbes: Die Mehrheit der Bischöfe der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchiats bleibt stumm. Lediglich Bischof Iona, Vorsteher des Ioninski-Klosters in Kiew, sowie der Metropolit von Ternopil und Kremenez, Sergei, gaben eine Erklärung ab, in der sie Russlands Krieg scharf verurteilten. Einige Bischöfe verfielen auf eine andere Idee, um ihren Protest auszudrücken: Sie segneten Priester ihrer Diözesen, ohne am Ende des Gottesdienstes Patriarch Kyrill I. in ihren Segen mit einzuschließen.

Doch im Hintergrund rumort es, wie Kirill Goworun, Priester, Theologe und Leiter der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der Kirche Moskauer Patriarchiats, zu berichten weiß. So werde bereits darüber diskutiert, ob die Kirche ihre Eigenständigkeit, genannt Autokephalie, verkünden solle, sagte er. Nach der Einberufung eines neuen Vereinigungskonzils könnte sich die Moskauer theoretisch mit mit der Orthodoxen Kirche der Ukraine zusammenschließen. Dort fänden dann auch Priester und Laien eine Heimstatt, die infolge der jüngsten Ereignisse den Wunsch verspürten, die geistliche Einheit mit der russischen Kirche in Moskau aufzukündigen.

Für die Wandlung russischer Geistlicher hin zu Politoffizieren hat der bekannte russische Journalist und Kirchenaktivist, Sergei Tschapnin, nur Verachtung übrig. „Die Kirche hat derzeit keine eigene Sprache, um in kritischen Momenten ihre Stimme zu erheben“, schreibt er auf seiner Facebook-Seite. „Sie bedient sich entweder einer Sprache der Frömmigkeit, die in Zeiten des Krieges widerlich falsch klingt, oder der Sprache der Propaganda. Auch diese Sprache klingt nicht minder widerlich und falsch. Das ist eine Schande und diese Fehler werden uns teuer zu stehen kommen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen