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„So ein Text ist offen für Interpretationen“

Die Linke protestiert vorm russischen Konsulat. „Aufs Schärfste“ kritisiert wird in der Einladung aber auch die Ukraine

David Stoop

38, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken in der Hamburger Bürgerschaft und Fraktionssprecher für Europa.

Interview Lotta Drügemöller

taz: Herr Stoop, die Hamburger Linkspartei protestiert Donnerstagabend vor dem russischen Generalkonsulat (das Gespräch fand vorher statt, Anmerkung der Redaktion). Was versprechen Sie sich davon?

David Stoop: Für uns ist es wichtig zu zeigen, dass wir den Völkerrechtsbruch nicht hinnehmen. Wir fordern den sofortigen Rückzug russischer Truppen. Diese Eskalation ist weder im Sinne der russischen Minderheiten in der Ukraine noch im Sinne der russischen oder ukrainischen Bevölkerung. Es ist kein Beitrag zum Frieden.

Die Linke ist immer etwas in Gefahr, als Putinversteher dazustehen. Wie gehen Sie damit um, angesichts der aktuellen Aggression?

Putinversteher als Begriff finde ich einen merkwürdigen Vorwurf. Es geht uns selbstverständlich nicht darum, uns an die Seite eines Präsidenten zu stellen, der eher die Oligarcheninteressen schützt als die der Bevölkerung. Wir halten die russischen Fantasien historischer Grenzverläufe für eine große Gefahr.

Die Co-Sprecherin der Hamburger Linken, Żaklin Nastić, hatte noch vor einer Woche behauptet, es sei nur westliche Propaganda, dass Russland in die Ukraine einmarschieren wolle. Hat sie sich schon geäußert?

Sie hat natürlich die Erklärung, die wir als Partei herausgegeben haben, mitformuliert und wird auch vor dem Konsulat eine Rede halten. Unser Protest dort richtet sich an Russland. Insofern hat sie sich geäußert.

Bei den Tweets, die zur Veranstaltung einladen, wird nur der Völkerrechtsbruchs durch Russland verurteilt. Wenn ich aber die ganze Erklärung lese, wird im gleichen Atemzug auch die Ukraine kritisiert. Ist das so einfach: Beide Seiten sind schuld?

Natürlich ist Abrüstung auch auf Seiten der Nato notwendig. Die Einkreisung, die Russland empfindet, wurde lange in Abrede gestellt. Es braucht Sicherheitsgarantien für Russland und für die Ukraine. Jetzt ist aber erst mal am wichtigsten, dass die russischen Truppen zurückgezogen werden und alle an den Verhandlungstisch zurückkehren. Wir haben ganz klar gemacht, dass Russland der Adressat unserer Kundgebung ist.

Ich bleibe etwas ratlos. In der Erklärung steht, dass man das völkerrechtswidrige Vorgehen von Putin „auf das Schärfste“ verurteilt. Einen Halbsatz später folgt: „Ebenso kritisieren wir auf das Schärfste den ukrainischen Truppenaufmarsch.“ Das ist ja die gleiche Formulierung. Rhetorisch bleibt da doch wenig Spielraum für Differenzierungen.

So ein Text ist oft unter Druck geschrieben und natürlich immer offen für Interpretationen. Ich finde den Verweis auf eine beiderseitige Waffenruhe selbstverständlich. Für uns ist der unmittelbare Anlass die Aggression Russlands. Darüber hinaus wollen wir Gespräche über gegenseitige Sicherheitsgarantien und eine Gestaltung des Friedens. Eine Rückkehr zum Minsker Abkommen, das muss das Ziel sein.

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