Ein sichereres Match

Täglich kommen mehr Ukraine-Flüchtlinge in Berlin an – viele wollen bleiben. Für Hel­fe­r*in­nen eine logistische Herausforderung. Am Hauptbahnhof soll die private Vermittlung von Betten nun besser organisiert werden

Geflüchtete aus der Ukraine kommen am Berliner Hauptbahnhof an Foto: Jens Schicke/imago

Von Susanne Memarnia
und Plutonia Plarre

Schon von Weitem zeichnet sich das große, weiße Zelt am Washingtonplatz vor der Silhouette des Hauptbahnhofs ab. Drinnen stehen Reihen von Bierbänken und Tischen, daneben kleine Stühle und Tische für Kinder. Buntstifte liegen bereit, auch ein Dreirad gibt es. Noch ist die Halle leer. Helfer treffen letzte Vorbereitungen, kleben Hinweisschilder mit einem großen Essbesteck und WC-Zeichen an die Wände. „Um 17 Uhr geht es los“, sagt Jens-Martin Krieg, Verantwortlicher von der Stadtmission, blaue Weste, schwarze Maske, Brille, am Mittwochmittag.

Ab dann, so der Plan, sollen alle mit Zügen ankommenden Ukrai­ne­r*in­nen an Sammelpunkten im Hauptbahnhof in Empfang genommen werden. Wer in Berlin bleiben möchte, soll in das Zelt auf dem Vorplatz geleitet werden. Die „Wellcome Hall Land Berlin“, wie sie offiziell heißt, soll rund um die Uhr geöffnet sein und kann laut Krieg maximal 400 Menschen gleichzeitig aufnehmen.

Sie sei eine Art erweiterte Wartehalle für die Erstversorgung, erklärt er. Die Leute könnten etwas essen, sich die Hände waschen und auf die Toilette gehen. „Das alles war ja bei langen Reise kaum möglich.“ Nach einer halben bis einen Stunde würden sie mit Sonderbussen zum Ankunftszentrum Reinickendorf gebracht. Dort werden sie vom Landesflüchtlings­amt untergebracht oder von Hilfsorganisationen in private Unterkünfte vermittelt.

Das Zelt ist Teil der Bemühungen des Landes Berlin, den Flüchtlingsstrom aus der Ukraine, der von Tag zu Tag größer wird, in organisierte Bahnen zu lenken. Bislang läuft die meiste Hilfe am Hauptbahnhof auf ehrenamtlicher Basis – doch je mehr Menschen kommen, desto chaotischer wird die Lage. Manchmal, wenn sich ein Zug verspätet und kurz danach schon der nächste aus Richtung Polen einläuft, tummeln sich 2.000 Menschen in der Zwischenetage UG1, wo die Ukraine-Hilfe bislang logiert.

Inzwischen gibt es, lobt Diana Henniges von Moabit hilft, immerhin einen Krisenstab von Senatsverwaltung und Hilfsorganisationen, mit dem man das weitere Vorgehen besprechen kann. Doch offenbar gibt es noch Abstimmungsprobleme. So weiß Krieg von der Stadtmission nichts davon, dass ab sofort in dem Zelt am Washingtonplatz auch die neu organisierte Vermittlung zwischen Geflüchteten und Berliner*innen, die Betten oder Zimmer anbieten, stattfinden soll. Laut der Hilfsorganisationen Moabit hilft und Karuna soll diese ebenfalls ab Mittwoch dort starten.

Bislang hatte Karuna im Untergeschoss auf Zuruf Schlafplatzangebote von Ber­li­ne­r*in­nen an Geflüchtete vermittelt und damit laut Karuna-Chef Jörg Richert an manchen Tagen bis zu 500 Familien untergebracht. Moabit hilft und andere hatten diese Art der unkontrollierten Vermittlung kritisiert – vor allem, weil sie womöglich Menschenhändler und sexistische Ausbeuter anlocke. „Diese Erfahrung“, sagt Henniges, „haben wir 2015/16 im Zuge des Lageso-Chaos leider wiederholt machen müssen.“ Auch die Polizei warnte am Mittwoch vor kriminellen Angeboten: Am Dienstag habe es Fälle gegeben, bei denen Männer Frauen dubiose Angebote gemacht hätten, sagte eine Sprecherin der Bundespolizei.

Unterkunft Laut der Senatsverwaltung für Integration kamen am Dienstag mehr als 15.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine nach Berlin, davon wurden etwa 1.400 vom Land untergebracht, unter anderem in neu aufgebauten Zelten im Ankunftszentrum Reinickendorf. Insgesamt hat das Land bisher mehr als 7.900 Geflüchtete untergebracht. Wie viele Menschen privat unterkamen, ist unklar. Mehrere Tausend will alleine die Plattform unterkunft-ukraine.de vermittelt haben.

Schule Geplant sind 50 Willkommensklassen für ukrainische Jugendliche ab 16 Jahren. Für jüngere Kinder sollten weitere Klassen eingerichtet werden. Bei der Suche nach Lehrkräften setze man auch auf Ukrainer*innen, sagte Schulsenatorin Busse (SPD). (taz, dpa)

Die neue private Vermittlungsbörse soll laut Henniges und Richert so funktionieren: Im Zelt soll es einen Bereich geben mit Computern, auf denen die Hel­fe­r*in­nen von Karuna Zugriff auf die Datenbank von www.unterkunft-ukraine.de haben. Dort hätten in den vergangenen Tagen rund 10.000 Ber­li­ne­r*in­nen angegeben, für wie viel Personen sie Platz haben und welche Sprachen sie sprechen, erklärt Richert. Die Hel­fe­r*in­nen schauen in der Datenbank nach einem passenden Angebot für Geflüchtete, die in Berlin bleiben wollen. „Wenn wir ein ‚match‘ haben, rufen wir an, und bitten die Ber­li­ne­r*in­nen, zu kommen.“

Noch sei allerdings unklar, wo das Treffen dann stattfinden soll, so Richert: Nach derzeitiger Planung sollen die Geflüchteten ihre Gastfamilien am Ankunftszentrum treffen. Auf jeden Fall werde deren Personalausweis kopiert, ergänzt Henniges: „Wir hoffen, dass das Menschen abschreckt, die Böses vorhaben.“ Zudem bekommen Anbietende und Suchende etwas Zeit, sich kennen zu lernen. Nach zwei Tagen sollen die Familien kontaktiert werden, um zu kontrollieren, ob die Unterbringung klappt.

Henniges lobt, dass der Senat auf die Kritik reagiert habe und man dieses neue Vermittlungssystem ersonnen hat. „Die Senatsverwaltung macht diesmal einen deutlich besseren Job als 2015“, sagt sie – vor allem, indem sie versuche, „mit den Hilfsorganisationen in Kommunikation zu treten“.

Allerdings klappt das wohl nicht immer. Schlecht und gar nicht im Sinne der ehrenamtlichen Hilfe, findet Henniges, sei etwa, Sachspenden ab sofort zentral am ehemaligen Flughafen Tempelhof abzugeben, wie es die Integrationsverwaltung am Montag per Twitter forderte. „Wir haben das auf Bezirks­ebene gerade sehr gut organisiert. Es ist viel zu viel Aufwand, die Spenden zentral zu verwalten und dann wieder verteilen zu müssen.“

In jedem Bezirk gibt es laut Henniges Vereine, Freiwilligenagenturen und Stadtteilzentren, die Spenden annehmen und an die Kriegsflüchtlinge austeilen, entweder direkt oder indem sie den Hauptbahnhof oder den ZOB beliefern. Wenn in den Bezirken nun wegen des Aufrufs der Senatsverwaltung die Spenden ausblieben, sei das ein Riesenproblem, so Henniges. „Wir machen Taschen mit Starterpaketen mit Essen, Einkaufsgutscheinen und Informationen auf Ukrainisch.“

Jens Krieg in der neuen Halle am HBF Foto: Carsten Koall/dpa

Dafür sei man auf Spenden und auf die weitere Belieferung der Geflüchteten mit Lebensmitteln und anderem angewiesen. „Die Leute sind völlig mittellos, ihre EC-Karten funktionieren nicht, sie haben nichts.“ Manche Menschen säßen sogar in teuren Hotelzimmern, die Ber­li­ne­r*in­nen für Geflüchtete angemietet haben, und hätten Hunger. „Wenn wir davon erfahren, bringen wir Essen vorbei. Wir werden sogar von Spitzenrestaurants gecatert, die sich engagieren.“ Diese dezentralen Hilfsstrukturen dürften nicht zerstört werden, appelliert Henniges an Integrationssenatorin Katja Kipping (Linke).

Davon profitieren auch die Hilfen im Untergeschoss des Bahnhofs – wohin unter anderem Moabit hilft jeden Tag Lebensmittel, Drogeriewaren, Sim-Karten und andere Hilfsgüter bringt. Auf der Brücke, die zu den Gleisen 2 bis 7 führt, ist das Gedränge schon am Mittag groß. Eine Ehrenamtliche mit neongelber Weste mit einen Einkaufswagen voller Kaffeekannen bahnt sich den Weg durch die Geflüchteten, meist Frauen und Kinder. Die improvisierten Stände, an denen es Brötchen, Obst und Getränke gibt, sind dicht umringt.

Hinweise, die die Menschen zum Zelt oben leiten sollen, sucht man vergebens. Nicht mal einen Hinweis, wo es zu den Fernzügen gehe, habe die Bahn in den letzten vier Tagen geregelt bekommen, schimpft eine Ehrenamtliche. Für eine alte Frau, die ihr mit zitternden Händen einen Zettel hinhält, durchforstet sie ihr Handy nach dem nächsten Zug nach München. Kaum damit fertig, wird sie von anderen Frauen mit Fragen bestürmt.