piwik no script img

Forum zu Rassismus und AntisemitismusTücken globaler Erinnerung

Debatten über Rassismus und Antisemitismus werden oft überhitzt geführt. In Bielefeld war man nun versucht, nüchtern Differenzen auszuloten.

Klingt einfach, ist aber schwer: Wer definiert, was antisemitisch ist? Foto: dpa

Whoopi Goldberg hat kürzlich in den USA einen kleinen Skandal ausgelöst. Der Holocaust sei kein rassistisches Verbrechen gewesen – von Rassismus konnte in ihrer Vorstellungswelt nur die Rede sein, wenn Weiße Schwarze ausgrenzen, verfolgen, töten. Goldberg entschuldigte sich umgehend. Die Vernichtung der Juden war ein rassistisch motiviertes Verbrechen.

Die Affäre erhellte schlaglichthaft jenes verwirrende Knäuel von Erinnerungskonkurrenzen, in dem postkoloniale Geltungsansprüche und die Fixierung auf den Holocaust als einzigartigem Genozid rivalisieren. In der Debatte purzeln historische Fakten und oft mit Verdachtsrhetorik aufgeladene Kämpfe, wer mitreden darf, munter durcheinander.

Die identitätspolitische Aufladung macht den Diskurs noch schwieriger. Seit die Debatten, anders als vor 20 Jahren, global geführt werden, gibt es noch eine weitere für Missverständnisse anfällige Ebene. Black Live Matters scheint die deutsche Rassismusdebatte mehr geprägt zu haben als die NSU-Morde. Das ist eine Verwechslung, weil antischwarzer Rassismus hierzulande eine kleinere Rolle als in den USA spielt. Es ist kompliziert.

Antisemitismus und Rassismus. Konjunkturen und Kontroversen seit 1945“ lautet der erfreulich kühle Titel einer zeithistorischen Debatte am Freitag in Bielefeld, die geschichtliche Tiefenbohrungen mit Aktuellem zu verschränken versprach.

Die Historikerin Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, nahm erst mal die eigene Branche unter Beschuss und sah eine doppelte Engführung. Die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit sei vor allem eine innerdeutsche gewesen, die nach 1945 displaced persons, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ausklammerte. Noch 2022 seien die Geschichtswissenschaften ein „ziemlich autochthones Gebiet“. Soll heißen: weiß, deutsch, zu wenig divers. Eine Stoßlüftung durch die globalisierte Erinnerungskultur ist da offenbar mal nötig.

Ulrich Herbert, einer der kundigsten NS-Historiker, umschiffte großformatige Urteile und stellte die Etappen im Umgang mit Antisemitismus nach 1945 dar. In der Bundesrepublik machten die NS-Eliten rasante Karrieren – dafür passten sie sich an. In diesem Deal wurde Antisemitismus tabuisiert. „Noch nicht mal die höchsten Nazis wollten Antisemiten sein“, so Herbert.

Totaler Vernichtungswille

Rassismus und Antisemitismus, so die Einschätzung unisono, seien nicht das Gleiche. Rassismus sei eine „Essentialisierung sozialer Differenzen“, so Schüler-Springorum. Die Judenverfolgung war rassistisch – und mehr. Die Nazis imaginierten die Juden als allmächtig. Der Antisemitismus sei, über den Rassismus hinaus, somit die Verschwörungstheorie der Moderne. Die Phantasie der omnipotenten Juden motivierte den totalen Vernichtungswillen der Nazis.

Herbert warnte davor, Antisemitismus begrifflich zu entgrenzen und mit immer-mehr-Rhetorik zu versehen. Studien zeigten, dass in der Bundesrepublik seit 50 Jahren stabil etwa 15 Prozent antisemitisch und rechtsextrem eingestellt sind. Zudem führe auch ein politisch überdehnter Antisemitismusbegriff, der Kritik am israelischen Besatzungsregime diffamiere, in die Irre.

Seit gut zehn Jahren werden die Opfer-Erinnerungskulturen, vor allem um Judenmord und Kolonialismus, globalisiert. Das hat etwas Öffnendes, aber wie jede Globalisierung auch sinistre Seiten. In den USA existieren 22 Holocaust-Museen. Dort hätten manche den Eindruck, so Herbert, dass die Erinnerung an den Holocaust „wichtiger sei als die an die Sklaverei“. Das macht Whoopi Goldbergs Fehleinschätzung des Holocausts nicht plausibel, aber verständlicher.

Ist Rassismus überall?

Umgekehrt erleben wir einen Transfer von postkolonialen Diskursen und Antirassismus aus den USA nach Deutschland. Auch das sei zwiespältig, befand Herbert. Im Land der Massenmörder sei die Erinnerung verständlicherweise und erst seit 20 Jahren auf den Holocaust fixiert. Die globalisierte Erinnerungskultur katalysiert Konkurrenzen. Es geht hier immer um handfeste politische und moralische Geltungsansprüche.

Im zweiten, aktuellen Teil debattierten die Soziologin Teresa Koloma Beck und Max Czollek begrifflich weniger präzise. Czollek wiederholte im eher assoziativen Plauderton seine scharfe Kritik an der deutschen Vergangenheitsbewältigung. Die sei dem Motto gefolgt, „lieber drei Denkmäler zu bauen, als dass Opa für die Ermordung von Juden in den Knast muss“. Zudem wolle Czollek en passant in Sachen Rassismus und Antisemitismus wissenschaftliche Objektivität vom Sockel stürzen.

Eine ähnliche Melodie schlug auch Koloma Beck an, Professorin in Hamburg, (die in der Zeit einen hellsichtigen Text über Macht und Hautfarbe verfasst hatte). Ihre zentrale These: Rassismus und Antisemitismus sind allgegenwärtig und weit mehr als absichtliche Diskriminierung. Man kann also auch, ohne direkt diskriminiert zu werden, von Rassismus betroffen sein. Vom soziologischen Lehrbuch über wissenschaftliche Methodik bis zur Infrastruktur sei, so Koloma Beck, alles von dominanter Herrschaft infiziert.

„In der Auseinandersetzung mit der Gewaltgeschichte der Moderne gibt es keine Zuschauertribüne“, so Koloma Beck. Deshalb müsse auch die Wissenschaft subjektiviert werden. Alle sollten dort erst mal „über ihre Verstrickungen Auskunft geben“. Von da ist es nicht mehr weit von der Verwandlung des Oberseminars in einen Stuhlkreis.

Diese aktivistische Wissenschaft, der Reflexion der Sprecherposition wichtiger als Objektivität ist, ist das exakte Gegenteil der professionellen Zurückhaltung und des „Pathos der Nüchternheit“, das Herbert für die HistorikerInnen fordert. Dort ist die kalte Wissenschaft und die präzise, quellengestützte Studie eher Schutzhaut vor moralgetriebenen, medialen Aufregungswellen und politischen Indienstnahmen. Ob Wissenschaft, die den Anspruch auf Objektivität verabschiedet, noch der Aufklärung dient, ist in der Tat fraglich.

Entsprechend kritisierte Herbert einen „konturlosen Rassismusbegriff“, der auf dem Vormarsch sei. Czollek hingegen forderte einen entgrenzten Rassismusbegriff. Das ist folgerichtig, wenn man Rassismus für ein umfassendes Phänomen hält, das zur Moderne gehört wie Copy zu Paste oder die Besoldungsgruppe W 3 zur Professur. Bei einem Rassismusbegriff, der vom Pogrom bis zur kritikwürdig scheinenden soziologischen Methode alles meint, werden alle Katzen grau.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Völlig unbemerkt bei all den "Diskursen" bleibt am 13. Februar 2022 die Erinnerung an den 13. Februar 1970, als kaum 25 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, der alte Hass wieder durchschlug. Ein jüdisches Altenheim suchten sie sich aus, in dem auch Überlebende der Shoa wohnten:



    www.hagalil.com/20...eichenbachstrasse/



    So mischt man vor allem bei uns alles durcheinander, damit der Holocaust "endlich" in die allgemeine Rassismusdebatte "eingepflegt" werden kann.



    Nehmen wir nun den Rassismus der weißen Amerikaner und stellen ihm dem Rassismus der deutschen Christen gegen die Juden gegenüber. Der Rassismus deutscher Christen zielte auf die totale Auslöschung der 11 Millionen ab, die man vorher auf der Wannsee konferenz gezählt hatte. Es gab kein Entkommen, den Mördern ging es darum jeden und jeden der sich versteckt hatte zu ermorden auf alle fliehenden Jagt zu machen. Nur der Blutzoll der Alliierten konnte dem unvergleichlich Bösen ein Ende setzen.



    WPG hat Unsinn gelabert, natürlich, sie hat sich entschuldigt.



    WPG ist eine gute Frau, hat aber über den deutsch christlichen Antisemitismus nichts verstanden...ist für sie auch weit weg....soll sie uns was über Black Live Matter in den USA erzählen, geht uns zwar nichts an, aber.....hilft uns, alles vergessen, zu vermischen, uns freizulabern.



    Früher nannte man es Schlussstrich heute machen wir "Diskurse".

    • @Günter:

      Korrekt. Man kann sich nicht mehr darüber wegtäuschen, dass hier erstmals ein aktivistische akademisches Milieu eine Schlusstrichdebatte von "links" versucht - und das mit einer ungeheuren Aggression.

      Spätestens seitdem unverhohlen das offen antisemitische Pamphlet des Deutschaustraliers A Dirk Moses zum Fanal eines "Historikerstreits 2.0" aufgeblasen wurde, ist deutlich geworden, dass hier eine Geschichtsrevisionismus am Werke ist, der dem brauner Kreise in nichts nachsteht. Wenn ernsthaft jemand empirische und analytische Tatsachenaussagen und daraus gezogene ethische Schlussfolgerungen als Glaubenssätze eines "Katechismus" (analog von Gaulands "Schuldkult"-Behauptung) diffamiert und behauptet, diese seien einem Millionenheer lobotomisierter deutsscher Geschichtslehrer von einer "israelisch-amerikanischen Elite" aufoktroyiert worden - und das wird auch noch von linkslibertären Akademikern als mutiger Tabubruch begrüßt, dann zeigen sich da Abgründe.

      In den Parteien scheint man diese geschichtsrevisionistische Gefahr begriffen zu haben, nicht aber unter Kulturfunktionären (s." Initiative GG 5.3 Weltoffenheit") und einem Teil heftig 'bewegter' Journalisten.

    • @Günter:

      WPG und andere "Rassismus-Abstufler" haben einfach das Entmenschlichte des nazionalsozialistischen Antisemitismus begriffen:



      "Es gab kein Entkommen, den Mördern ging es darum jeden und jeden der sich versteckt hatte zu ermorden auf alle fliehenden Jagt zu machen." - die industrielle Vernichtung der jüdischen Menschen, egal mit welchen Mitteln. Dies ist in der Geschichte der Menschheit einzigartig, die unvorstellbare Inkarnation des Bösen. Ich glaube, dass mir als Jude eine Entschuldigung von Seiten von WPG nicht reichen würde.

  • Konsequenz aus dem obigen Post: Sowohl der linke Wokismus wie das rechtsidenitäre Denken sind gleichermaßen regressiv und antiaufklärerisch. Das Problem ist nur, dass die fatale Ähnlichkeit der theoretischen Struktur zwischen diesen beiden Ausrichtungen des Identitätsdenken gesellschaftlich nicht reflektiert wird, da es als vermeintlich progressiv daherkommt und seine Vertreterinnnen und Vertreter es schaffen, sich in so lautstarker Weise als "die Guten" in Szene setzen können.

  • Das Gedeihen der von der kulturwissenschaftlichen Blase und linkslibertären Journalisten aus den USA willfährig übernommenen woken Protestkultur hat gleich mehrer toxische Momente mit der in den 70ern aus Frankreich herübergeschwappten "Neuen Rechten" (Alain de Benoist) gemein:

    Drei sind dabei dem reaktionären pronazistischen Theoretiker Carl Schmitt abgewonnen; nämlich eine manichäische Schwarzweiß-Dichotomie und die Verkürzung von Politik auf binäre Machtoptionen. Zum dritten die Diskreditierung des liberalen Universalismus, der nur mehr als heuchlerische Maske westlichen Hegemoniedenkens gesehen wird. Prekär ist auch, dass die Linksidentitären - unter dem Eindruck der fatalen unilateralen 'Neuordnungskriege' der USA nach 9/11 - glaubten, einen Schulterschluss mit radikalislamischen Kräften ziehen zu sollen, deren Politikverständnis dem der nationalistischen europäischen Rechten weitgehend entspricht.

    Deshalb nimmt es wenig wunder, dass der Antisemitismus zur Zeit von allen Seiten explosiv zunimmt. Denn das über Jahrhunderte sich entwickelnde und vom christlichen Antijudaismus vorgeformte Bild des Juden im Antisemitismus sah just in ihnen die Verkörperung von Universalismus, Liberalismus und Moderne, unterstellend, dass sie unter dem Deckmantel des Universalismus heimlich ihre eigene parasitäre Partikularität als alles dominierende verborgene Macht entfalten könnten. Wo Essentialismus (u.a. als Nationalismus) gedeiht, sind Juden nicht "die Andern", sondern das anti-identitäre Moment im eigenen Kollektiv, das dieses von Innen zersetzt. Auf der anderen Seite stehen sie für das anti-identitäre Potenzial des Universalismus.

    Da aber sowohl das links- wie das rechtsidentitäre Denken essentialistisch sind, wird bei beiden Judenfeindschaft befeuert. Bei der woken Linken durch die Dämonisierung Israels, das das 'reine Opferkollektiv" der Palästinenser auf dem Gewissen habe, bei der identitären Rechten als dunkle Macht, die Überfremdung durch Einwanderung orchestriere.

  • Ich kann mich einer ganz gewissen Entnervung nicht entziehen, wenn mit Begriffen wie Faschismus (bzw. Antifaschismus), Rassismus, Nazi, Antisemitismus wild um sich herumgeworfen wird. Wenn ein Mitbürger mit arabisch klingendem Namen keine Wohnung bekommt ist der Vermieter "Nazi", Polizisten, die Drogendealer kontrollieren "Nazi". Ist es denn den Leutchen bewusst, dass der Rassismus der Nazionalsozialisten auf phyisische Vernichtung anderer ausgerichtet war? Ich habe mich aus dieser Diskussion etwas ausgeklingt, weil es nicht so sehr viel bringt, mit den Aktivisten des "Allround-Rassismus" zu reden, denn diese wittern Rassismus und "Nazi"ismus überall. Schade, dass so ein wichtiges Thema am Grundsätzlichen mangelt, nämlich der Begriffsdefinition.