Respekt für Rücktritt von Antje Kapek: Schwäche zeigen ist richtig

Die Berliner Fraktionschefin der Grünen tritt zurück, weil sie nicht mehr kann. Wir müssen die Leistungsgesellschaft viel öfter in Frage stellen.

Die Corona-Pandemie brachte viele Menschen in Schieflage, sie auch: Antje Kapek, Grünen-Politikerin Foto: picture alliance/dpa | Annette Riedl

Antje Kapek, die nun Ex-Fraktionschefin der Berliner Grünen, hat in den letzten Tagen viel Respekt dafür bekommen, dass sie Schwäche gezeigt hat. Ihr Rücktritt, den sie am Donnerstag im Plenum des Abgeordnetenhauses erneut mit persönlicher mentaler wie physischer Erschöpfung begründete, ließ viele ihrer Kol­le­g*in­nen den Hut ziehen: Vor der Offenheit ihrer Worte und vor ihrem Mut, sich öffentlich so angefasst zu zeigen: Am Dienstag, beim ersten Pressestatement, hatte sie die Tränen noch mühsam zurück gehalten; am Donnerstag im Parlament weinte Kapek offen. Und die Tatsache, dass so viele den Hut zogen, sorgt seither für eifrige mediale Berichterstattung.

Kapeks Abgang offenbart eine Kritik an der Leistungsgesellschaft, die keineswegs nur Po­li­ti­ke­r*in­nen gegenüber unbarmherzig ist. Wenn jemand nicht mehr kann, vor allem wenn jemand mental nicht mehr kann, ist das nämlich noch immer ein Tabu – die Diskussion um Kapek zeigt das nur zu gut. Man redet nicht gerne und nicht offen darüber. Weil sich die Tatsache, wer ein „vollwertiges“ Mitglied dieser Gesellschaft ist, eben doch damit verknüpft ist, wie „funktionsfähig“ der- oder diejenige ist. Was eigentlich eine zutiefst dehumanisierender, kalter Ansatz ist, diese Welt zu verstehen.

Funktionieren im Homeoffice

Menschen sind keine Maschinen, das konnte je­de*r auch gerade in den zurückliegenden Corona-Jahren eindrucksvoll sehen, bei Freunden oder in der Familie, oder musste es selbst erleben: Das Funktionieren-müssen zwischen Homeoffice, Quarantäne und Kinderbetreuung brachte sehr viele an Grenzen und darüber hinaus.

Wirklich in Frage gestellt haben wir diesen Anspruch an uns aber nicht. Alle haben trotzdem weiter gemacht, immer weiter, bis es für einige eben nicht mehr ging. Auch das zeigt das Beispiel Antje Kapek.

Sie steht damit stellvertretend auch für jene, die – weil sie nun mal kein prominentes Amt oder nicht genug Follower auf Twitter haben und sich die Zeitungen deshalb nicht für sie interessieren –, keinen Respekt dafür bekommen, dass sie sich einfach mal für eine Weile verabschieden müssen: vom Job an der Supermarktkasse, von der Familie, in die Kur.

Und natürlich werden wir auch jetzt weitermachen, nach dem kurzen Innehalten über dem erschöpften Rücktritt einer Berliner Landespolitikerin. Aber es wäre doch schön, wenn Kapek mit ihrem Mut in Zukunft nicht alleine bleibt.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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