Care-Arbeit und Gleichberechtigung: Ist Spielen auch Arbeit?

Ein Paar versucht mit einer Handy-App, Putzen, Kochen und Kinderbetreuung gerecht aufzuteilen. Ein Wettbewerb entsteht. Kann es Sieger geben?

Zwei Kinder spielen zwischen zerrissenen Zeitungen auf dem Sofa

Wer räumt hier irgendwann mal auf? Und gibt es Punkte dafür? Foto: Julia Zimmermann

Er: Wir sind seit neun Jahren ein Paar, seit sieben Jahren wohnen wir zusammen. Wir kamen beide aus WGs und uns war klar, dass wir keinen festen Putzplan mehr wollten. Wir dachten, zu zweit brauchen wir das nicht.

Sie: Wir kannten die Studien, dass Frauen, selbst die, die Vollzeit arbeiten, mehr im Haushalt tun als ihre Vollzeit arbeitenden Männer. Wir waren uns einig, dass das bei uns anders sein würde. Wir wollten die Hausarbeit fifty-fifty aufteilen, ohne mit der Stoppuhr zu messen. Ich habe trotzdem nach dem Fußbodenwischen die Stühle länger auf dem Tisch stehen lassen, um zu zeigen: Hier wurde gerade geputzt! Albern, aber es ist nun mal so: Hausarbeit ist unsichtbar. Dreck sieht man, keinen Dreck sieht man nicht.

Er: Heute, fünf Jahre und zwei Kinder später, ist jeder Tag der Versuch, das Chaos zu bändigen.

Sie: Seit wir Kinder haben, hat sich unser Alltag radikal verändert. Unser Anspruch macht es zusätzlich schwer. Denn gerecht bedeutet eben auch: ganz viel reden, planen, aushandeln. „Wer holt heute die Kinder?“, „Kannst du in der Zeit einkaufen?“, „Montag ist Fasching in der Kita, wir sollen Kuchen mitbringen.“ Wir haben gleich viel Elternzeit genommen, aber die Aufgaben fifty-fifty aufzuteilen haben wir irgendwann gelassen, damit wir uns nicht immer absprechen müssen. Ich mache jetzt fast immer die Wäsche, Johan kauft fast immer ein.

Zwei Fäuste formen ein Herz

Erziehen, Zuhören, Pflegen – die einen nennen es Liebe, die anderen unbezahlte Arbeit. Nach wie vor sind es vor allem Frauen, die sie übernehmen, selbst da, wo sie bezahlt wird. In unserem Schwerpunkt „Frauentag“ fragen wir pünktlich zum feministischen Kampftag: Wie kann eine Gesellschaft aussehen, die das Kümmern revolutioniert?

Er: Vielleicht ist es ein mathematisches Problem: Kopfrechnen im Zahlenraum über 1.000 ist einfach kompliziert. Jeden Tag fallen zehntausend kleine Arbeiten an und vieles davon könnte ein Roboter besser erledigen. Aber es gibt keinen Roboter. Wenn ich es nicht mache, macht es Hedi.

Sie: Irgendwann sind wir auf eine App gestoßen, die eigentlich WG-Haushalte managen soll. Man trägt ein, welche Aufgaben zu erledigen sind und wer am Ende der Woche die meisten Sterne gesammelt hat, der … ja, was eigentlich? Ist der bessere Mitbewohner? Kann sich nächste Woche ausruhen? So genau haben wir das nicht definiert. Aber wenn da am Ende der Woche stand, dass ich die Rangliste anführe, fühlte ich mich gut.

Er: Unser sportlicher Ehrgeiz war geweckt, die Wohnung viel sauberer als vorher. Meistens gewann Hedi, aber knapp. Dann fing die App an zu nerven: Einmal saß ich im überfüllten Wartezimmer beim Kinderarzt, Babys schrien, ich schwitzte in meiner dicken Jacke mit Baby vorm Bauch und wartete, bis wir endlich drankommen, da vibrierte mein Handy. Hedi hatte den Müll runtergebracht, die Wohnung gesaugt, das Klo geputzt. Dafür gab es Punkte. Für den Kinderarztbesuch nicht.

Sie: In unserem Rechen­eifer wurde alles zur Aufgabe, auch auf den Spielplatz gehen. Irgendwann haben wir uns gefragt: Wo fängt Arbeit eigentlich an? Und was ist mit den Aufgaben, die sich nicht so leicht zählen lassen? An den Geburtstag von X denken? Bemerken, dass die Gummistiefel vom Kind zu klein geworden sind?

Er: Klar, man könnte die Aufgabe „Kinderarzt“ oder „Geburtstagsgeschenk“ in der App hinzufügen. Aber wir wollen nicht unser ganzes Leben zählbar machen, und wir hängen eh schon zu viel am Handy.

Sie: Unser Alltag wurde zum Wettbewerb. Wenn Johan einkaufen gegangen ist, erschien auf meinem Display: „Yeah! Johan hat die Aufgabe ‚Einkaufen‘ erledigt“. Ich dachte mir dann nicht „Yeah“, sondern entweder „Na endlich“, oder „Mist, ich muss auch mal wieder“. Mit der App und dem Anspruch, alles ganz genau aufzurechnen, stieg der Druck in unserer Beziehung.

Er: Wenn selbst Memory spielen mit meinen Kindern Arbeit ist, dann ist mein ganzes Leben Arbeit, außer wenn ich schlafe. Das will ich nicht.

Sie: Eine Freundin von mir, die ein fünfmonatiges Baby zu Hause hat, lässt ihren Mann mit einer App die Minuten tracken, die er mit dem Kind verbringt. Wenn er auf fünf Stunden täglich kommt, haben sie ihr gemeinsames Ziel erreicht. Verrückt! Und trotzdem rechne auch ich immer noch auf: Wie oft hat Johan diese Woche die Kinder abgeholt? Rechnen nervt, es ist kleinlich und sät Misstrauen in einer Beziehung. Aber ich glaube langsam, es geht auch nicht ganz ohne. Das ist wie mit den Quoten: super unsexy, niemand will die Quotenfrau sein. Aber ohne Quoten kommen Frauen seltener nach oben.

Er: Oft ist es auch schwierig, die Hausarbeit gerecht aufzuteilen, weil wir unterschiedliche Bedingungen bei unserer Lohnarbeit haben. Wir arbeiten zwar gleich viel, aber Hedi kann häufiger Homeoffice machen und hängt dann die Wäsche auf. Ist das unfair?

Sie: Wenn wir in unserer Beziehung nicht wenigstens grob überschlagen, wer wie viel macht, dann können wir nicht wissen, ob wir annähernd fifty-fifty aufteilen.

Er: Rechnen muss sein. Aber als wir noch zu zweit waren, konnten wir uns richtig doll darüber streiten, ob zum Badputzen auch gehört, die Kacheln hinter der Badewanne zu schrubben. Jetzt machen wir beide so viel Hausarbeit, dass wir keine Kraft mehr dafür haben. Ich weiß nicht, ob das jetzt ein gutes Zeichen ist.

Sie: Und dann sind da noch die Aufgaben, die sich nur schwer in Minuten aufrechnen lassen. Der Mental Load, also immer alles auf dem Schirm zu haben, zum Beispiel beim Verreisen. Wenn wir wegfahren, bin ich es, die die Klamotten für die Kinder und für mich packt. Meist beginne ich Tage vorher das zu planen: Wann wasche ich was, damit es rechtzeitig trocknet? Am Ende wirft Johan vier Unterhosen, drei T-Shirts und eine Hose für sich in den Koffer. Dann werde ich wütend, kiefer-malmend-herzrasend-wütend.

Er: Wenn ich am Abend vor der Abreise sage, ich packe jetzt mal für mich und die Kinder, sagt Hedi: „Hab ich schon“.

Sie: Einmal hat Johan das Packen übernommen. Als wir ankamen, fehlten die Bodys für unsere Tochter. Es war kalt, die Läden waren wegen der Feiertage geschlossen. „Ist doch egal“, hat Johan gesagt, „wir haben genug andere Sachen mit“. Aber darum ging es mir nicht. Mir hat das gezeigt: Wenn ich mich nicht selber darum kümmere, geht es schief. Noch am selben Abend habe ich bei Ebay-Kleinanzeigen Bodys eingekauft. Am Ende habe also doch wieder ich dafür gesorgt, dass unsere Kinder warm angezogen sind.

Ich saß im Wartezimmer, da vibrierte mein Handy. Hedi hatte die Wohnung gesaugt und das Klo geputzt. Dafür gab es Punkte. Für den Kinderarzt­­besuch nicht

Er: Wenn es Winter wird, greift Hedi in eine Kiste und holt einen passenden Schneeanzug, Handschuhe, Mützen hervor, die sie schon im September gekauft hat. Ich würde unsere Kinder einen oder zwei Tage mit einer zu dünnen Jacke in die Kita schicken und dann hektisch etwas kaufen. Was ist richtig? Darf Hedi ihren Anspruch, wie eine Aufgabe zu erledigen ist, auf mich übertragen? Oder mache ich es mir bequem, weil Hedi es schon längst erledigt hat, wenn ich es tun will? Ich finde, es darf schon eine Rolle spielen, ob einem eine Aufgabe Spaß macht. Hedi kauft gern Klamotten. Ich mag Kochen und lese mir gern Testberichte von Kühlschränken durch. (Das klingt aufgeschrieben noch bescheuerter, als es sowieso ist).

Sie: Auch deswegen, weil es ein Klischee ist. Ein Gender­stereotyp, das wir doch eigentlich bekämpfen wollten. Damit unsere Kinder nicht denken: Frauen gehen gerne shoppen und Männer bohren gern Löcher in die Wand. Aber wenn ich jetzt auch noch den Anspruch hätte, zu handwerken, damit meine Kinder wissen, Frauen können das auch, dann würde ich durchdrehen.

Er: Mittlerweile haben wir die App abgeschafft, wir rechnen und diskutieren weniger über Hausarbeit. In vielen Dingen sind wir mittlerweile eingespielt. Und wir haben einen Teil der Hausarbeit ausgelagert. Alle zwei Wochen kommt E., unsere Putzhilfe. Das ist der beste Tag.

Sie: Wir bezahlen unsere Putzhilfe ordentlich, sie finanziert sich damit ihre Ausbildung, aber es ist natürlich kein Zufall, dass E. eine Frau ist und keinen deutschen Pass hat. Am Jahresende geben wir ihr mehr Trinkgeld als dem Zeitungsausträger. Weil wir sie persönlich kennen oder weil wir ein schlechtes Gewissen haben?

Er: Mehr Homeoffice und die Auslagerung von Hausarbeit an eine Migrantin – dürfen wir uns damit zufriedengeben? Ich muss oft an ein Interview mit der Scheidungsanwältin Helene Klaar denken. Sie sagt über das Geheimnis ihrer langjährigen Beziehung: „Außerdem haben mein Mann und ich feste politische Überzeugungen und sind der Meinung, dass an allem wirklich Schlechten der Kapitalismus schuld ist. Daher lassen wir uns nicht gegeneinander hetzen.“

Sie: Es hilft natürlich, wenn sich beide einig sind, dass am Ende der Kapitalismus schuld ist. Andererseits gehört zur Wahrheit auch, dass wir uns leisten könnten, weniger Lohnarbeit zu leisten, um weniger Stress zu haben. Aber wir arbeiten beide viel und meistens gern. Zumindest teilweise ist also der Stress in unserem Leben selbstgewählt.

Weil die Au­to­r*in­nen nach investigativen Recherchen in der Vergangenheit bedroht wurden, schreiben sie diesen Text mit Informationen über ihr Privatleben unter Pseudonym.

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Dieser Text ist Teil der Sonderausgabe zum feministischen Kampftag am 8. März 2024, in der wir uns mit den Themen Schönheit und Selbstbestimmung beschäftigen. Weitere Texte finden Sie hier in unserem Schwerpunkt Feministischer Kapmpftag.

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