Theaterkultur in Düsseldorf: Und drinnen die ganze Welt

Dem Düsseldorfer Theatermuseum drohte die Schließung, wenige interessierten sich für das Haus. Sascha Förster will es nun retten.

Sascha Förster steht in einem Flur, an der Wand hängen viele Zettel

Sascha Förster ist der neue Leiter des Theatermuseums in Düsseldorf Foto: Andreas Fechner

DÜSSELDORF taz | Wie so vieles, das vernachlässigt wurde und etwas Pflege braucht, hat das Düsseldorfer Hofgärtnerhaus mit der orange-rosa Fassade den Charme der Unterschätzten. Seit 1988 ist in dem barocken Gebäude das städtische Theatermuseum untergebracht. Schon in den Neunzigern sollte es umziehen, 2017 wurde es vom Deutschen Kulturrat auf die Rote Liste gesetzt: Von Schließung bedroht.

Im vergangenen Jahr die Wende: Das Museum darf bleiben, aber es muss sich verändern. Lange zog das Haus nur Stammgäste und Schulklassen an, war sonst unbekannt im Düsseldorfer Kulturleben. Sascha Förster ist der neue Museumsleiter; er muss die Institution wieder relevant machen, 35 Jahre alt ist er. „Mein Job ist es, herauszufinden, warum Leute sich für ein Theatermuseum interessieren sollten“, sagt er.

Er plant langfristig, für sich und das Museum: „In den 30 Jahren, die ich hier hoffentlich habe, will ich das Haus so aufbauen, dass nie wieder die Frage gestellt wird: Brauchen wir das?“

Dafür nahm er erst mal Farbe und Pinsel in die Hand. Die Wände waren innen an vielen Stellen dunkel gestrichen, nicht sehr einladend. Direktes Sonnenlicht schade den Exponaten, lautete die Begründung. Er und seine Mitarbeiter haben sie weiß gestrichen. Die Renovierung steht aber noch aus. Hier und da sind noch Löcher in den Wänden mit Tape überklebt.

Auch im echten Leben schlüpfen Menschen in Rollen

Ähnlich marode wirkt auf ihn auch das Theater selbst: „Die Kunstform wirkt heute häufig alt und angestaubt. Aber: Nicht jeder muss Shakespeare gelesen haben“, sagt Förster. Der bürgerliche Kanon dürfe den Zugang zum eigentlich inklusiven Thea­ter nicht versperren. Denn jeder spiele Theater, jeden Tag. „Ein Vorstellungsgespräch, ein Weihnachtssingen oder Karneval. Wir schlüpfen immer in Kostüme, und all diese Rollen haben eine Geschichte“, sagt Förster. Er nennt das „weiten Theaterbegriff“.

Viele Theatermuseen in Deutschland gingen davon aus, dass es sie wegen der glorreichen deutschen Theatergeschichte geben muss, sagt Förster. Davon will er wegkommen. Das Schauspiel war für ihn früh eine Leidenschaft, mit den klassischen Stücken kam er aber erst spät in Berührung. „Ich bin eher bildungsfern aufgewachsen. Meine Eltern waren beide Filialleiter nach dem Mauerfall.“ Das war in Bad Frankenhausen, Thüringen. Im Schultheater spielte Förster dann das erste Mal selbst; in einem Stück seines Lehrers.

„Das ließ mich vom ersten Moment an nicht los“, sagt er. „Ich bin eigentlich ein sehr kontrollierter Mensch. Das muss man auch auf der Bühne sein – aber gleichzeitig ist man voll im Hier und Jetzt.“ Nach Abitur und Zivildienst hatte er drei Vorstellungsgespräche als Schauspieler, erfolglos. Bad Frankenhausen habe er dann verlassen für den „Plan B“, Studium in Berlin, Theaterwissenschaft. Aber er kehrte immer wieder zurück, 2005 gründete er dort ein Performancekollektiv mit Freunden aus der Schulzeit: Dramazone.

Die Performance basiert auf Tagebüchern
Puppen, Federboas, Glitzerhelm auf einem Regalbrett

Traditionsreiche Uniformen und queere Projekte Foto: Andreas Fechner

„Es waren BWLer, VWLer, kaum jemand machte etwas mit Theater. Aber trotzdem entwickelten wir gemeinsam Kunst und waren total überrascht, wie gut das angenommen wurde.“ Die Proben wurden schnell zum wichtigsten Raum für offene Kritik, Streit und Freundschaft.

Für eine Performance schrieben einmal alle ein Jahr lang Tagebuch. In dieser Zeit hatte Förster eine depressive Phase, war in Therapie. Doch die Texte wurden als Schlager aufgeführt. „Wir dachten uns: So richtig Erfolg haben wir nicht, also lass uns doch etwas richtig Erfolgreiches machen.“ Er trat in „schwarzer Lederhose, Hemd offen bis zum Bauchnabel und zurückgegelten Haaren“ auf und sang einen fröhlichen Schlager über seine Depression.

So verband er jahrelang die Theorie der Theaterwissenschaften mit der Praxis der Performances, bis er 2012 an die Universität zu Köln wechselte. Wegen seiner Doktorarbeit stand er seitdem nicht mehr auf der Bühne. Sein Thema: Queeres Theater in der Weimarer Republik. Doch die Arbeit allein am Schreibtisch gefiel ihm nicht – deshalb folgte nach acht Jahren, frisch promoviert, der Wechsel an das Theatermuseum; seit etwas mehr als sechs Monaten ist Förster jetzt Museumsleiter.

Seine Arbeit zum Theater der Weimarer Republik passte zum Kern des Museums, dem Dumont-Lindemann-Archiv, das 1947 von der Schauspielerin Louise Dumont und ihrem Ehemann Gustav Lindemann an die Stadt übergeben wurde. Dieses Jahr feiert es 75-jähriges Jubiläum, im Juni gibt es dazu eine Ausstellung.

Hoffen, dass die Begeisterung aufs Publikum überspringt

Innenräume des Theatermuseums in Düsseldorf Foto: Andreas Fechner

Förster entwirft sie gemeinsam mit einem neuen Mitarbeiter. „Das hier ist vor allem eine Gruppenaufgabe. Nur weil ich das Institut leite, heißt das nicht, dass ich auch der beste Kurator bin.“ Teamarbeit und ehrliche Kritik, das habe er im Kollektiv gelernt und das könne er jetzt ins Museum einbringen. „Die Diskussionen, manchmal auch Streit, über die einzelnen Objekte – das macht sehr viel Spaß“, sagt Förster. „Ich hoffe, dass sich diese Begeisterung auch auf die Gäste überträgt.“

Ausgehend von konkreten Objekten und Texturen will Förster aufmerksam machen auf dahinter liegende Geschichten. „Seit 75 Jahren wird schon mit dem Archiv gearbeitet. Aber wir können immer noch aufdecken, was übersehen wurde“, sagt er.

So etwa die Geschichte der Regisseurin Salka Steuermann, die 1927 ein Stück im Schauspielhaus Düsseldorf inszenierte. „Liest man sich die damaligen Kritiken durch, erfährt man, wie Frauen der Zugang versperrt wurde. Ihrem Mann wurde die Regie zugeschrieben, ihr wurde das gar nicht zugetraut.“ In der Ausstellung will er auf vergessene Frauen der Düsseldorfer Theatergeschichte aufmerksam machen. „Später ging Steuer­mann nach Hollywood. Und hier ist alles vergessen, nur wegen des Gender Bias.“

Im ersten Stock steht in weißen Buchstaben: „Geschichte wird gemacht.“ Förster ist jetzt ein Beamter, der Geschichten erzählt und so Macht ausüben kann über die Erinnerung. Er will das nutzen, um das Scheinwerferlicht auf bisher verborgene, verbindende Aspekte der Theatergeschichte zu werfen. Dabei hilft ihm auch sein weiter Theaterbegriff.

Das geht dann etwa so: Im Herbst 2022 wird das Theatermuseum eine Ausstellung über das drittgrößte Volksfest Deutschlands zeigen, die Kirmes am Rhein in Düsseldorf, zu der auch immer ein großes Schützenfest gehört. „Bei diesem Volksfest clashen traditionelle, männlich geprägte Schützenvereine mit einer klassenübergreifenden Veranstaltung. Da geht jeder hin“, sagt Förster. „Das ist vielleicht nicht das Erste, woran man denkt, wenn man Theatermuseum hört. Aber all das gehört für mich dazu.“

„Wir erzählen so auch immer eine deutsche Kulturgeschichte. 1947 fand die Kirmes wieder statt im zerstörten Düsseldorf und gab den Menschen ein Gefühl der Sicherheit und des Aufbruchs“, sagt Förster. Damals erlaubten die Besatzungsmächte den Schützenvereinen aber keine Uniformen – etwas fehlte.

Heute stehen Männervereine in der Kritik, queere und mi­gran­ti­sche Perspektiven kommen dort nicht vor. Auf der Kirmes treffen diese Gruppen aufeinander, deshalb werde das auch im Theatermuseum gemeinsam ausgestellt. Die traditionsreichen Uniformen der Schützen neben Projekten queerer und migran­tischer Künst­le­r:in­nen, so soll das Theatermuseum zum generationen- und klassenübergreifenden Treffpunkt werden.

An solchen Objekten begreift Förster die Kirmes – und die Welt – als Theater. Rituale, Traditionen und Rollenbilder – all das erzähle Geschichten. Zwischen Archiv und Bühne macht sich Förster auf die Suche nach ihnen, vielleicht für die nächsten 30 Jahre. Doch gerade baut er noch an den Kulissen und schreibt das Drehbuch für die ersten großen Auftritte.

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