Gesetzesentwurf für Abschiebehaft: „Peinlich spät und rechtswidrig“

In Niedersachsen gibt es noch keine gesetzliche Regelung für Abschiebehaft. Das soll sich ändern – doch an dem Gesetzesentwurf gibt es viel Kritik.

Die Abteilung für Abschiebehaft in Langenhagen. Ein zweistöckiges langes Gebäude steht hinter einem hohen Zaun mit Stacheldraht

Freiheit, die ich meine? Die Abschiebehaftabteilung Langenhagen der JVA Hannover Foto: Christian Dittrich/dpa

BREMEN taz | „Rechtssicherheit“ und „Klarheit“ sollen laut Innenminister Boris Pistorius (SPD) bald in Niedersachsen herrschen, wenn es um Abschiebehaft geht: Die Landesregierung will sich ein Abschiebehaftvollzugsgesetz geben. Das wird von Kri­ti­ke­r*in­nen bereits seit Jahren eingefordert. Denn Rechtssicherheit fehlt für Menschen in Abschiebehaft bisher tatsächlich. Vergangene Woche wurde der Entwurf in den Landtag eingebracht, bis zum Sommer soll das Gesetz verabschiedet sein.

In Abschiebehaft können Menschen kommen, die kein Bleiberecht haben, aber nicht freiwillig ausreisen wollen; Menschen, bei denen die Behörden vermuten, dass sie sich der Abschiebung entziehen könnten. Das ist nicht strafbar, Abschiebegefangene sind deshalb keine Strafgefangenen und dürfen auch nicht so untergebracht werden. Das gilt spätestens seit einer EU-Richtlinie von 2008.

Bund und Länder jedoch hatten lange nicht richtig definiert, was das in der Praxis bedeutet. Die meisten Bundesländer haben mittlerweile reagiert – wohl auch, weil der Europäische Gerichtshof 2014 die deutsche Praxis, Abschiebehäftlinge in normalen Gefängnissen unterzubringen, als Verstoß gegen EU-Richtlinie eingestuft hatte.

Nur Niedersachsen und Bayern hinken weiter hinterher und haben noch immer kein eigenes Gesetz verabschiedet. Jetzt also kommt es. „Peinlich spät“, findet der Hannoversche Migrationsanwalt Peter Fahlbusch, der viele Abschiebehäftlinge vertritt. Und auch: „Rechtswidrig“.

Definiert werden Rechte – und deren enge Grenzen

Definieren soll das neue Gesetz einige Rechte der Gefangenen. Kein Insasse, so heißt es im Entwurf, ist verpflichtet, zu arbeiten, die Gefangenen tragen ihre eigene Kleidung, es gibt ein Recht auf Seelsorge. Auch von der Möglichkeit, in Gemeinschaftsküchen selbst zu kochen, ist die Rede – sofern es in der Anstalt denn Gelegenheit dazu gibt.

Definieren wird das Gesetz aber zugleich auch die Grenzen der Freiheit: So sollen sich die Gefangenen tagsüber zwar innerhalb der Einrichtung bewegen können; während der Nachtruhe dürfen sie das aber nicht. Sie können in ihren Zimmern sogar eingeschlossen werden, wenn erforderlich. Besuch dürfen die Insassen zwar empfangen – allerdings nur in überwachten Räumen und nur zu festen Besuchszeiten. Wann und wie lang diese sind, steht nicht im Gesetz; festlegen darf das die Anstaltsleitung.

Gesetzesentwurf lässt Raum für Willkür

Genau in solchen undefinierten Leerstellen sieht Muzaffer Öztürkyilmaz eine Schwäche des Gesetzesentwurfs. „Es kann nicht sein, dass die Institution selbst so etwas entscheidet“, so der Referent vom Flüchtlingsrat Niedersachsen. „Das Gesetz sollte bestimmen, wie das Handeln auszusehen hat, nicht das Staatsorgan.“

Auch die Situation erkrankter Gefangener wird seines Erachtens nicht ausreichend berücksichtigt: „So ist vorgesehen, suizidale Gefangene in einem überwachten Haftraum zu fesseln“, so Öztürkyilmaz. „Suizidale Personen gehören jedoch nicht in Haft, sondern in eine therapeutische Einrichtung.“

Rechtliche Beratung soll es laut Entwurf geben. Sie wird aber nur auf Antrag finanziert – eine große Hürde bei mangelnden Sprachkenntnissen. „Eigentlich müssten alle Leute dort ab Tag eins einen unabhängigen Rechtsbeistand bekommen“, kritisiert neben dem Flüchtlingsrat auch Anwalt Fahlbusch. „Beratung durch die Ausländerbehörde ist absurd – die hat die Leute ja in die Haft gesteckt.“

Verbesserungen sind möglich – aber auch wahrscheinlich?

Die Regierungsfraktionen nehmen die Kritik am Entwurf gelassen. „Wenn der Flüchtlingsrat noch Änderungsvorschläge hat, gucken wir, was davon noch rein kann“, so der SPD-Abgeordnete Ulrich Watermann, „die müssen uns eben überzeugen“.

Allerdings hatte der Flüchtlingsrat seine Kritik schon in der ersten Beteiligungsrunde seit Oktober eingebracht – ohne seine großen Kritikpunkte auflösen zu können.

Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Uwe Schünemann, hält die Erwartungen eher klein: Zwar verlasse kein Gesetz den Landtag so, wie es als Entwurf eingebracht werde. Doch substanzielle Änderungen, so schreibt er der taz, „sind nicht zu erwarten“.

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