Eindrücke aus der Schwimmhalle: Am Fußboden lecken

Die Schwimmhalle ist eine Bundesrepublik im Chlorwasser. Nur, dass 90 Prozent der Kinder in der Frauen-Umkleide sind.

Kraulende Schwimmerin im Becken.

Eine Bahn für sie allein – ein Schwim­me­rin­nen­traum Foto: dpa

Freitags gehe ich in die Schwimmhalle, und das ist eine Bundesrepublik im Chlorwasser. Anwesend sind ein paar Frauen ohne Kinder, mehr Frauen mit Kindern, ein Mann mit einem Kind, Rent­ne­r*in­nen, Menschen mit Rückenproblemen, Kampfschwimmer. Nicht anwesend sind die, die sich 6,50 Euro Eintritt nicht leisten können.

Als Kind kannte ich keine Schwimmhalle. Schwimmen lernte ich in unserem See. Schwamm man ein paar Meter raus, war man auf großartige Weise allein mit dem Wasser, dem Wind, der Sonne. Der See war groß, die Badestellen versteckt im Wald, die Menschen wenige.

Meine Schwimmhalle verhält sich zu meinem See wie die Sozialwohnung im zwölften Stock zum alten Bauernhaus. Ich weiß nicht, wer sich diese Schwimmhalle ausgedacht hat, aber vielleicht hat er geglaubt, dass die Menschen Streichhölzer sind. Wie Streichhölzer sind wir in die schmale Schachtel von Frauen­umkleide hineingequetscht, gerade 30 Zentimeter hat eine jede von uns vor ihrem Spind auf der Bank.

Wo ich mich neben meiner tropfenden Nachbarin versuche zu entkleiden, dazwischen dann noch die Kinder, diese ganzen hüpfenden, lachenden, schreienden, nörgelnden, heulenden Kinder. In den Frauenumkleiden sind ganz sicher wenigstens 90 Prozent der Schwimmhallenkinder zu finden.

Pascale möchte nur, dass seine Mutter den Mund hält

„Ich krieg meinen Schlüpfer nicht an“, schreit das kleine Mädchen entnervt, deren Mutter ­einem strampelnden und brüllenden Geschwisterkind eine neue Windel anzuziehen versucht.

„Pascale, ziehst du dich jetzt endlich an!“, sagt eine Frau in Rock und BH immer und immer wieder zu einem Jungen, der auf dem Bauch liegt und am Fußboden leckt, aber Pascale „möchte es nicht“. Pascale möchte nur, dass seine Mutter endlich, endlich den Mund hält, denn Pascale kann es nicht mehr hören, dass sie ihm gestern schon gesagt hat, was sie ihm gestern gesagt hat, und dass er gestern schon nicht getan hat, was sie ihm antrug und was er angeblich aber versprach, und vorgestern auch nicht, als sie ihm was anderes gesagt hat, an was sie ihn jetzt auch noch erinnert, und ich kann Pascale verstehen.

Auch ich würde lieber auf dem Bauch liegen und am Fußboden lecken, als mir das auch nur eine Minute länger anhören zu müssen.

In der Halle analysiere ich die Bahnen. Die richtige Bahn ist eine wichtige und schwierige Entscheidung. Hat man auch nur einen einzelnen Kampfschwimmer (der Kampfschwimmer ist männlichen Geschlechts), kann man diese Bahn abschreiben. Oft genug bin ich, unabsichtlich natürlich, mit dem Fuß getreten oder mit dem Arm geschlagen worden von solch einem Kampfschwimmer, dem man nur schwer ausweichen kann, der empört noch aufbrüllt, wenn man ihm in seiner schwimmenden Blindheit irgendwie in die Quere kommt. Es ist ganz allein seine Bahn, egal, wie viele Menschen sich die anderen Bahnen gerade teilen müssen.

Die Schwimmhalle ist vielleicht für alle da, aber nicht da, wo er schwimmt, schon immer geschwommen ist, immer schwimmen wird. Das kann einem den Puls hochtreiben, aber das nützt einfach nichts. Man sucht sich besser eine Bahn, auf der ein paar Frauen schwimmen, das ist realistisch.

Dann ist es übrigens schön. Dieser weiche Widerstand des Wassers, das hüpfende, flimmernde Licht, die unwirklich hallenden Stimmen, das große Rauschen und Plätschern. Die schwergliedrige Müdigkeit danach, die Entspannung, die einem ein bisschen versaut wird, durch die Trauben wartender, anstehender Mütter und Kinder vor der Dusche. Wär’ man doch jetzt ein Mann.

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